Mülheim. . Am Martinstag müssen die Gänse ihre Federn lassen. Warum? Ein Besuch auf dem Heißener Hof in Mülheim bei den gefiederten Saisonarbeitern.
Sankt Martin war ein guter Mann, erzählen sich die Menschen. Würden sie jedoch das Geschnatter der Gänse übersetzen, hörten sie nicht die schöne Geschichte vom geteilten Mantel, der einen Bettler wärmt. Es wäre vielmehr ein Klagelied. Denn unzählige Gänse mussten seinetwegen schon ihr Federkleid lassen – als Martinsgans.
Eine Stunde Garzeit pro Kilo Gans
Am 11. November ist es wieder soweit: Da wird nicht nur „Laterne, Laterne“ gesungen. Da kommt der Vogel in den Ofen. Allerdings fehlt den meisten Menschen die Geduld, meint Katharina Steineshoff vom Heißener Hof in Mülheim: „Pro Kilo Gans muss man eine gute Stunde Garzeit einplanen.“ In der Zeit, in der also eine Sechs-Kilo-Gans vor sich hinschmort, könnte man – grob überschlagen – Laternen für eine ganze Kindergartengruppe basteln.
Vorher geht es den Vögeln natürlich an den fast schwanengleichen Hals. Was einem wahrscheinlich gar nicht so leicht fällt, wenn man ihnen einmal in die schönen blauen Augen geschaut und das schneeweiße Federkleid bewundert hat. Doch die Landwirtin ist auf dem Hof aufgewachsen. Da hat man eine andere Beziehung zu den Tieren als die meisten Stadtmenschen. Schon die Großeltern der 32-Jährigen hatten sich auf Geflügel spezialisiert. Heute geht allerdings keiner mehr von der Familie von Tür zu Tür, um Hühnereier zu verkaufen.
Zusammen mit ihrem zwei Jahre jüngeren Bruder führt Katharina Steineshoff den Hof in der vierten Generation. Johann Steineshoff ist Metzger und der Herr über die Landfleischerei. Das Geflügel schlachten sie selbst. Das Wild schießen sie selbst – zum Beispiel im Hunsrück. Nur Rind und Schwein kommen von befreundeten Höfen. Die Tierhälften werden geliefert. Etwa vom „Pötterhof in Bracht“ in Brüggen. Die Schweine lebten dort auf Stroh, sagt Katharina Steineshoff.
Fruchtaufstriche und Erbsensuppe
Vater Albert Steineshoff steht im ehemaligen Kuhstall: im Hofladen. Auch Salat, Tomaten oder Kohl vom Niederrhein hat er im Angebot. Und die selbst gemachten Brotaufstriche seiner Frau Walburga sowie Eingemachtes in Mehrweggläsern (ohne Pfand): Leberwurst, Rindergulasch oder Erbsensuppe.
Am Hofeingang steht ein Automat für Grillfleisch. Der alte war defekt. Nun hat die Familie einen neuen angeschafft, den sie wieder bestücken will, nicht nur mit Steaks, sondern auch mit Aufschnitt und anderen Zutaten fürs Frühstück. So können sich die Menschen mit Fleischeslust rund um die Uhr bedienen. Eier stehen ebenfalls im Kühlschrank zum Abholen bereit.
Bio ist das alles nicht. Sie bräuchten kein Siegel, so Steineshoff. Ihnen sei der direkte Kontakt mit den Kunden wichtig. „Wir zeigen, wie wir die Tiere halten.“
Richtig ländlich liegt ihr Hof nicht gerade, sondern direkt an der A 40. Und daher ist er gut zu erreichen. Idyllisch wirkt das Ganze trotzdem, wenn man auf das Gelände fährt: Zwei Kaninchen hoppeln zwischen wuselnden Meerschweinchen in einem großen Außengehege. Ziegen schauen aus einem Stall heraus und weiße Tauben fliegen aufs Dach. Sie alle haben gemein, dass sie niemals im Kochtopf landen werden. Eine Tür weiter sieht das schon anders aus. Da leben ein paar Stallkaninchen wie schon vor Jahrzehnten in kleinen einfachen Ställen.
Eine Etage höher leben Wachteln, insgesamt sind es über 60. Katharina Steineshoff hebt drei Eier vom mit Sägemehl bestreuten Boden auf. „Ein Huhn legt die Eier ins Nest, die Wachteln legen sie wild“, erklärt die Landwirtin. Die kleinen Eier sind zudem schwarz-braun gesprenkelt. Die Maserung sei von Tier zu Tier verschieden. Cholesterinärmer als Hühnereier sollen sie zudem sein, so die Landwirtin. Und: „Manche Allergiker vertragen sie eher.“
In der so genannten Landscheune bietet die Familie immer mal wieder besondere Speisen an, zurzeit gibt es natürlich nach Voranmeldung das traditionelle Gänseessen. Wenn es kalt ist, darf es eben etwas gehaltvoller sein. „Die Gans ist nicht so mager wie Huhn oder Pute.“
Konkurrenz für den Wachhund
Noch dürfen die meisten der 400 „Saisonarbeiter“ zusammen in einem offenen Stall auf Stroh leben. Wenn Katharina Steineshoff einmal am Tag für zwei, drei Stunden das Tor öffnet, muss sie ihnen nicht mehr den Weg zeigen. Sie wissen selbst, wo es langgeht, zur großen Wiese, um sich „die Füße zu vertreten.“ Und Steinchen aufzupicken. Die brauchen sie nämlich im Magen, um ihr Essen zu verdauen: das Getreide, das die Familie Steineshoff zum großen Teil auf Feldern in der Nähe selbst anbaut.
Weil sie nicht genug Platz haben, bekommen sie Anfang August die meisten Gänse von einer Aufzucht. „Bis dahin sind sie nur auf einer Weide gelaufen.“ Während die Landwirtin erzählt, schnattern ihre Gänse im Chor: „Wenn man selbst lauter spricht, werden auch sie lauter“, sagt Katharina Steineshoff lachend.
Doch nicht nur schnattern können die Gänse. Wer ihnen zu nahe kommt, weiß, warum sie Wachhunden Konkurrenz machen: Dann reißen sie fauchend die Schnäbel auf, so dass man bereitwillig weicht.
Und weil die Gänse schlecht den Schnabel halten können, landen sie eben auch als Martinsgans im Ofen. Denn der Legende nach versteckte sich Martin bei ihnen im Stall. Der bescheidene Mann wollte so der Wahl zum Bischof entgehen. Doch die Gänse verrieten ihn lautstark. Nun müssen sie jedes Jahr am Martinstag dran glauben.
>> DER WEG ZUM HEISSENER HOF
Der Hofladen: Mo. bis Mi., 9 bis 13 Uhr, 15 bis 18.30 Uhr. Do. und Fr., 8 bis 18.30 Uhr. Sa., 9 bis 14 Uhr. Die Fleischerei: Mo. bis Sa. ab 7 Uhr. Gänseessen mit Rotkohl und Klößen (23,90 €): bis zum 2. Dez., bitte reservieren: 0208/ 43 17 00. Der Hof bietet auch einen Partyservice.
Anfahrt: Frohnhauser Weg 20, A 40-Ausfahrt „Mülheim-Heißen“. heissenerhof.de