Mülheim. Hilfe ist ihr Kerngeschäft, doch die Corona-Krise bringt die Wohlfahrtsverbände selber in Gefahr. Kann die Stadt Mülheim da etwas retten?
Mit einem offenen Brief haben sich die Mülheimer Wohlfahrtsverbände vor rund einer Woche an den Oberbürgermeister gewandt. Es ist ein Hilferuf, und weil er so dringend klingt, kam auch rasch eine Reaktion. Nicht der erkrankte OB, aber andere führende Vertreter der Stadt haben am Dienstag zum runden Tisch ins Rathaus eingeladen. Ihr Minimalversprechen: Kein Verband darf pleite gehen.
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In ihrem Schreiben schildern die Wohlfahrtsverbände, wie sich die Corona-Krise auf ihre alltägliche Arbeit auswirkt, und wie sie an ihren wirtschaftlichen Grundlagen rüttelt. Formuliert wurde der Brief von der Arbeitsgemeinschaft (AG) der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege in Mülheim, deren Vorsitz derzeit Natalia Thoma innehat, Geschäftsführerin des DRK. Adressaten waren neben dem OB auch der Verwaltungsvorstand und die Ratsfraktionen.
Soziale Kontakte reduzieren - aber Menschen in der Krise helfen
Einen schwierigen Spagat haben die Verbände zu bewältigen: Einerseits sollen soziale Kontakte reduziert werden, andererseits sind viele ihrer Klienten oder Kunden in existenzielle Krise geraten, benötigen Betreuung. Überall seien die Mitarbeiter - trotz der Infektionsgefahr - bereit, ihren Job zu machen - in der Pflege, Jugend-, Wohnungslosenhilfe und an etlichen anderen Stellen.
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Doch viele Leistungen können nun nicht mehr persönlich erbracht werden, Fachleistungsstunden fallen weg, Einrichtungen werden geschlossen. Dadurch „steht die Refinanzierung der sozialen Arbeit sowie des gesamten Gesundheits- und Pflegebereichs auf der Kippe“, argumentiert die AG in ihrem offenen Brief, „und drängt einige Dienste und Organisationen schon jetzt an den Rand einer Insolvenz“. Erschwerend komme hinzu, dass gemeinnützige Träger kaum Rücklagen bilden dürften.
Flächendeckende Entlassungen und Insolvenzen vermeiden
Erfreulicherweise gebe es erste Signale von Bund und Land, die Finanzierung sozialer Arbeit in der Corona-Krise zu sichern, so die Wohlfahrtsverbände, auch bei eingeschränkten Leistungen. Nun erbitten sie auch „ein klares Signal der Stadtspitze“ in diese Richtung. Alle Pflicht- und freiwilligen Aufgaben, die den freien Trägern übertragen wurden, sollten weiterhin vergütet werden. Denn: „Die Mittel sind im Haushalt bereitgestellt und genehmigt.“ Sie würden benötigt, „damit wir flächendeckende Entlassungen oder Insolvenzen vermeiden können“. Die Wohlfahrtsverbände wünschen sich daher „schnelle und unbürokratische Lösungen“.
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Um diese ging es am Dienstag in einer ersten Gesprächsrunde, zu der Sozialdezernent Marc Buchholz geladen hatte. Mit dabei waren Stadtdirektor Frank Steinfort, die Leitungen des Sozial-, Jugend- und Rechtsamtes sowie Vertreter aller großen Wohlfahrtsverbände.
Buchholz hatte schon im Vorfeld deutlich gemacht, dass es keine sofortigen Ergebnisse und konkreten Berechnungen geben könne. Zu unterschiedlich seien die verschiedenen Leistungsbereiche, zu fließend die Rechtslage in der aktuellen Krise. „Die Betreuung in den Kitas oder in der OGS beispielsweise ist zu 100 Prozent durchfinanziert“, so Buchholz.
Tief verschuldete Kommune stößt schnell an Grenzen
Er gibt auch zu bedenken, dass Mülheim als tief verschuldete Stärkungspaktkommune schnell an Grenzen für finanzielle Hilfeleistungen stoße. „So einfach, wie die Träger es sich denken, ist es nicht“, erklärt Buchholz. „Nur, weil die Gelder im Haushalt vorgesehen sind, können wir jetzt nicht automatisch zahlen. Es gibt feste Verträge und Bescheide.“
Politik signalisiert Unterstützung
Sowohl die CDU als auch die SPD in Mülheim haben umgehend auf den offenen Brief der Wohlfahrtsverbände reagiert. In ihren Stellungnahmen findet sich die gleiche Formulierung: Man dürfe die Verbände „nicht im Regen stehen lassen“.
Die CDU-Fraktion verspricht, für eine auskömmliche Sicherheitsfinanzierung der Einrichtungen zu werben, die von der Freien Wohlfahrtspflege getragen werden. Sie geht davon aus, dass diesem Anliegen „mit welchen Förder-Instrumenten auch immer, in den nächsten Wochen von Politik und Verwaltung Rechnung getragen wird“.
Ebenso signalieren Parteivorstand und Ratsfraktion der SPD „Verständnis und Unterstützung“ für die Bitte der Mülheimer Wohlfahrtsverbände nach finanzieller Absicherung ihrer wichtigen sozialen Arbeit.
In einer eigenen Stellungnahme fordert auch Monika Griefahn, OB-Kandidatin der SPD, einen Rettungsschirm für die Wohlfahrtsverbände. Sie schreibt: „In dieser Krisenzeit ist es notwendig, funktionierende soziale und durch das Ehrenamt unterstützte Strukturen abzusichern, denn wir werden die soziale Arbeit nach der Corona-Krise mehr denn je brauchen.“
Keinesfalls will die Stadt aber zusehen, wie Wohlfahrtsverbände in die Pleite rutschen: „Wir wollen nicht, dass irgendjemand in Schieflage kommt“, versichert Buchholz. Es sei wichtig, im Gespräch zu bleiben. Die Träger sollten rechtzeitig Alarm schlagen. Nach den Osterferien werde es eine offizielle Antwort des Stadtdirektors auf den offenen Brief geben.
Stadt: „Wir lassen keinen Verband vor die Wand fahren“
Natalia Thoma, Vorsitzende der AG, äußert sich nach dem ersten Gespräch hoffnungsvoll: „Allen ist der Ernst der Lage bewusst. Alle wollen, dass es auch nach der Corona-Krise eine funktionierende Landschaft der Wohlfahrtsverbände gibt.“ Vereinbart habe man, jeden Einzelfall genau anzuschauen. Das Sozialamt wird eine Abfrage bei allen Trägern starten. „Wir lassen keinen Verband vor die Wand fahren“, versichert die Stadt in Person ihres Sprechers Volker Wiebels. Leicht wird es nicht.