Mülheim. . Das Gutachten zum bezahlbaren Wohnraum in Mülheim liegt vor: Bei ärmeren Bürgern frisst die Miete häufig mehr als 40 Prozent des Einkommens.

Fast zwei Jahre nach der Beauftragung hat Sozialdezernent Ulrich Ernst am Mittwoch das Gutachten zum bezahlbaren Wohnraum in Mülheim vorgestellt. Im Kern stellt die Analyse fest, dass rund jeder 25. Haushalt in Mülheim, hochgerechnet 2370 an der Zahl, derzeit mehr als 40 Prozent seines verfügbaren Einkommens allein für die Warmmiete ausgeben muss und daher als überlastet gilt. Laut Gutachter des Bochumer Inwis-Institutes sind ausnahmslos Bürger betroffen, die ohnehin unter die Armutsgrenze fallen.

Ernst verzichtet aktuell aber darauf, aus der Analyse konkrete Handlungsanweisungen für die Stadt abzuleiten. Für die Politik hat der Dezernent zunächst eine Anhörung mit Akteuren des Wohnungsmarktes am 5. Februar organisiert. Daraus sollen Sozial- und Planungspolitiker ihre eigenen Schlüsse ziehen.

Bochumer Institut strengte Modellrechnungen an

In welchem Umfang gibt es in Mülheim zusätzlichen Bedarf für bezahlbaren Wohnraum? Die Frage stellt sich insbesondere seit dem tausendfachen Zuzug von Flüchtlingen, die je nach Bleiberechtsstatus nach einer Übergangszeit eben auch einen Anspruch auf eine Wohnung außerhalb von Sammelunterkünften haben. Die Zugezogenen drängen auch in jenes Marktsegment, in dem sich ohnehin Menschen tummeln, die bei der Wohnungssuche aufgrund ihrer begrenzten finanziellen Mittel eingeschränkt sind.

Die Frage bleibt in dem Gutachten, das Sozialdezernent Ernst nun präsentiert hat, recht theoretisch beantwortet. Denn obwohl etwa die großen örtlichen Wohnungsunternehmen kaum mehr Leerstand oberhalb einer normalen Fluktuation feststellen, haben die Gutachter von Inwis als Ergebnis einer Modellrechnung festgestellt, dass „trotz der hohen Zuwanderung“ rund 2400 Mietwohnungen in der Stadt leerstehen sollen.

Gutachter: Lage in Mülheim ist eher entspannt

Sozialdezernent Ulrich Ernst: „Es gibt keine Weisheiten zu verkünden. Es gibt eine Analyse, die einer weiteren Diskussion bedarf.
Sozialdezernent Ulrich Ernst: „Es gibt keine Weisheiten zu verkünden. Es gibt eine Analyse, die einer weiteren Diskussion bedarf. © Michael Dahlke

Die Lage am Wohnungsmarkt sei „eher noch als entspannt anzusehen“, so die Gutachter. Die frei verfügbaren Wohnungen würden allerdings zu einem Durchschnittspreis angeboten, der einkommensschwachen Bürgern nicht aus ihrer Not helfe, dass zu viel ihres knappen Geldes für die Miete draufgeht. „Der errechnete Leerstand passt nicht eins zu eins zum Bedarf“, stellt auch der Sozialdezernent heraus. „Es gibt eine ganze Reihe Menschen, die eine Wohnung bräuchten, die 100 Euro kostet, die es aber nicht gibt.“

Während andere Städte im Ruhrgebiet für sich längst festgestellt haben, dass sozialer Wohnungsbau hohe Priorität haben muss, steht eine Positionierung dazu in Mülheim weiter aus. Die Gutachter sehen nach ihren Modellrechnungen keine Berechtigung für eine Forderung nach Neubau von öffentlich geförderten Wohnungen in größerem Stil. Dies auch deshalb, weil die Mieten in Neubauten erwartbar so hoch lägen, dass den einkommensschwachen Mülheimern damit nicht geholfen sei.

Größter Bedarf an bezahlbaren Single-Wohnungen

Etwa fehlten rund 260 größere Wohnungen mit vier oder mehr Räumen. Weitere 530 Haushalte lebten in beengten Verhältnissen, weil der Markt keinen bezahlbaren Wohnraum mit mehr Quadratmetern vorhalte. Am größten ist laut Gutachter der Bedarf an günstigen Single-Wohnungen. Rund 1970 Haushalte müssten hier derzeit mit Mieten ihr Auskommen finden, die 40 Prozent und mehr vom verfügbaren Geld aufzehren. Es gebe in Mülheim zwar 4760 Single-Wohnungen. Diese würden jedoch deutlich über dem Bezahlbaren angeboten.

Punktuell empfiehlt das mit dem Sozialdezernat abgestimmte Gutachten zwar ergänzenden Neubau in einzelnen Quartieren. Insbesondere sollten aber Belegungsrechte mit Preisbindung im Bestand angekauft werden, um der Situation Herr zu werden. Düsseldorf macht das. Für die Stadt Mülheim ist das laut Ernst keine Option – denn dafür sei kein Geld da.

>> VIELE STELLEN KEINEN ANTRAG AUF WOHNGELD

Die Gutachter gehen davon aus, dass einige Haushalte durchaus in der Lage seien, ihren Mietanteil unter die kritischen 40 Prozent des Einkommens zu drücken, wenn sie nur staatliche Hilfen wie etwa das Wohngeld beanspruchen würden. Menschen aufklären, ihnen die Scham nehmen, Hilfen in Anspruch zu nehmen – das formuliert Sozialdezernent Ernst hieraus als Anspruch der Stadt.

Lobend heben die Gutachter Quartiersentwicklungen mit einer Mischung aus frei finanziertem und öffentlich gefördertem Wohnungsbau hervor, wie sie etwa die Wohnungsbaugesellschaft SWB etwa in Oberdümpten in einem Projekt verwirklicht.