Mülheim. Das Ruhrufer hinter dem Wehr an Mülheims Raffelberg ist massiv vermüllt. Feuchttücher, Binden und Tampons hängen bis zu vier Meter hoch.
Spaziergänger am Styrumer Ruhrbogen rümpfen die Nase beim Anblick des Ufergrüns: Auf mehreren hundert Metern Länge haben sich dort an Bäumen und Büschen Feuchttücher, Damenbinden, Tampons und allerlei Plastikmüll verfangen. Der Müll aus Abwasserkanälen hängt teilweise in bis zu vier Metern Höhe. Mülheims Stadtentwässerungsbetrieb hat dafür eine Erklärung.
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Leserin Sandra Wenzel traute zuletzt bei einem Spaziergang westlich des Wehrs am Raffelberg ihren Augen kaum, als sie all den Müll sah, der zu erheblichen Teilen aus der Abwasserkanalisation stammen muss. Sie wandte sich an die städtische Medl, deren Tochter SEM die Stadtentwässerung in Mülheim verantwortet.
„Es wird zu viel über die Toilette entsorgt“
Auf Nachfrage auch dieser Redaktion erklärte deren Teamleiter für Kanalplanung und Grundstücksentwässerung, Benjamin Böger, das unschöne Phänomen. Dass an den Uferbewuchs neben anderem Plastik- und Kunststoffmüll, der in die Ruhr gelangt, auch Hygieneartikel wie Feuchttücher, Toilettenpapier oder Tampons gespült werde, sei – leider – keine Ausnahmeerscheinung. Bei Hochwasser verwickelten sich diese in Ästen und Zweigen. Dass sie an der Ruhr am Raffelberg gar in vier Metern Höhe zu entdecken sind, liegt an dem Weidenbewuchs. Die biegsamen Weiden neigen sich durch die Kraft des Wassers und richten sich später wieder auf.
„Wenn sich die Leute daran halten würden, dass nur Klopapier in den Toiletten abgespült werden sollte, hätten wir das Problem nicht“, ergänzt Burkhard Malcus, Leiter der SEM-Planungsabteilung. Feuchttücher, Tampons, Taschentücher, auch Küchenpapier und Binden lösten sich im Gegensatz zu Toilettenpapier aber nicht im Wasser auf. „Es wird zu viel über die Toilette entsorgt“, so Malcus.
Mülheims Kanalsystem ist nicht auf Starkregen ausgerichtet
Warum aber landet überhaupt Abwasser samt Müll aus den Toiletten in der Ruhr? Dies erkläre sich mit dem Abwasserkanalsystem Mülheims und vieler anderer Städte, so Böger. Anders als etwa am Niederrhein seien im Mülheimer Boden zu 90 Prozent Mischwasserkanäle verbuddelt – das sei historisch gewachsen und praktisch auch nicht mehr zu ändern. In Mischwasserkanälen werden sowohl Abwässer als auch Regenwasser abgeführt.
Das Problem: Das Kanalnetz ist nicht so dimensioniert, dass es für jeden Starkregen ausreicht. Ein solches Netz vorzuhalten, so die SEM, sei viel zu teuer – und anfällig, weil in trockenen Zeiten zu wenig Wasser durch die großen Kanäle fließen würde und Ablagerungen entstünden, die wiederum kostenintensiv weggespült werden müssten. Einen Modernisierungsstau sehen die SEM-Verantwortlichen aktuell nicht. Der Kanalbau ist gebührenfinanziert. Jedes Jahr arbeitet die SEM ein mit der Stadt verabredetes Bauvolumen ab.
Toilettenmüll findet seinen Weg über Tauchwände und durch Rechen
Feuchttücher und Co. lassen auch Pumpen verstopfen
Dass Hygieneartikel wie Feuchttücher, Toilettenpapier, Tampons über das Abwasser ins Kanalsystem gelangen, sorgt nicht nur für die beschriebene, teils großflächige Verunreinigung von Uferbereichen.
Die SEM beklagt zudem massive betriebliche Störungen in abwassertechnischen Anlagen. „Die kommunalen Entwässerungsbetriebe haben in den vergangenen Jahren zunehmend mit verstopften Pumpen zu kämpfen, die unter erheblichen Aufwand gereinigt und wieder in Betrieb genommen werden müssen“, heißt es dazu.
Die SEM appelliert daher an die Bürger, nur Klopapier über die Toilette abzuspülen.
Weil nun aber der Durchmesser vieler Kanäle nicht üppig genug bemessen ist, um bei Starkregen das komplette Wasseraufkommen zu den Kläranlagen abzutransportieren, sind in den Abwassernetzen zur Entlastung Regenüberlaufe, Notüberläufe oder Regenüberlaufbecken eingebaut. Übersteigt der Wasserstand hier einen gewissen Pegel, wird Wasser in Bäche oder in die Ruhr abgeleitet.
Das Abwasser sei in diesen Fällen durch den hohen Anteil an Niederschlagswasser zwar „stark verdünnt“, so Böger. Doch sei technisch insbesondere nicht zu verhindern, dass auch Toilettenmüll seinen Weg über Tauchwände und durch Rechen finde. Etwa die Rechen könne man nicht zu kleinmaschig konzipieren, weil sie sich sonst schnell zusetzen würden.
Gerade bei Hochwasser rauscht das Wasser durch das Wehr einfach hindurch
Die SEM vermag aufgrund der zahlreichen an der Ruhr betriebenen Not- und Regenüberläufe nicht zu sagen, wo die extreme Verschmutzung des Ufers hinter dem Wehr am Raffelberg herrührt. Die Wehranlage jedenfalls selbst hält bei Hochwasser keinen Müll zurück, wie Tobias Knopp vom zuständigen Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt in Duisburg betont. Insbesondere bei Hochwasser lasse man das Wasser durchrauschen. „Da wird nichts gefiltert und nichts gesiebt.“