Mülheim. Die „Kommunale Planung für Alter und Pflege“ in Mülheim dokumentiert, was gut läuft und wo es hakt. Handlungsbedarf gibt es bei der Teilhabe.
Knapp ein Drittel der Menschen in Mülheim hat den 60. Geburtstag schon hinter sich, Tendenz steigend. Sicher darf man diese Männer und Frauen als „älter“ bezeichnen, aber ansonsten sagen die Lebensjahre nicht sehr viel. Manche sind tatsächlich hilfsbedürftig, andere ehrenamtlich schwer aktiv oder noch berufstätig. Nun gibt es einen neuen Bericht zur Generation 60plus in Mülheim, der aufzeigt, was gut läuft, und wo es noch hakt.
Ziel: das Alter aus der Problemzone herausholen
Verfasst wurde die „Kommunale Planung für Alter und Pflege“ von Jörg Marx, Projektentwickler im Mülheimer Sozialamt. Unterstützt haben ihn etliche Akteure aus Verwaltung und Stadtteilarbeit. Nach der ersten Präsentation in der Kommunalen Konferenz für Alter und Pflege wurde der Bericht kürzlich im Seniorenbeirat öffentlich vorgestellt. Es geht darum, so heißt es gleich im Vorwort, „das Alter aus der Problemzone herauszuholen“. Nicht nur an Pflegebedürftigkeit zu denken, sondern an die Stärken älterer Leute anzuknüpfen. „Vor allem Menschen in der nachberuflichen Phase bringen sich sehr ein, um der Gesellschaft etwas zurückzugeben“, erläuterte Jörg Marx im Seniorenbeirat.
Ganz neu ist der Gedanke „Älterwerden als Chance“ in Mülheim nicht. Bereits seit zehn Jahren gibt es hier das Netzwerk der Generationen, ein vom Sozialamt koordiniertes Bürgerbündnis, inzwischen mit Arbeitsgruppen in Dümpten, Altstadt I und II, Styrum, Speldorf und Saarn. Aktive aus verschiedenen Altersgruppen arbeiten fortlaufend daran, die Lebensverhältnisse für Senioren in den Stadtteil zu optimieren. Der neue Planungsbericht zieht daher auch eine Zwischenbilanz dieser Netzwerkarbeit nach einem Jahrzehnt.
Besonders hoher Seniorenanteil in Saarn
Der Anteil der Generation 60plus ist in den Mülheimer Stadtteilen unterschiedlich hoch, er liegt zwischen 23,5 Prozent in Styrum und knapp 34 Prozent in Saarn (siehe Grafik). Aber wenn man die absoluten Zahlen betrachtet, hat man
beispielsweise in der Altstadt wesentlich mehr ältere Menschen als in Broich, quantitativ also höheren Betreuungs- und Beratungsbedarf. Darauf wird im Bericht deutlich hingewiesen.
Handlungsbedarf besteht besonders in folgenden Bereichen: Teilhabe und Partizipation, Wohnen in der vertrauten Umgebung sowie Sicherheit, Mobilität, Versorgung, Zugang zu Informationen. In jedem Bereich gibt es schon gut funktionierende Angebote in Mülheim. Ein Beispiel: Seit 2009 können vor allem ältere und hilfebedürftige Bürger auf die Initiative „Nah&Fair“ zurückgreifen, in der sich Dienstleister (etwa Handwerker) und Verbände ausdrücklich zu ordentlicher Arbeit, persönlicher Beratung und fairen Preisen verpflichten.
Oder: das Projekt Alltagsassistenz der Pia-Stiftung für allein lebende Senioren mit geringem Einkommen. Im Vorjahr haben zwölf Alltagshelfer älteren Menschen insgesamt 2076 Besuche abgestattet, oft geht es um Leute, die nicht pflegebedürftig sind, aber kaum soziale Kontakte haben, ansonsten einsam sind.
Erfolgreich betrieben wird etwa auch der Bürgerbus in Styrum, den Ehrenamtliche seit mehr als sechs Jahren über
Strecken fahren, die die Ruhrbahn nicht mehr bedient. Gerade das Thema Nahverkehr sei allerdings eine „große Baustelle“mit Blick auf die Mobilität älterer Menschen in Mülheim, meint Jörg Marx. Ebenso die Nahversorgung: Während sie in der Stadtmitte recht gut sei „ist in den Außenbezirken bereits seit Jahren ein Ausdünnen festzustellen“, heißt es im Bericht. So in Saarn, wo vor allem Senioren beklagen, dass es nach der Schließung der Tengelmann-Filiale keinen Supermarkt mehr im Dorf gibt.
Ängste im öffentlichen Raum ernst nehmen
Einen hohen Stellenwert für ältere Leute hat auch das Thema Sicherheit. „Das subjektive Empfinden, sich (...) im öffentlichen Raum unsicher zu fühlen, muss ernst genommen werden“, so Marx. Für den Herbst ist in Mülheim eine gemeinsame Informationsveranstaltung mit dem zuständigen Essener Polizeikommissariat und dem Seniorenbeirat geplant. Eingeladen werden soll auch Elisabeth Auchter-Mainz, Opferschutzbeauftragte des Landes NRW.
Die „Kommunale Planung für Alter und Pflege“ ist mit dem jüngsten Bericht keineswegs abgeschlossen, sondern soll künftig alle zwei Jahre überarbeitet werden. Einige der nächsten Ziele sind: Schaffung weiterer Anlaufstellen in den Quartieren und Aufbau eines tragfähigen Unterstützungsnetzwerkes in den Stadtteilen, bei dem Ehrenamtliche und Profis zusammenwirken. Hierfür müsste es aber mehr Geld geben, heißt es, man solle sich um Landesmittel, finanzielle Unterstützung durch die Krankenkassen oder Stiftungen bemühen.
Die gesetzlichen Grundlagen
Laut §7 des Alten- und Pflegegesetzes NRW (APG) sind die Kommunen verpflichtet, eine „Örtliche Planung“ vorzulegen. Sie umfasst eine Bestandsaufnahme der Angebote, die Frage, ob diese qualitativ und quantitativ ausreichen, und weitere erforderliche Maßnahmen.
Geplant werden sollen insbesondere komplementäre Hilfen, Wohn- und Pflegeformen, Weiterentwicklung der Infrastruktur sowie Angebote wie persönliche Assistenz. Ziel ist die Sicherung eines würdevollen, inklusiven und selbstbestimmten Lebens auch im Alter.
Weitere Quartierswerkstätten im Herbst geplant
Sehr bewährt in Mülheim, um selbstbestimmtes Leben im Alter zu fördern, haben sich auch die Quartierswerkstätten. Die nächsten finden im September in Speldorf und im Oktober/November in Heißen statt.
Der Bericht „Kommunale Planung für Alter und Pflege“ soll im Herbst mit einem zweiten Teil fortgeschrieben werden, in dem es dann um Würde und Lebensqualität in der Pflege geht.