Sie verstehen sich als Sprachrohr kritischer Bürger: Jochen Hartmann (BAMH) und Lothar Reinhard (MBI) üben sich in der OB-Affäre in den Extremen.

Die Affäre um die Spesenabrechnungen des OB – ein gefundenes Fressen für manch eine Ratsfraktion, die Ulrich Scholten nicht ihren Genossen nennt. Wer profitiert am Ende? Die AfD, deren Ratsmandate sich nach der vergangenen Kommunalwahl schnell in Luft aufgelöst hatten, dürfte sich in Distanz zum Rathaus auf die Wahlen 2020 freuen. Derweil tragen zwei andere Fraktionen einen erbitterten Kampf aus: der Bürgerliche Aufbruch (BAMH) und die Mülheimer Bürgerinitiativen. Für sie gerät die OB-Affäre offenbar zum Duell um die Deutungshoheit im Lager der kritischen Bürger.

Die beiden Fraktionsspitzen geben die Duellanten: Jochen Hartmann (BAMH) und Lothar Reinhard (MBI). Hartmann mimt in der aktuellen Debatte den Scharfmacher. Von dem sonst so kritischen Lothar Reinhard darf sich der über Parteigrenzen hinweg in der Schusslinie stehende OB dieser Tage noch fast geschmeichelt fühlen.

Hartmann. Der Staatsanwalt gibt sich dieser Tage gnadenlos.

Schon im Hauptausschuss war es soweit. Der BAMH-Mann, der in seiner politischen Laufbahn von der CDU über eine Wählergemeinschaft und die AfD immer wieder an neuen Heimathäfen andockte, forderte mit vorbereiteter, scharfzüngiger Rede als Erster und bislang Einziger offen den Rücktritt Scholtens.

Dabei übertrat Hartmann manch eine rote Linie. „Machen Sie nicht den Sauerland“, mahnte er den OB etwa in Anspielung an die Rolle des früheren Duisburger OB nach der Loveparade-Tragödie. Als wenn mutmaßliche Pflichtverstöße bei Spesenabrechnungen – es geht insgesamt um nicht mehr als 8500 Euro – gleichzusetzen wären mit den 21 Toten und 541 Schwerverletzten bei der Loveparade.

Eine Patchwork-Fraktion ohne Mandat der Bürger

Hartmann mag den Tabubruch. Angesichts der weinlastigen Bewirtungsbelege des OB brachte der BAMH-Fraktionschef im Stadtrat Scholten gar in Zusammenhang mit einer „Alkohol-Problematik“. Hartmann reklamiert die Deutungshoheit für sich, er gefällt sich als vermeintliches Sprachrohr des kritischen Bürgers. Seine Patchwork-Fraktion agiert derzeit noch ohne Mandat der Bürger, die Wahl 2020 wird richtungsweisend dafür sein, ob Hartmann dauerhaft seinen politischen Heimathafen gefunden haben wird.

Abwinkend: Alles eine politische Intrige, spricht MBI-Fraktionssprecher Lothar Reinhard (rechts) von einer Lappalie.
Abwinkend: Alles eine politische Intrige, spricht MBI-Fraktionssprecher Lothar Reinhard (rechts) von einer Lappalie. © Oliver Müller

Sprachrohr des kritischen Bürgers – das Etikett beanspruchten über Jahre nur die MBI für sich. Nach zwei Fraktionsaustritten – Georg Hötger wechselte ausgerechnet zum BAMH – hat die auf drei Mitglieder geschrumpfte Fraktion zu kämpfen. Fraktionssprecher Lothar Reinhard überraschte schon im Hauptausschuss damit, dass er die OB-Affäre zur Lappalie herunterspielte; es gebe doch weitaus gravierendere Probleme.

Noch während der Debatten zur OB-Affäre verließ Reinhard sowohl den Hauptausschuss als auch den Stadtrat – demonstrativ und murrend. Am Montag brachte er dann eine lange Mail in Umlauf. Die OB-Affäre pietätlos, eine SPD im „Selbstmordmodus“, Ränkespiele einer verselbstständigten Bürokratie in einer „bösartig inszenierten Kampagne“, das Ansehen von Demokratie und Rechtsstaat im Eimer: „Widerlich“, sagt Reinhard. „Abstoßend“, „menschlich unter aller Sau“.

Eine Art Polit-Dschungelcamp live

Reinhard teilt verbal aus. Die Transparenz-Mängel bei den Spesenabrechnungen des OB seien doch lange bekannt, verweist Reinhard auf den Rechnungsprüfungsbericht von März 2017. „SPD-Kämmerer Frank Mendack hätte längst alles bereinigen müssen“, sagt er. Reparabel sei das gewesen, „wenn man gewollt hätte“, sieht er reichlich Indizien für eine politische Intrige.

Reinhard schießt gegen Kämmerer Mendack, den er als Antreiber jener Intrige ausmacht, aber auch gegen Hartmann, dieser sei profilsüchtig. „Das ganze Spektakel ist eine Mischung aus Voyeurismus mit niederen Motiven und dem Versuch, an einer Art Polit-Dschungelcamp live beteiligt zu sein, so Reinhard.

Den Dezernenten Mendack und Ernst sei beamtenrechtlich vorzuwerfen, gegen Verschwiegenheits- und Treuepflichten verstoßen zu haben, gipfelt Reinhards Analyse in einem eigenwilligen Vergleich mit dem Zusammenbruch der Weimarer Republik. Auch damals habe sich die Politik als unfähig erwiesen, habe die Bürokratie ein mächtiges Eigenleben geführt, so dass es den Nazis ein leichtes gewesen sei, die Macht zu ergreifen. . .

Noch kein Ergebnis der aufsichtlichen Prüfung

>> Sowohl die Dienstaufsicht bei der Bezirksregierung als auch die Duisburger Staatsanwaltschaft sind zweieinhalb Wochen nach Veröffentlichung des Prüfberichtes der Märkischen Revision noch zu keiner Beurteilung der Mülheimer OB-Affäre um Spesenabrechnungen gekommen. „Es gibt noch kein abschließendes Ergebnis der aufsichtlichen Prüfung“, hieß es am Dienstag knapp seitens der Düsseldorfer Bezirksregierung. Man sei noch bei der Auswertung des Gutachtens, ließ die Staatsanwaltschaft wissen, die prüft ob gegen OB Ulrich Scholten ein Anfangsverdacht der Untreue vorliegen könnte. „Gegenwärtig warten wir auch auf die Überlassung des dienstlichen Kalenders, um auch diese Daten abgleichen zu können“, so ein Sprecher der Ermittlungsbehörde auf Anfrage dieser Zeitung. Ein Ergebnis ihrer Prüfung erwartet die Staatsanwaltschaft Mitte August