Mülheim. Einen Antrag auf ein OB-Abwahlverfahren im Stadtrat muss mindestens die Hälfte der Ratsmitglieder unterzeichnen. Die SPD buhlt um Unterstützer.

SPD-Fraktionschef Dieter Spliethoff steht nach seiner Ankündigung, ein OB-Abwahlverfahren in Gang setzen zu wollen, unter (Zeit-)Druck. Ein entsprechender Antrag ist nicht nur bis zum 13. Juni einzureichen. Auch müssen ihn mindestens die Hälfte der Ratsmitglieder mittragen.

Schon direkt nach der SPD-Fraktionssitzung am Mittwochnachmittag war Spliethoff dem Vernehmen nach auf die Vorsitzenden anderer Ratsfraktionen zugegangen, um Unterstützung einzuwerben für die SPD-Initiative, das Ende der Amtszeit von Oberbürgermeister Ulrich Scholten einzuleiten.

Dieter Spliethoff, Vorsitzender der SPD-Ratsfraktion in Mülheim, muss auf eine Zweitdrittel-Mehrheit im Stadtrat hinarbeiten, um das Abwahlverfahren des Oberbürgermeisters erfolgreich initiieren zu können.
Dieter Spliethoff, Vorsitzender der SPD-Ratsfraktion in Mülheim, muss auf eine Zweitdrittel-Mehrheit im Stadtrat hinarbeiten, um das Abwahlverfahren des Oberbürgermeisters erfolgreich initiieren zu können. © Funke Foto Services | Martin Möller

Bis zum 13. Juni müsste Spliethoff die Unterschriften von 28 Ratsmitgliedern unter dem Antrag zusammen haben. Für die Sitzung des Stadtrates am 27. Juni wären wohl 36 Stimmen zu organisieren (wenn der OB nicht mitstimmen darf, was am Freitag nicht zu klären war), damit das Abwahlverfahren tatsächlich in Gang kommen könnte. Letztlich hätten die Bürger das Wort: Soll der OB im Amt bleiben oder nicht?

In der SPD ist von „maximaler Spaltung“ die Rede

Ohne OB-Stimme verfügt die SPD über 19 Stimmen im Stadtrat. Dabei ist nach Informationen dieser Zeitung schon klar, dass die tief zerstrittene SPD bei einer namentlichen Abstimmung im Rat nicht mit einem einheitlichen Votum auftreten wird. Ein Genosse spricht gar von „maximaler Spaltung“, von zehn Befürwortern und neun Gegnern.

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Bei der Fraktionssitzung am Mittwoch sollen von 19 Fraktionsmitgliedern wegen des langen Wochenendes nur elf anwesend gewesen sein. Zum Antrag auf ein Abwahlverfahren soll es zu einer Kampfabstimmung gekommen sein. Während Fraktionschef Spliethoff am Freitagmorgen von einer „klaren Mehrheit“ für den Antrag sprach, berichteten andere Genossen von sechs Befürwortern und fünf Gegenstimmen. Auf Nachfrage sagte Spliethoff: Es sei gar nicht abgestimmt worden. Es hätten nur einige den Antrag schon unterzeichnet.

SPD-Fraktionsmitglied beklagt: Initiative ist ein „Selbstmordkommando“

Die Hauruck-Aktion des Fraktionsvorsitzenden schade nicht nur der Stadt und lenke von wichtigen Themen ab, etwa VHS, ÖPNV, Haushalt oder Kinderarmut, heißt es aus Fraktionskreisen. Und: „Es wird unabhängig vom Ausgang die Mülheimer SPD auf Dauer schädigen“, sagt ein Fraktionsmitglied, der die Initiative zur OB-Abwahl als „Selbstmordkommando“ bezeichnet.

Spliethoff wird so auch massiv Unterstützung von Stadtverordneten jenseits der SPD brauchen. Bereits am Freitagmorgen signalisierte die Fraktion des Bürgerlichen Aufbruchs, den Antrag auf ein Abwahlverfahren unterstützen zu wollen. Die Initiative sei „ein längst überfälliger Schritt zur politisch-moralischen Hygiene“, so ihr Fraktionschef Jochen Hartmann. Scholten habe sich diskreditiert, auch „unbeschadet der Ergebnisse des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens“ hinsichtlich seiner Spesenabrechnungen, die den Verdacht der Untreue hatte aufkommen lassen.

CDU-Fraktionschefin signalisiert zwischen den Zeilen Unterstützung

Christina Küsters (CDU, Mitte) will erst die Fraktionssitzung nächste Woche abwarten, deutete aber eine mögliche Zustimmung an.
Christina Küsters (CDU, Mitte) will erst die Fraktionssitzung nächste Woche abwarten, deutete aber eine mögliche Zustimmung an. © Funke Foto Services | Martin Möller

Die BAMH-Fraktion benannte „die unverhältnismäßige Grundsteuererhöhung, die grausame Umsetzung des Friedhofsentwicklungskonzeptes, den Kahlschlag beim ÖPNV, das seltsame Amtsverständnis und das mangelnde Engagement für Industrie und Gewerbe“ als „nur einige Themen, die dauerhaft mit der Amtszeit Scholtens in Erinnerung bleiben werden“.

Für die CDU deutete Fraktionschefin Christina Küsters zumindest Unterstützung an, wenn sie auch aus ihrem Urlaub heraus der Fraktionssitzung am kommenden Mittwoch nicht vorgreifen wolle. Die Fraktion werde „in Ruhe darüber beraten“. Fakt sei aber, dass die CDU schon mehrfach im vergangenen Jahr das Amtsverständnis von Scholten kritisiert habe.

Grüne kritisieren inhaltliche Schwäche des OB in schwieriger Zeit

Ob es der Umgang mit seinen Bewirtungsbelegen sei, der Ärger um den Masterplan Industrie & Gewerbe oder Scholtens jüngste Äußerungen zum ÖPNV-Sparkonzept, mit denen er sich wiederholt gegen Ratsbeschlüsse stelle. . . Laut Küsters gibt es in der CDU massive Kritik am OB. „Es ist schwierig und nicht gut, wie es im Moment für die Stadt läuft.“ Diese Erkenntnis werde sicher in die Entscheidung der CDU-Fraktion einfließen.

Deutlicher als Küsters äußerte sich am Freitag Grünen-Fraktionssprecher Tim Giesbert: „Vorbehaltlich unserer Fraktionssitzung am Montag werden wir dem Antrag zum Abwahlverfahren beitreten.“ Die Grünen hätten stets gesagt, den OB nicht an seinen mutmaßlichen Verfehlungen bei der Spesenabrechnung, sondern inhaltlich messen zu wollen. „Wir haben vom OB da in den vergangenen Monaten keine Impulse wahrgenommen“, sei hier etwa für die Debatte um die Zukunft des Wirtschaftsstandortes, den Haushalt oder den ÖPNV zu konstatieren.

Bei der FDP sind die Würfel noch nicht gefallen

So regelt die Gemeindeordnung das Abwahlverfahren

In der NRW-Gemeindeordnung ist in Paragraf 66 geregelt, dass aus dem Stadtrat heraus ein Abwahlverfahren für den Oberbürgermeister eingeleitet werden kann. Hierfür ist es notwendig, dass mindestens die Hälfte aller Ratsmitglieder den Antrag dazu gegenzeichnet. Der Antrag muss zwei Wochen vor einer Ratssitzung gestellt sein.

Damit der Antrag Erfolg hat, bedarf es eines Ratsbeschlusses, der von zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl der Ratsmitglieder getragen wird.

Infolge des Ratsbeschlusses müsste ein Votum der Bürger eingeholt werden. Wenn die Wahlbeteiligung mindestens 25 Prozent beträgt, kann der Oberbürgermeister mit einfacher Mehrheit abgewählt werden.

Sobald der Wahlausschuss die Abwahl feststellt, scheidet der OB aus dem Amt aus.

„Der OB hat zwar stets erklärt, dies und das zur Chefsache machen zu wollen, ist aber nie vorangegangen“, kritisiert Giesbert mangelnde Führung. Darüber hinaus stoße sauer auf, dass Scholten mit verschiedenen Äußerungen jüngst in den sozialen Medien und in Interviews die Politik untereinander auszuspielen versuche. Eine solche, zusätzliche Spaltung könne die Stadt in ihrer momentan schwierigen Situation nicht gebrauchen.

Bei der FDP sind laut Fraktionschef Peter Beitz die Würfel noch nicht gefallen. Fraktionsmitglieder und Parteivorsitzender seien noch nicht einer Meinung, ob sie den Antrag aus der SPD-Fraktion stützen werden. „50:50“ stehe es, so Beitz, der sagte, dass er Scholten persönlich für einen intelligenten Menschen halte – „was er politisch macht, ist eine andere Sache“.

MBI: Scholten ist nicht der Einzige, der Chaos anrichtet

Auf Unterstützung der Mülheimer Bürgerinitiativen kann SPD-Fraktionschef Spliethoff wenig überraschend nicht hoffen. Fraktionssprecher Lothar Reinhard hält eine Abwahl Scholtens nur ein Jahr vor der nächsten Kommunalwahl für Unfug. Scholten sei auch nicht der Einzige in der Verwaltung, „der Chaos anrichtet“, so Reinhard mit Blick auf die Debatten um den ÖPNV, die VHS, den Ruhrbadestrand, die Friedhöfe oder die Grundsteuer. Statt mit einem Abwahlverfahren sollten sich Verwaltung und Politik den „wirklichen Problemen“ der Stadt und derer Analyse widmen.