Mülheim. . Infrastruktur für Radwege, Forschung, Hilfen für Langzeitarbeitslose – ohne Millionen aus Brüssel gäbe es das in Mülheim nicht. Eine Übersicht.

Wieviel Europa steckt eigentlich in Mülheim? Überraschend viel – wenn es um Fördermittel geht: 12,9 Millionen Euro flossen von 2007 bis 2013 aus Brüssel in die hiesige Infrastruktur, 13,8 Mio. in sonstige Förderprogramme, weitere gut 10 Mio. Euro in die Forschung und Bildung. Und das ist nur ein Teil, den gut 25 Bürger zu sehen bekamen, auf Tour mit der Wirtschaftsförderung durch die Ruhrstadt.

Schwere Zeiten für Euro-Skeptiker und rechte Nationalisten, angesichts der vielen Ecken, die nur mit reichlich Bimbes aus Brüssel möglich wurden. Gut sechs davon, steuerte die Mülheimer Tour an:

Station 1: Ruhrbania

Das Ruhrbania-Projekt an der Ruhrpromenade ist immer noch umstritten.
Das Ruhrbania-Projekt an der Ruhrpromenade ist immer noch umstritten. © Oliver Müller

Auch wenn das Bauprojekt, das einmal die Mülheimer an die Ruhr bringen sollte, noch immer umstritten ist: Die EU förderte den Bau der öffentlichen Wege und Plätze mit gut 5,9 Millionen Euro. Das gesamte Projekt kostete die Stadt bislang rund 20 Millionen, allerdings war nur die Hälfte der Maßnahmen förderfähig. Acht Millionen Euro nahm die Stadt zudem durch den Verkauf der Grundstücke an die so genannten Investoren ein.

Klaus Beisiegel, Referent des Baudezernats, sieht das EU-Geld – trotz aller Kritik etwa an der Architektur – gut angelegt: „Wir haben mit Ruhrbania zusätzlichen Wohnraum geschaffen, um Einwohnerzahlen zu stabilisieren.“

Station 2: Radschnellweg

Für die Stadt Mülheim war zumindest der Bau des RS1 durch die Ruhrstadt ein echtes Schnäppchen, weil nahezu umsonst. Einen Euro zahlte die Stadt an die Bahn für den erwerb der sanierungsbedürftigen Trasse. 5,3 Millionen Euro kostete die Herstellung der „Autobahn für das Fahrrad“. Finanziert jedoch mit allein 2,5 Millionen durch die EU, 1,6 Millionen stellte der Regionalverband Ruhr, den Rest das Land und der Bund.

Der Radschnellweg hat die Stadt Mülheim selbst kaum etwas gekostet.
Der Radschnellweg hat die Stadt Mülheim selbst kaum etwas gekostet. © Michael Dahlke

„Schön, sinnvoll, ansprechend“, geben auch die Mülheimer „Touristen“ einen Daumen hoch für diese EU-mitfinanzierte Maßnahme. Paul-Richard Gromnitza von der Mülheimer Wirtschaftsförderung erhofft sich vom RS1 positive Effekte für die Wirtschaft, „nicht nur, was den Tourismus angeht, auch für Handel und Firmen ist der RS1 ein Standortvorteil“.

Nur die Zuständigkeiten und damit die Kosten für die Unterhaltung der Strecke in den Stadtgrenzen, müssen noch mit Straßen NRW ausgehandelt werden, sagt Referent Klaus Beisiegel.

Station 3: Zenit GmbH

4,6 Millionen Umsatz machte 2017 das Mülheimer Beratungsunternehmen Zenit mit 60 Mitarbeitern. Einen nicht geringen Teil davon verdient sich das Haus an der Bismarckstraße durch EU-geförderte Projekte. Zenit gibt Unternehmensfeedback an die Europäische Union etwa zur Datenschutzgrundverordnung, es berät EU-weit Unternehmen, wie sie ihre Produkte verbessern und neue Märkte über Deutschland hinaus erreichen können.

Zenit bringt auch Firmen zusammen etwa um Schmückstücke mit Notfallsendern auszurüsten. „Wir sind eine sehr europäische Institution“, bricht Geschäftsführer Karsten Lemke eine Lanze für die Union: „Wir müssen die EU weiterentwickeln und nicht abschaffen.“

Station 4: Hochschule Ruhr West

Die Hochschule Ruhr West möchte mit den USA und China mithalten.
Die Hochschule Ruhr West möchte mit den USA und China mithalten. © Martin Möller

Forschung ohne EU? An der HRW ist das kaum denkbar. „Für uns ist es enorm wichtig, den Zusammenhalt innerhalb der EU auszubauen, wenn wir in Deutschland mit USA und China mithalten wollen“, glaubt HRW-Vizepräsident Oliver Koch. Die noch junge Hochschule profitiert vom EU-finanzierten Erasmus-Projekt, das etwa den Austausch zwischen Studierenden fördert. Gut 20 Studierende erhielten in diesem Jahr Zuschüsse aus Brüssel.

Station 5: Max-Planck-Institut für Kohlenforschung

Fragt man im Ausland nach dem Mülheimer MPI, gehen Forschern die Herzen auf. In Mülheim allerdings wissen kurioserweise deutlich weniger Menschen, was das Institut für Kohlenforschung ist, berichtet MPI-Professor Tobias Ritter. Kaum ein Mülheimer Institut dürfte daher ein größeres Gespür für Europa haben als das MPI.

In den Laboren des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung wird viel geforscht, etwa in Richtung Brennstoffzellen.
In den Laboren des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung wird viel geforscht, etwa in Richtung Brennstoffzellen. © Martin Möller

Die Kohlenforschung aus Kaiser-Wilhelms-Zeiten ist hier inzwischen jedoch genauso wenig zu finden wie Coca in Cola. Man macht in Kohlenstoff und forscht an der Katalyse. Und zwar EU-gefördert. In den vergangenen fünf Jahren gab Brüssel 10 Mio. Euro zu Projekten hinzu. Weitere Mittel für „Kohäsion“ – also Gelder, die Ungleichheit zwischen EU-Regionen beseitigen sollen – spülen Millionen in die Forschung des Instituts etwa für die Brennstoffzellenforschung (1,5 Mio.) und Hochtemperaturwärmespeicher (2,4 Mio. Euro). „Ich bin ein Verfechter der EU“, sagt ein Mitarbeiter des MPI. „Ohne die Freizügigkeit der EU gäbe es diese Art der Forschung nicht.“ Schon die Ankündigung des Brexit sollen spürbar die wissenschaftlichen Kooperationen mit der Insel ausgebremst haben.

Station 6: Das Jobcenter

„Jetzt geht’s um die Menschen“, raunt eine Bürgerin erwartungsfroh. Was bedeutet die EU konkret für die Leute vor Ort? Zum Beispiel Arbeit.

Das Mülheimer Projekt Biwaq – kurz für Bildung, Wirtschaft, Arbeit im Quartier – schaffte es auf ungewöhnliche Weise, die Hälfte von 276 schwer vermittelbaren Langzeitarbeitslosen in sozialpflichtige Jobs zu bringen. Dabei rechnete man ursprünglich mit gerade einmal 20 Prozent.

Ohne die EU hätte es dieses Erfolgsprojekt nicht gegeben, denn es entspricht nicht dem Regelgeschäft des Förderns und Forderns. 1,4 Mio. Euro kostete es, die Hälfte kam aus dem EU-Sozialfonds.

Vermittlung ist ein voller Erfolg gewesen

„Unser Ansatz war: Was will der Mensch? Und nicht: Wie machen wir ihn passend für den Markt“, beschreibt eine Mitarbeiterin. Oftmals bis in den Abend und ganz nah an den Bedürfnissen der Betroffenen waren die Sachbearbeiter. Ziel war es, die Kreativität zu kitzeln, die Motivation und das Selbstwertgefühl aufzubauen. Die Betroffenen kochten zusammen, joggten, kamen auf diesem Weg aus ihrer Isolation heraus. Und natürlich gab es auch Bewerbungstrainings, Praktika. Die Vermittlung war so erfolgreich, weil die Vermittler ‘ihre’ Klienten so gut kannten.

„Wir sind dankbar, dass es den Europäischen Sozialfonds gibt“, sagt die Leiterin des Sozialamts Anke Schürmann-Rupp, „es ist das wichtigste Instrument zur Förderung von Beschäftigung“. Weil es so erfolgreich war, ist Biwaq nun teil des Regelsystems geworden, und heißt nun Arbeitsmarktplatz (AMP).