Mülheim. . Das NRW-Bauministerium erklärt: Die Stadt Mülheim bedarf einer besonderen Förderung für sozialen Wohnraum. Nicht jeder teilt die Einschätzung.
Die Landesregierung will Mülheim in die Reihe von landesweit 37 Städten einstufen, in denen eine außerordentliche Förderung notwendig erscheint, um das Angebot an sozialem, preisgebundenem Wohnraum zu erhöhen.
Wie das NRW-Bauministerium mitteilte, sieht es für Investoren im geförderten Mietwohnungsbau in Mülheim schon ab Juni sowohl ein höheres Förderdarlehen je Quadratmeter Wohnfläche vor (1950 statt 1780 Euro) als auch einen höheren Investitionszuschuss (Teilschuldenerlass) in Höhe von 25 statt bisher 15 Prozent vor. Auch will das Land künftig höhere Startmieten bei der Erstvermietung akzeptieren: Statt bislang 5,70 Euro könnten Investoren für geförderte Wohnungen künftig 6,20 Euro pro Quadratmeter verlangen – das dürfte sich auf den Sozialetat der Stadt auswirken, denn die Kosten der Unterkunft für finanziell schlecht aufgestellte Bürger sind, abzüglich der Bundeszuschüsse, von den Kommunen zu tragen.
Prüfung für alle 396 NRW-Städte
Dass Mülheim an eine höhere Förderung kommen soll, basiert auf einer Untersuchung, die für alle 396 NRW-Städte geprüft hat, ob ein angespannter Wohnungsmarkt vorliegt. Details zu den Prüfergebnissen mochte das Ministerium auf Anfrage der Redaktion nicht nennen; Grundlage sei „eine komplexe Rechnung“, hieß es nur.
Die Einstufung Mülheims als besonders förderbedürftig sei sachgerecht, reagierte Sven Glocker, Prokurist bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft SWB. Der Wohnungswirtschaft werde in Mülheim so „der Freiraum geschaffen, uns bei der Modernisierung und bei Neubauten mit einer soliden Finanzierung aufzustellen“. Eine verbesserte Förderung wird laut Glocker auch mehr Aktivität im sozialen Wohnungsbau in der Stadt bringen.
Örtlicher Markt sei differenziert zu betrachten
Der SWB-Prokurist verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass SWB wegen der Modernisierungsoffensive ohnehin in engem Kontakt zum Ministerium stehe. Circa 300 öffentlich geförderte Wohnungen wolle das Unternehmen in den nächsten fünf Jahren schaffen. Man wolle „die Fördermöglichkeiten bestmöglich ausschöpfen“ und alten, nicht mehr marktfähigen Baubestand aus den 1950er und 1960er ersetzen.
Für den Mülheimer Wohnungsbau wertet Sprecher Andreas Winkler die Einstufung des Landes, im gesamten Stadtgebiet sei die Wohnungsmarktlage angespannt, für problematisch. Der örtliche Markt sei differenziert zu betrachten, sagt er. Gleichsam begrüßt die Wohnungsbaugenossenschaft die verbesserten Fördermodalitäten.
Geringere Mieterhöhungen für Bestandsmieter
„Mehr sozialer Wohnungsbau ist sinnvoll“, sagt Winkler. Der MWB werde bei Investitionsprojekten – wie aktuell am Wohnhof Fünte in Heißen und demnächst an der Friedhofstraße in Speldorf – aber weiter eine Mischung aus öffentlich gefördertem und frei finanziertem Wohnungsbau anstreben.
Nebeneffekt der für Mülheim geplanten Einstufung: Wird die Marktlage als eng eingestuft, dürfen Vermieter die Miete für Bestandsmieter innerhalb von drei Jahren nicht mehr um bis zu 20, sondern nur noch um bis zu 15 Prozent erhöhen. Den MWB stört das nicht. So stark habe man nach Modernisierungen noch nie die Miete angehoben, so dessen Sprecher Winkler.
SPD und Baudezernent sind sich uneinig
Baudezernent Peter Vermeulen und der planungspolitische Sprecher der SPD-Ratsfraktion, Claus Schindler, liegen in der Bewertung, ob Mülheim mehr sozialen Wohnungsbau benötigt, auch dieser Tage weit auseinander.
Baudezernent Vermeulen sieht in der vom Land vorgesehenen Einstufung Mülheims gar nicht erst die Aussage, dass es um den sozialen Wohnungsbau in der Stadt schlecht bestellt sei. Vielmehr reagiere das Land allein auf den Umstand, dass die Fördermittel in Mülheim in der Vergangenheit kaum abgerufen worden seien. Dass das Land nun durch mehr Förderung die Anreize für Investoren erhöhe, sei zu begrüßen.
Keine steigenden Einwohnerzahlen zu erwarten
Doch sei nach der abgeebbten Zuwanderungswelle nicht davon auszugehen, dass Mülheim mit weiter steigenden Einwohnerzahlen zu rechnen habe, die Wohnungsbau im großen Stil erforderten. „Wir müssen qualitativ, nicht quantitativ wachsen“, sagt der Baudezernent. Es dürfe nicht darum gehen, massiv in schlichte Bausubstanz zu investieren. Es sei wichtig, alte Bausubstanz durch bessere zu ersetzen.
SPD-Planungspolitiker Claus Schindler sieht in der Einschätzung des Landes hingegen „die Bestätigung dessen, was wir im Gutachten jüngst herausgelesen haben“: Mülheim habe es als Herausforderung zu verstehen, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Im Kern hatten die Gutachter vom Bochumer Inwis-Institut festgestellt, dass rund jeder 25. Haushalt in Mülheim, hochgerechnet 2370 an der Zahl, aktuell mehr als 40 Prozent seines verfügbaren Einkommens allein für die Warmmiete ausgeben muss und daher als überlastet gilt.
Der Bedarf für bezahlbaren Wohnraum ist da
Bezahlbare Wohnungen für Alleinerziehende, für Familien mit mehreren Kindern, für Zugewanderte – der Bedarf sei da, so Schindler. Der Baudezernent verkenne die Realitäten. Eine verbesserte Förderung sei zu begrüßen, aber auch „nur ein Mosaikstein“.
Es müssten, verteilt über die ganze Stadt, auch Flächen für sozialen Wohnungsbau gefunden werden. Wolle man den Bedarf ausschließlich über Modernisierungen im Bestand decken, sei aufzupassen, „dass Kapazitäten nicht vom Markt genommen werden“.
Stadtrat fordert „Bündnis für Wohnen“
Der Stadtrat hat die Verwaltung auf Initiative der SPD dazu aufgefordert, unter Beteiligung wohnungswirtschaftlicher Akteure ein „Bündnis für Wohnen“ zu schmieden, wie es laut Schindler etwa in Herne seit einigen Jahren gut funktioniere, um quartiersbezogene Lösungen zu finden.
Die Wohnungswirtschaft habe ihre Bereitschaft zum Mitwirken signalisiert. Jetzt sei die Verwaltung am Zug, dies zu nutzen, so Schindler.