Mülheim. Nur rund ein Viertel der Corona-Infektionen in Mülheim lässt sich nachverfolgen. Über die Maskenpflicht auf den Straßen herrscht Unverständnis.

Waren es im Frühjahr nur Einzelfälle, ist mittlerweile eine Mehrzahl der Infektionswege in Mülheim nicht mehr nachvollziehbar: Nur noch bei 20 bis 30 Prozent der Corona-Infektionen kann das Gesundheitsamt ausmachen, wo sich die Erkrankten angesteckt haben. Allerdings: Begegnungen auf Einkaufsstraßen und in Fußgängerzonen spielen im Infektionsgeschehen keine Rolle. Die Stadt hält trotzdem an der Maskenpflicht in zahlreichen Straßen fest – obwohl sie höchst umstritten ist.

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Es sei ein schleichender Prozess gewesen und liege nicht an den Kapazitäten im Gesundheitsamt: Rund Dreiviertel aller Infektionen in Mülheim lassen sich nicht mehr nachvollziehen, das heißt, die Erkrankten wissen nicht, wo sie sich angesteckt haben. „Wir verfolgen weiter alle Infektionen nach“, sagt Frank Pisani, Leiter der Abteilung für Umweltmedizin und Infektionsschutz. Doch viele Erkrankte wüssten schlichtweg nicht mehr, welche infizierte Person sie getroffen haben könnten. „Teilweise herrscht eine gewisse Nachlässigkeit.“

Maskenpflicht in Mülheim: Bewusstsein für Corona-Infektionslage schärfen

Mit dieser begründet die Stadt auch ihre Maßnahme, die bei vielen Mülheimern für Unverständnis sorgt. Im sozialen Netzwerk Facebook wird die Regel heiß diskutiert und scharf kritisiert. Denn während in den Nachbarstädten keine Maskenpflicht unter freiem Himmel gilt, hat Mülheim diese seit Dienstag eingeführt – für rund zwei Dutzend Straßen.

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Wozu, wenn doch laut Robert-Koch-Institut eine Ansteckungsgefahr erst nach 15 Minuten Kontakt mit weniger als eineinhalb Metern Abstand besteht? „Durch die Maskenpflicht wird neben der Schutzwirkung auch das Bewusstsein für die aktuelle Infektionslage im Ruhrgebiet geschärft“, sagt Pisani. Zudem gebe es durchaus Gruppen, vor allem Jugendlicher, die sich längere Zeit gemeinsam in der Stadtmitte aufhielten.

Kontrolle der Maskenpflicht: „Die Stimmung ist mies“

Das sehen viele anders. So schreibt FDP-Fraktionsvorsitzender Peter Beitz in einer Pressemitteilung: „Unter freiem Himmel sollen die Mülheimerinnen und Mülheimer selbst entscheiden dürfen. Diese Regelung greift unnötig in die Freiheitsrechte ein, das führt automatisch zu Unverständnis und Widerstand. Das lehnen wir ab.“ Eine Meinung, die auch viele Bürger teilen, wie Ramin Sarrafi am Dienstag erlebt hat. Der Gruppenleiter beim Kommunalen Ordnungsdienst sagt nach einem Tag Maskenpflicht-Kontrolle: „Die Stimmung ist mies.“

Keine Infektionen in Kneipen

Eine weitere umstrittene Maßnahme ist die Sperrstunde von 23 bis 6 Uhr in Gastronomien. Allerdings ist diese vom Land auferlegt für Städte mit einem Inzidenzwert über 50.

In Mülheim gibt es bislang keine Infektionen, die auf Treffen in Kneipen zurückzuführen sind, sagt Frank Pisani. Allerdings führe „die enthemmende Wirkung des Alkoholkonsums vielmals zu einer unbewussten Unterschreitung von Mindestabständen und kann daher zum Infektionsgeschehen beitragen“. Die Ansteckungen, die nachvollziehbar sind, gingen vor allem auf den Arbeitsplatz und Weiterverbreitungen in Familien zurück.

Neben den kurzzeitigen Unterschreitungen komme es auch zum Treffen von Bekannten und Freunden, „so dass es von einer deutlich längeren Exposition auszugehen ist“.

Nur rund 40 bis 50 Prozent der Bürger hielten sich in der Innenstadt an die Regel – in den Stadtteilen konnte der Ordnungsdienst aufgrund knapper Personalkapazitäten noch nicht kontrollieren. „Wir müssen sehr viel diskutieren, es herrscht viel Unverständnis“, sagt Sarrafi. Außerdem sind viele Fragen ungeklärt: Wie kann ein Ladeninhaber auf der Eppinghofer Straße eine Zigarette draußen rauchen gehen, wenn er dort seine Maske nicht abziehen darf? Kann ich mir noch einen Coffee to go holen und ihn trinken in der Innenstadt? „Wir haben uns erstmal darauf verständigt, auf Sitzgelegenheiten von Verwarnungen abzusehen“, sagt Sarrafi.

Mülheimer Ordnungsdienst spricht mündliche Verwarnungen aus

Derzeit spricht der Ordnungsdienst nur mündliche Verwarnungen aus, „aber irgendwann müssen wir mal ernst machen“. Die Diskussionen in sozialen Netzwerken hat auch Sarrafi mitbekommen, das gleiche Bild zeigt sich auf der Straße.

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Konsequenzen daraus zieht die Stadt bislang nicht. Die Stimmungen im Netz wird vom Social-Media-Team regelmäßig analysiert. „Wir müssen die nächsten 14 Tage abwarten“, sagt Stadtsprecher Volker Wiebels. „Keiner will noch mal Schulen und Kitas schließen.“ Der Kommunale Ordnungsdienst soll künftig bei seinen Kontrollen unterstützt werden – entweder von der Bundespolizei oder von privaten Sicherheitsfirmen. Die Stadt hat dazu eine entsprechende Anfrage an den Innenminister geschickt.