Essen. Die Corona-Krise stellt den ÖPNV vor nie dagewesene Herausforderungen. Das Auto könnte im Verkehr zum Gewinner der Krise werden.

Wie geht es weiter mit dem öffentlichen Nahverkehr in und nach der Corona-Krise? Rappelvolle Busse und Bahnen, in Vor-Corona-Zeiten ein oft gesehenes Bild, sind im Zeitalter von Mindestabstandsregelungen und verschärften Hygenieauflagen schwer vorstellbar. Kommt es gar zu einer Renaissance des Autos? Experten raten dazu, über neue Nahverkehrskonzepte nachzudenken, sehen in der Krise dennoch Chancen für die Branche. Ein Überblick.

Wie hart trifft die Corona-Krise die Nahverkehrsbetriebe?

Der Corona-Lockdown hat die Nahverkehrsbetriebe schwer getroffen. Um rund 80 Prozent sind bei der Bogestra (Bochum/Gelsenkirchen/Witten) die Fahrgastzahlen im ersten Quartal eingebrochen, bei der Ruhrbahn (Essen/Mülheim) sackte der Einzelticket-Verkauf am Anfang der Krise um die Hälfte zusammen. In Dortmund waren in den ersten Wochen des Lockdowns bis zu 70 Prozent weniger Fahrgäste in Bussen und Bahnen unterwegs. Die Hoffnung der Branche ruht auf den Stammkunden, die ihrem Abo trotz Sonderkündigungsrecht die Treue gehalten haben. Der Anteil dieser Dauerkartenbesitzer liegt laut Verkehrsverbund Rhein-Ruhr bei 90 Prozent.

Wie ist die Situation seit dem Beginn der Lockerungen?

Die meisten Betriebe haben ihr Angebot seit dem Ende der verschärften Corona-Maßnahmen am 27. April wieder hochgefahren. Bei der Bogestra läuft es mit Ausnahme von Nachtexpress-Linien seit dem 13. Mai wieder rund. Die Dortmunder Stadtwerke haben sogar Takte verdichte, wie ein Unternehmenssprecher mitteilte. Das Fahrgastaufkommen steige langsam wieder an.

Worauf muss sich der Nahverkehr einstellen?

Experten gehen davon aus, dass der Nahverkehr im Wettbewerb der Verkehrsmittel zumindest mittelfristig den Kürzeren ziehen wird. „Es ist eindeutig, dass die Coronapandemie unser Mobilitätsverhalten grundlegend verändert“, sagt Barbara Lenz, Direktorin des Instituts für Verkehrsforschung im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln. Das DLR hat in einer Umfrage untersucht, wie sich die Coronakrise auf das Mobilitätsverhalten auswirkt. Befragt wurden 1000 Personen zwischen 18 und 82 Jahren. Vieles weise darauf hin, dass Auto und auch Fahrrad als Gewinner aus der Krise hervorgehen werden, so Lenz. Öffentliche Verkehrsmittel müssten hingegen eine Durststrecke überbrücken und benötigten Unterstützung.

Kommt es zur Renaissance des Autos?

Das DLR sieht den privat genutzten Pkw derzeit eindeutig im Vorteil. Institutsdirektorin Lenz spricht von einem „deutlichen Wohlfühlfaktor“ des Autos. Fast alle Befragten hätten angegeben, sich im Auto wohler oder genauso wohl zu fühlen wie vor der Krise. Das sei bei keinem anderen Verkehrsmittel der Fall. Zu den großen Verlierern gehörten alle öffentlichen Verkehrsmittel. Lenz: „Überraschenderweise vermissen besonders viele junge Städter in dieser Situation das eigene Fahrzeug.“ Sechs Prozent der befragten Haushalte ohne eigenen PKW gaben zudem an, wegen der Verbreitung des Coronavirus über die Anschaffung eines Pkw nachzudenken.

Welche Schlussfolgerungen ziehen andere Forscher?

Auch die Verkehrsforscher vom Berliner Institut MiB gehen davon aus, dass weiter bestehende Einschränkungen und Infektionsängste sich in den nächsten Jahren erheblich auf das Mobilitätsverhalten der Bürger auswirken werden. Die Nachfrage könne selbst nach Ausklingen der Pandemie hinter dem Vorkrisenniveau zurückbleiben, weil Homeoffice und E-Learing sich etablierten und der Pendlerverkehr dadurch sinke. In der Nutzung der Verkehrsmittel werde der Bürger zunehmend wählerischer. Allerdings bleibe der ÖPNV „Rückgrat der urbanen Mobilität“.

Was können Nahverkehrsbetriebe tun?

Das MiB-Institut rät in einer aktuellen Studie zu einer einfachen und flexibleren Preisgestaltung. Tickets sollten möglichst digital angeboten werden und andere Verkehrsmittel wie Car- oder Bikesharing miteinbeziehen. Die MiB-Forscher glauben, dass klassische Monats- und Jahrestickets wegen des Risikos neuer Infektionswellen unattraktiver werden. Digitale Preismodell könnten dagegen schneller angepasst werden. Ein digitalisierter Ticketverkauf reduziere zudem das Infektionsrisiko, weil weder Fahrkarten, noch Automaten und Bargeld berührt werden müssten. ​