Mülheim. Vor einem Jahr gelangte die Affäre um Mülheims OB Ulrich Scholten ins Licht der Öffentlichkeit. Seinen Stuhl hat er nicht geräumt. Ein Interview.
Den 28. Mai 2018 wird Oberbürgermeister Ulrich Scholten wohl nicht so schnell vergessen. An diesem Tag vor einem Jahr erreichte Mülheims OB-Affäre das Licht der Öffentlichkeit. Wir sprachen mit dem OB über das vergangene Jahr und darüber, warum er immer noch im Amt ist.
Herr Scholten, Ihre SPD hat in Mülheim mit 15,7 Prozentpunkten noch mal vier Punkte mehr bei der Europawahl verloren als im Bundestrend. Sehen Sie die Ursache auch in den Querelen um Ihre Person?
Scholten: Ich glaube nicht, dass das eine große Rolle gespielt hat. Wir haben ja die Trends gesehen. Da sind wir nicht so weit vom Bundestrend entfernt.
Heute vor einem Jahr hatten Sie mich und einen Kollegen einer anderen Zeitung zu sich nach Hause eingeladen, um das Signal auszusenden, dass Sie nach dem Tod Ihrer Frau gewillt seien, zügig ins Rathaus zurückzukehren. Am selben Nachmittag erläuterte Kämmerer Mendack der SPD-Fraktion, dass er wegen Ihrer Spesenabrechnungen externe Wirtschaftsprüfer eingeschaltet hatte. Massive Kritik an Ihrer Amtsführung wurde laut, Ihnen wurde vorgeworfen, der Stadtentwicklung keine Impulse zu verleihen. Die „OB-Affäre“ war an die Öffentlichkeit gezerrt. Heute sind Sie immer noch OB. Warum?
Ich habe einen Wählerauftrag. Da zählen nicht die Einzelmeinungen von vier Personen, die mir angedient haben, ich solle mein Amt niederlegen [Anm. d. Redaktion: Gemeint sind Kämmerer Mendack, Ex-Sozialdezernent Ernst sowie die SPD-Fraktionsspitze um Dieter Spliethoff und Claus Schindler]. Der Rat der Stadt hat mit mir bisher, mal vorsichtig gesagt, viel diskutiert zu diesen Themen und weitere Vor- und Anwürfe angebracht. Aber er hat bis heute keine Konsequenz gezogen und ein Abwahlverfahren initiiert. Ich bin pflichtbewusst genug, den Wählerauftrag von 2015 bis zum nächsten Jahr zu erfüllen.
„Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund für einen Rücktritt“
Würden Sie dem Stadtrat Feigheit vorwerfen, Sie da vor sich herzutreiben, aber die Konsequenz eines Abwahlverfahrens bislang gescheut zu haben?
Manche der massiven Anwürfe im Rat haben mich schon erstaunen lassen, dass man es dabei hat bewenden lassen. Ich gehe daher davon aus, dass es keine homogene Meinung dazu gibt, was die Qualität meiner Amtsführung angeht. Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund für einen Rücktritt. Ich bin gewählt bis Oktober 2020.
Sie sind seit einem Jahr politisch isoliert. Warum meinen Sie, der hoch verschuldeten Stadt weiter ein Oberbürgermeister sein zu können, der Lösungen präsentieren kann für all die Probleme?
Ich bin Chef der Verwaltung und Vorsitzender des Rates. Ich kümmere mich um die Themen, etwa die Umsetzung der Haushaltskonsolidierung als Stärkungspakt-Kommune. Mein Engagement ist nach wie vor das gleiche. Die Skandalisierung von Themen, die was mit meiner Person zu tun haben sollen, überlagert vieles an politischem Handeln.
„Die Aufstellung des Haushaltes ist immer die Domäne des Kämmerers“
Sie haben gerade die Haushaltsberatungen angesprochen, die jetzt wieder voll im Gange sind. Im vergangenen Jahr ist Ihnen vorgeworfen worden, dass Sie am Arbeitskreis Haushalt, an den Beratungen nicht teilgenommen, auch Haushaltsklausuren Ihrer Partei geschwänzt haben. Werden Sie sich in diesem Jahr mehr einbringen?
Der Vorwurf ist an den Haaren herbeigezogen. Es hat sich hier noch kein Oberbürgermeister in die Haushaltsberatungen eingebracht. Die Aufstellung des Haushalts, die Diskussion in den Fraktionen ist immer die Domäne des Kämmerers gewesen. Es gibt auch gute Gründe dafür, dass dies bei der Fachverwaltung liegt.
Es gibt aber doch die Erwartung, dass ein Oberbürgermeister politisch vorangeht, politisch initiativ wird. Skizzieren Sie doch mal eine dieser notwendigen Lösungen, die Sie ins Spiel bringen wollen! Suchen Sie sich ein Problemfeld aus: die VHS-Frage, die Verärgerung der Bürger über das Friedhofskonzept, die 30-Prozent-Kürzungen beim ÖPNV, die Grundsteuer-Erhöhung. . . Den Streit um den Masterplan Industrie & Gewerbe oder das Problem, dass Mülheim in jüngerer Vergangenheit massiv sozialversicherungspflichtige Jobs verloren hat.
Nehmen wir das Friedhofskonzept: Ich habe für mich entschieden, dass wir den Weg über die Härtefallkommission gehen werden. Das werden wir der Politik jetzt noch mal vorschlagen. Ich habe da sehr viele Gespräche geführt, etwa bei meinen Bürgergesprächen alle vier Wochen. Wir reden hier über ein sehr emotionsbeladenes Thema, an das man nicht nur mit Controlling-Instrumenten rangehen kann. Ich gehe direkt auf die Bürger zu und regele das nicht im Büro.
Scholten zum ÖPNV: „Es ist sicher nicht sinnvoll, Qualität und Leistung abzubauen“
Die ÖPNV-Sparpläne sehen eine 30-Prozent-Kürzung im Angebot vor. Stehen Sie als OB dahinter?
Wir haben besondere Zwänge. Aber ich glaube nicht, dass man am Ende alles eins zu eins umsetzen wird. Es ist sicher nicht sinnvoll, Qualität und Leistung abzubauen. Da, wo wir Doppelbelegungen hätten, kann man was tun. Aber die Preise zu erhöhen und die Leistungen zu reduzieren, ist nicht wirklich intelligent. Es wird noch viele Diskussionen geben müssen.
Es sind jetzt noch gut 15 Monate bis zur Kommunalwahl. Wann wäre für Sie der Zeitpunkt für einen Rücktritt gekommen?
Sie wissen, die staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen sollen in den nächsten Wochen zu einem Abschluss kommen. Das wird sicher ein Zeitpunkt sein, an dem ich mich fragen werde, wie ich mit der Entscheidung umgehen werde. Ich gehe aber von einer positiven Entscheidung für mich aus. Und dann gilt: Ich bin gewählt. Und: Selbst wenn die Staatsanwaltschaft eine Anklage erheben würde, wäre es noch immer kein Schuldspruch.
„Die Skandalisierung nicht in Ordnung“
Sehen Sie durch die fortwährende OB-Affäre, die mittlerweile in jedwede politische Debatte hineinspielt, nicht einen erheblichen Imageschaden für die Stadt?
Im Rat gibt es einige Leute, die das am Kochen halten. Vielleicht muss man den Auslöser für den Imageschaden auch da mal suchen. Ich komme mit vielen Kollegen im kommunalpolitischen Umfeld zusammen. Die können diese Dramaturgie nicht nachvollziehen, finden vor allem den Umgang mit mir, die Skandalisierung nicht in Ordnung. Einen Imageschaden für die Stadt nehme ich von außen nicht wahr.
Nennen Sie zwei, drei konkrete Dinge, die Sie höchstpersönlich in Ihrer restlichen Amtszeit anschieben wollen!
Die Zusammenarbeit in der Ruhrbahn mit den positiven Auswirkungen für unsere Stadt werde ich sicher sehr nah begleiten. Dass wir beim Friedhofskonzept zu humanen Regelungen kommen - und wenn’s nur darum geht, mit den Betroffenen ins Gespräch zu kommen. Und das Thema Wirtschaft mit dem Gewerbeflächenmangel. Hier führe ich Gespräche. Es gibt ja auch Gespräche zwischen Unternehmerverband und Politik, die bis Sommer eine Idee auf den Tisch legen möchten. Ich bin da gespannt und gucke es mir gerne an, wenn es gewünscht wird. Parallel kümmere ich mich um Tengelmann und die Baufeld-Problematik bei Ruhrbania, um Wünsche der HRW oder ansiedlungswilliger Unternehmen.
Scholten will Ruhrbahn-Aufsichtsrat nicht verlassen
Zur Ruhrbahn: Die Politik hat einen Appell an Sie gerichtet, sich aus dem Aufsichtsrat der Ruhrbahn zurückzuziehen.
Ich werde dem Appell nicht folgen.
Freuen Sie sich noch auf die nächsten eineinhalb Jahre als OB!
Ich habe ein gutes Team um mich herum, inhaltlich wie menschlich. Insofern gehe ich immer noch gerne ins Rathaus. Müßig zu sagen, dass das nicht für jedes Büro gilt. Ich habe nach wie vor Spaß an der Arbeit. Ich will mit der Situation umgehen. Da bin ich auch ehrgeizig.
Schließen Sie es aus, dass es bei der OB-Wahl 2020 einen unabhängigen Kandidaten Ulrich Scholten geben wird?
Ich will nichts ausschließen.