Mülheim. Verschmierte Tücher und andere Hinterlassenschaften: Immer mehr Menschen verrichten ihre Notdurft draußen. Mülheimer Umweltschutzschützer warnen.
Wilde Toiletten in schönster Natur – für Gerda Aschenbroich ein Graus: „Das ist fürchterlich – ich weiß wirklich nicht, was in den Köpfen der Leute vorgeht“, sagt die 81-Jährige, die fast täglich mit ihrem Mann an der Ruhr unterwegs ist. Die unappetitlichen Hinterlassenschaften samt Taschentüchern und sonstigen Papierresten ekeln Spaziergänger, Radfahrer, Naturliebhaber. Sie können auch zur Gefahr für die Umwelt werden, warnt Landschaftswächterin Karin Piek. Im menschlichen Kot stecken Keime. „Und wenn dort zum Beispiel Gänseküken Gras zupfen, können sie natürlich krank werden.“
Ein Sommermorgen am Kocks Loch, mitten im Naturschutzgebiet in Menden. Nach einer schwülen Nacht zieren Tautropfen die Pflanzen, letzte Nebelschwaden steigen auf, die Sonne gewinnt an Kraft. Ein Trupp Wildgänse flattert schnatternd übers Idyll hinweg – dort aber, wo die Nutrias gern an Land gehen, liegt ein verschmierter Haufen Tempos. Ein Wanderer (53) mit seinem Hund ärgert sich: „Es ist ungeheuerlich, wie viele Menschen mittlerweile ihre Notdurft in der Natur verrichten. Das ist eine so große Zahl, dass ich mich oft frage, gibt’s denn keine Toiletten mehr?“ Offenbar verspüre auch kaum noch einer Scham. „Da versucht sich keiner mehr zu verhüllen oder wegzudrehen – die machen einfach weiter.“
Auf der Badewiese gleich nebenan gibt es öffentliche Toiletten
Eine Beobachtung, die Karin Piek bestätigt: Unweit des Ruhrstrandes, im Saarner Brutgebiet Entenschnabel, könne man häufiger „jemanden hocken sehen“. Dabei gebe es doch gleich nebenan auf der Badewiese öffentliche Toiletten, „die sind immer offen, kostenlos und sauber“. Und auch am Wasserbahnhof gebe es Möglichkeiten. Das rücksichtslose Verhalten aber wachse, ganz nach dem Motto: „Ich muss genau jetzt, also gehe ich halt in die Büsche. . .“
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Buschtoiletten seien an verschiedenen Stellen ein Problem, selbst in den besonders geschützten Flora-Fauna-Habitat-Gebieten (FFH) entlang der Ruhr. Piek sieht Unschönes im Mündungsgebiet des Mühlenbaches oder auch im Grün direkt neben der Betonplatte am Ende der Brücke übers Wehr. „Die Leute hinterlassen alles, was die Unterhose hergibt.“ Sogar Windeln, Binden und Tampons lägen herum.
Ersatz-Klopapier braucht ewig, um zu verrotten
Für Piek, die glücklich ist über den wertvollen Tierbestand an der Ruhr, ist die Entwicklung „katastrophal“. Zumal das Ersatz-Klopapier, das nach der Darmentleerung gern einfach fallen gelassen wird, „ganz, ganz lange braucht, um zu verrotten“. Und lägen erst weiße Tücher in der Natur herum, seien schnell Nachahmer am Werk.
Jürgen Zentgraf, Leiter des Umweltamtes, macht ein „gesellschaftspolitisches Problem“ aus. So ein Verhalten sei zivilisierten Menschen eigentlich fremd. „Doch das ist ähnlich wie mit dem Müll: Selbst wenn der Papierkorb nur 50 Meter weiter ist, werfen manche Menschen ihren Abfall einfach in die Gegend. Sie kommen nicht mal auf eine andere Idee.“ Grund sei wachsender Egoismus: „Dieses Ich-Ich-Ich-Denken nimmt weiter Überhand.“
Bußgeld bis zu 1000 Euro möglich
FFH-Gebiet hat eine Gesamtgröße von 143 Hektar
Von der Saarner Aue bis zum Kocks Loch zieht sich das so genannte FFH-Gebiet „Ruhraue in Mülheim“. Die Abkürzung steht für die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union. Diese schützt seit 1992 besonders seltene Tier- und Pflanzenarten sowie deren Lebensräume.
So sollen europaweit Unterschiede der Umweltstandards abgebaut und ein einheitlicher Schutz wertvoller Naturgüter gewährleistet werden. Das FFH-Gebiet hat eine Gesamtgröße von 143 Hektar.
Laut Landschaftswächterin Karin Piek sind unter anderem Amphibien und Wasservögel durch besagtes ökologisch bedenkliches Verhalten mancher Mitmenschen gefährdet, aber sicher auch die seltenen Ringelnattern, die sich über den Boden schlängeln.
Die städtische Satzung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verbietet das „Verrichten der Notdurft in der Öffentlichkeit“ übrigens ausdrücklich. Zentgraf weist darauf hin, dass bei Zuwiderhandlung ein Bußgeld bis zu 1000 Euro verhängt werden kann. Stadtsprecher Volker Wiebels, der auch Fälle rund um die Nordbrücke erwähnt, appelliert an Erholungssuchende, sich schon vor dem Ausflug ins Grüne Gedanken über den möglichen Notfall zu machen. „Es ist einfach eine Frage von Hygiene und Umweltschutz, auf normale Toiletten zu gehen.“
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Aus ökologischer Sicht ist das Thema Hundekot für Jürgen Zentgraf ein schlimmeres, „schon allein der Menge wegen“. Der Wanderer mit seinem Hund, der so gern Nutrias am Kocks Loch beobachtet, hat daher immer Kotbeutel in der Tasche. Das, so glaubt er, könne ja auch eine Möglichkeit für Menschen sein, die in Bedrängnis geraten. Denn andernfalls sei ihr Tun einfach „eine Riesensauerei“.