Mülheim. Die Pandemie bringt der Ruhrbahn zusätzliche Millionenverluste. Fahrgäste fürchten eine Ansteckung. Scheitert darum die gewünschte Verkehrswende?
Straßenbahnen und Linienbusse, in denen außer dem Fahrer kaum jemand sitzt – das gab es bei der Ruhrbahn auch schon vor Corona: Zu den sogenannten verkehrsschwachen Zeiten am Vormittag oder späten Abend, weit draußen in Mintard, Selbeck oder Raadt, wo weniger Leute wohnen. Auf dem Höhepunkt der Pandemie brach das Fahrgastaufkommen auch auf stark frequentierten Linien ein.
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Ruhrbahn-Vorstand Michael Feller spricht von einem Tal der Tränen und erklärt: „Noch 27,3 Prozent im April!“ Wo statistisch vor Corona vier Fahrgäste gezählt wurden, fuhr also nur noch einer mit. „Aktuell sind wir bei 61,1 Prozent“, sieht Feller wieder Zuwächse. Die Verluste betragen in Mülheim bis jetzt 3,4 Millionen Euro“, ergänzt Kämmerer Frank Mendack.
Große Zurückhaltung registriert die Ruhrbahn nach wie vor. Wer nicht zwingend angewiesen ist auf Bus und Bahn, fährt lieber mit dem Auto. Oder die Leute steigen auf das Fahrrad um. Der Zweiradhandel boomt.
Die Ruhrbahn ist kein Corona-Express
Das Risiko, sich in einem Bus oder einer Straßenbahn mit Covit 19 anzustecken, scheint vielen zu groß. Dabei gebe es in Deutschland keinen einzigen Fall, in dem sich jemand nachweislich mit Corona infiziert habe. „Wir sind kein Corona-Express“, betont Feller.
Die Ruhrbahn müsse verlorenes Vertrauen zurückgewinnen, predigt Feller tapfer. „Wenn man sich an die Hygieneregeln hält, kann einem nichts passieren, schon gar nicht, seit es die Maskenpflicht gibt.“ Die Fahrzeuge würden penibel gereinigt. Nicht mal den Halteknopf müssten Fahrgäste drücken. Der Haltewunsch lasse sich per App mit dem Smartphone auslösen – wenn man eines besitzt.
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Der Ticketverkauf ist um 50 Prozent eingebrochen
Im April ist der Ticket-Einzelverkauf um 70 Prozent eingebrochen, im Juni lag das Minus bei 40 Prozent. Das sind Einnahmeverluste von rund 300.000 Euro in Mülheim. „Zum Glück sind uns die Abo-Kunden größtenteils treu geblieben. Wir sind jetzt bei 97.000“, nennt Feller Positives. Rund ein Viertel davon sind Mülheimer Monats- oder Jahreskarteninhaber.
Dennoch: Rund 3500 Abo-Kunden sind ausgestiegen. Weitere 3500 haben ihr Abonnement ausgesetzt. Neuabschlüsse gab es fast keine. Unterm Strich hat Corona die Ruhrbahn bisher zwölf Millionen Euro gekostet. Die Rechnung für Juni steht noch aus. Feller hofft, dass Bund und Land das Loch in der Kasse stopfen.
Ruhrbahn hofft auf Bundes- und Landeshilfen
Vergünstigte Tickets und Umstiegsangebote
Die Ruhrbahn versucht Autofahrern den Umstieg auf den ÖPNV schmackhaft zu machen. Gerade erst waren weitere 300 vergünstigte Tickets in der Verlosung, finanziert mit dem Förderprogramm des Bundes für saubere Luft. Die Tickets waren ruckzuck vergriffen, berichtet Ruhrbahn-Marketing-Chef Nils Hoffmann.
Ruhrbahn-Vorstand Feller setzt auch auf Kombi-Angebote: Carsharing, Leihfahrräder oder einen Bus-Shuttle „on demand“, eine Art Sammeltaxi auf Abruf per Smartphone. Noch in diesem Jahr will die Ruhrbahn die ersten Fahrzeuge auf die Straße bringen. Das Angebot soll Appetit machen, Busse und Bahnen auszuprobieren, so der Ruhrbahn-Chef.
500 Millionen Euro sollen aus Berlin fließen. Weitere 200 Millionen hat die Landesregierung für den Öffentlichen Nahverkehr in Aussicht gestellt. Offen sei noch, wie das Geld verteilt wird. Sicher ist: Die Stadt kann das Defizit nicht ausgleichen. Abstriche beim Angebot wären die Folge. „Dabei dürfen wir den Klimaschutz nicht aus den Augen verlieren“, sagt Feller.
Zweifellos ist der öffentliche Nahverkehr das Rückgrat der Verkehrswende. Wer sonst sollte Massen transportieren? „18 Prozent aller Wege legen die Mülheimer mit dem ÖPNV zurück“, nennt Ruhrbahnsprecherin Simone Klose das Ergebnis der Haushaltsumfrage von 2019. Für knapp 60 Prozent der Wege nutzen Mülheimer aber das Auto. Dieser Wert liegt höher als vor fünf Jahren.
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Verliert der ÖPNV dauerhaft Kunden?
Werden die Erwartungen zur Verkehrswende erfüllt? Oder dreht Corona das Rad zurück? Wer auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen ist, wird auch in Zukunft damit fahren, weil er als Zwangsnutzer nicht umsteigen kann und in Stoßzeiten wieder dicht gedrängt im Bus steht. Was ist mit allen anderen, die eine Wahl haben, weil sie es sich leisten können? Oder auch nach Corona viel öfter zu Hause arbeiten als vor der Pandemie?
Michael Feller nennt Corona eine „Delle“. Eine solche ließe sich wieder ausbeulen. Wie schwerwiegend der Schaden tatsächlich ist für den öffentlichen Nahverkehr, ist aber längst noch nicht ausgemacht. Eine Offensive für mehr Nahverkehr müsse nun von den politischen Gremien ausgehen, heißt es aus der Ruhrbahn-Chefetage. Das Unternehmen selbst hält sich mit Empfehlungen und Vorschlägen zurück.