Mülheim. Mülheims Krisenstab zur Corona-Pandemie gibt im Interview Auskunft zur aktuellen Lage in der Stadt. Ein weiteres Behelfskrankenhaus steht parat.

Eine weitere Woche mit Kontaktsperre und Coronavirus liegt hinter der Stadt. Wir haben zur Lage in der Stadt mit dem Leiter des Krisenstabs, Stadtdirektor Frank Steinfort, und Feuerwehr-Chef Sven Werner gesprochen.

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Sie haben soeben die neuerliche Sitzung des Krisenstabs verlassen. Was ist die wesentliche Entscheidung, die dort heute gefallen ist?

Steinfort: Wir haben noch mal nachgefasst, wie es um Menschen in Pflege- und Alteneinrichtungen bestellt ist, die besonders gefährdet sind. Wir haben heute ein Schreiben an die Geschäftsführungen aufgesetzt, in dem wir ihnen klarmachen, dass Personen, die krank waren und jetzt wieder zur Arbeit zurückkommen, auf jeden Fall vorher noch mal untersucht werden.

Noch mal von den Senioreneinrichtungen weg. Große Sorge hat zuletzt der Mangel an Schutzkleidung und Masken sowie Desinfektionsmitteln gemacht. Wie umfangreich konnte Material nachgeliefert werden?

Branddirektor Sven Werner ist Chef von Mülheims Feuerwehr. In der Hauptfeuerwache ist er Hausherr des Mülheimer Krisenmanagements.
Branddirektor Sven Werner ist Chef von Mülheims Feuerwehr. In der Hauptfeuerwache ist er Hausherr des Mülheimer Krisenmanagements. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Werner: Es ist nach wie vor ein großes Problem – insbesondere die Beschaffung von Masken. Weit über 100.000 bestellte Masken sind bis heute nicht gekommen, obwohl es Zusagen dafür schon vor zwei Wochen gab. Lieferanten teilen uns immer wieder mit, dass es irgendwo auf dem Lieferweg hängen bleibt. Was Desinfektionsmittel angeht, sind wir auf einem guten Weg, neue Lieferanten zu erschließen, die lokal verortet sind und uns so viel liefern, dass wir gut über die Runden kommen. Das Max-Planck-Institut hat speziell für uns eine Destillationsanlage aufgestellt. Da sind wir extrem dankbar. Wir bekommen immer wieder von lokalen Unternehmen Angebote, dass sie uns was zur Verfügung stellen können, teilweise gar zum Einkaufspreis. Vom Land bekommen wir auch was, aber nicht so große Mengen, dass man sich beruhigt zurücklehnen könnte. Wir müssen uns weiter sehr, sehr stark selber organisieren.

Für ambulante Pflegedienste und Seniorenheime hat die Stadt nun ehrenamtliche Hilfe über den CBE organisiert. Dort nähen Engagierte Behelfsmasken. Wie weit ist die Produktion?

Werner: Es ist angelaufen, wir haben auch mit kleineren Firmen gesprochen. Die Ehrenamtlichen versuchen wir zu motivieren, dass sie Masken produzieren und insbesondere an Bekannte, Freunde, Nachbarn, Vereine abgeben. Bei größeren Mengen hoffen wir, die Masken als rudimentären Primärschutz einsetzen zu können.

Insbesondere die Situation zu pflegender Menschen aus der Risikogruppe macht Sorgen. Es gab auch schon Infizierte in Mülheimer Wohnheimen. Wie ist aktuell die Lage?

Steinfort: Die Lage ist stabil. Wir haben aktuell keine akuten Gründe zur Sorge. Im Fliedner-Heim gibt es die Quarantäne – die, wie es heute im Krisenstab ein Arzt gesagt hat, vorbildlich organisiert ist. Wir hoffen, dass sich das Virus dort nicht ausbreitet.

Auf welchem Stand sind die Vorbereitungen der Krankenhäuser für den Ernstfall?

Werner: Auf einem sehr guten. Wir stimmen uns eng mit ihnen ab und haben ein sehr gutes Gefühl, dass beide Krankenhäuser das Maximum vorbereiten und wirklich gut aufgestellt sind. Beide haben ihre Kapazitäten deutlich hochgefahren. Die zusätzlichen Betten können jederzeit aktiviert werden.

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Sie haben auf dem Kirmesplatz in Saarn eine medizinische Station in acht Holzhäusern eingerichtet. Planen Sie auch darüber hinaus?

Werner: Wir haben konkrete Vereinbarungen getroffen mit der katholischen Akademie Wolfsburg, so dass wir jetzt zwei Einrichtungen haben. In dem Behelfskrankenhaus auf dem Kirmesplatz in Saarn könnten wir infizierte Personen unterbringen, in der Wolfsburg nicht-infizierte Patienten. Es geht aber nur um Patienten, die keiner intensivmedizinischen Versorgung mehr bedürfen, sondern nur noch einer leichteren Pflege.

Rechnen Sie fest mit dem Notstand, dass die Krankenhäuser allein die Versorgung von Patienten nicht mehr stemmen können?

Werner: Der Blick nach Bergamo, der Blick nach Straßburg, der Blick nach Madrid lässt zumindest Schlimmes befürchten. Wir sind alle froh, wenn wir es nicht brauchen. Aber da wir nicht orakeln können, stellen wir uns auf den schlimmsten Fall ein.

Die Stadt hat sich in einem Appell an die Bürger mit Erfahrungen in der Pflege, im medizinischen und im Rettungsdienst gerichtet, sich auf Abruf zur freiwilligen Mitarbeit zur Verfügung zu stellen. Wie ist die Resonanz?

Werner: Erstaunlich gut. Es haben sich schon über 70 Personen gemeldet mit unterschiedlichsten Qualifikationen aus dem pflegerischen, medizinischen Bereich.

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Die Stadt hat in der Hauptfeuerwache ein großes Krisenzentrum eingerichtet. Bitte geben Sie knapp einen Stand ab, was dort wie viele Mitarbeiter mittlerweile koordinieren.

Steinfort: Das Krisenzentrum hat keine feste Besetzung. Die Besetzung ist abhängig von der Lage. Es wird in Schichten gearbeitet. Man kann wohl sagen, dass derzeit etwa 40 Personen regelmäßig mit Arbeiten im Krisenzentrum befasst sind. Es können aber auch in Spitzenzeiten bis zu 100 sein. Neu in dieser Woche dazugekommen ist ein psycho-soziales Online Monitoring (POM): Vor allem Beiträge aus Facebook werden ausgewertet – und zwar alle, nach 13 Kategorien. Auf diese Weise versuchen wir, das Stimmungsbild in der Bevölkerung besser zu erfassen.

Wie ist denn das Stimmungsbild Ihrer Beobachtung nach?

Steinfort: Die allgemeine Stimmung ist sehr gelassen. Teilweise sogar etwas humorvoll. Es gibt aber natürlich auch Einzelne, die sehr verzweifelt sind. Wir haben vor, gerade die Einsamen auf breiter Basis über Hilfsangebote zu informieren. Wir werden Flugblätter in Einrichtungen verteilen, wo Menschen isoliert leben müssen. Da sind dann alle Telefonnummern drauf, mit wem man in Kontakt treten kann für Hilfen. Auch eine Broschüre mit Hilfsangeboten wollen wir nächste Woche fertigstellen und großflächig streuen. Wir wissen aus unserer Analyse ziemlich genau, wo der Schuh drückt, und reagieren darauf mit unseren Hilfsangeboten.

In dieser Woche wurde bei einem ersten Feuerwehrmann eine Infizierung mit dem Coronavirus bekannt. Wie groß ist Ihre Sorge, dass die Pandemie das Krisenmanagement nachhaltig gefährdet?

Stadtdirektor Frank Steinfort ist der Leiter des Mülheimer Krisenstabs. „Es ist schon anstrengend, sehr anstrengend“, sagt er. „Aber wir haben unsere Kräfte beisammen.“
Stadtdirektor Frank Steinfort ist der Leiter des Mülheimer Krisenstabs. „Es ist schon anstrengend, sehr anstrengend“, sagt er. „Aber wir haben unsere Kräfte beisammen.“ © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Steinfort: Für neun Personen ist sofort Quarantäne angeordnet worden. Wir gehen davon aus, dass die Leistungsfähigkeit der Feuerwehr in keiner Weise gefährdet wird.

Was werden die drängenden Fragen der nächsten Woche sein?

Steinfort: Die Weiterentwicklung der Infektionen, die Beschaffung von Schutzausrüstung und die Klärung der finanziellen Unterstützung durch Bund und Land.

Hat der Kämmerer denn schon schlaflose Nächte?

Steinfort: Das Land plant den Städten das Recht einzuräumen, die Corona-bedingten Kosten ähnlich wie seinerzeit die Kosten der Flüchtlingsaufnahme aus ihrer Haushaltsrechnung herauszurechnen, um so ermitteln zu können, ob wir überhaupt einen genehmigungsfähigen Haushalt haben. Würden wir die Corona-Kosten einrechnen, würden wir alle in NRW wahrscheinlich keine genehmigungsfähigen Haushalte mehr haben. Trotzdem wird es wieder so sein, dass die Kommunen erhebliche finanzielle Mehrbelastungen dauerhaft zu tragen haben.

Die Stadt erwartet erneut ein Wochenende unter den schwierigen Bedingungen der Kontaktsperre. Sie haben gedroht, bei weiter zu beobachtenden Verstößen etwa die Müga zu sperren. Wie stark werden am Wochenende neuralgische Orte, etwa auch Eisdielen, kontrolliert?

Steinfort: Wir werden mit fast allen Kräften draußen sein, das sind etwa 20 Personen. Die neuralgischen Orte, darunter auch die Müga und Lebensmittelgeschäfte, haben wir priorisiert und werden auch überall kontrollieren. Es ist kein Kavaliersdelikt, vor der Eisdiele zu sitzen und Eis zu essen. Die Regel ist: Im Umkreis von 50 Metern darf das Eis nicht gegessen werden. Wir nehmen das ernst, sonst klappt es mit dem Kontaktverbot nicht.

Das lange Osterwochenende steht bevor. Erneut ist ein Ansturm etwa auf die Lebensmittelmärkte zu erwarten. Was hält der Krisenstab mit Blick auf Ostern im Fokus?

Steinfort: Das Wochenende sehen wir wie jedes andere. Wir haben aber eine Task Force gebildet aus drei niedergelassenen Ärzten und zwei Vertretern des Gesundheitsamtes, die auch über Ostern Untersuchungen machen und für Fragen zur Verfügung stehen.

Seit Wochen nun schon fährt die Stadt im Krisenmodus. Sind noch alle Kräfte beisammen?

Steinfort: Wir verständigen uns auf ein „Ja“. (lacht) Es ist schon anstrengend, sehr anstrengend. Aber wir haben unsere Kräfte beisammen.

Werner: Wir erleben in der Stadtverwaltung eine wahnsinnig hohe Motivation. Mitarbeiter, die mit hohem Einsatz dabei sind. Das ist auch ein positives Zeichen für eine gute, leistungsstarke Stadtverwaltung. Deswegen haben wir an der Stelle gar keine Sorgen.