Mülheim. . Die Rechnungsprüfer haben bei der Stadt Mülheim einen Skandal aufgedeckt: 400.000 Euro flossen, ohne dass klar ist, was die Gegenleistung war.
Im Vergleich zur Gesamtverschuldung der Stadt in Höhe von mehr als zwei Milliarden Euro sind es wohl die berühmten „Peanuts“, doch erfolgreich haben Stadtverwaltung und Politik bislang einen Vorgang unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit gehalten, der das Rechnungsprüfungsamt bereits im Juni 2018 hatte Alarm schlagen lassen: Über einen Zeitraum von 14 Jahren sind demnach fast 400.000 Euro städtischer Gelder an die Paritätische Initiative für Arbeit (Pia) geflossen, ohne dass die Stadtverwaltung den Nachweis erbringen könnte, dass für die Abertausenden Euro auch entsprechende Gegenleistungen erbracht worden sind.
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Es geht um ein Projekt, das bereits 1998 mit dem Beschluss für den damaligen Nahverkehrsplan angedacht und 2001/02 umgesetzt worden war: Ziel von „Mülheim Mobil“ sollte es sein, den Bürgern über Beratungsangebote und eine intensivere Öffentlichkeitsarbeit die Nutzung des örtlichen Nahverkehrs schmackhaft zu machen. So hatten es das Amt für Verkehrswesen, die Betriebe der Stadt als damaliger Nahverkehrsbetreiber (MVG-Vorgänger) und ein externer Berater erdacht.
Pia erhielt jährlich 29.000 Euro von der Stadt
Auf Ende 2002 datiert ist eine entsprechende Vereinbarung zur Kooperation zwischen Stadt, MVG und Pia. Schon in der Vereinbarung, so stellten die Rechnungsprüfer im Juni 2018 fest, waren zwar mögliche Dienstleistungen aufgeführt, „allerdings ohne konkrete Festlegung, welche Leistungen welchem Vertragspartner obliegen“. Hingegen sei eines konkret festgelegt worden: Dass die Pia jährlich eine Aufwandsentschädigung von 15.000 Euro plus/minus X erhalten sollte. Ende August 2003 wurde das Entgelt gar auf 29.000 Euro erhöht, als der Pia die Geschäftsführung für „Mülheim Mobil“ übertragen worden war.
Was die Pia laut den Rechnungsprüfern aber schuldig blieb, war der vollumfängliche Nachweis, was sie für das Projekt überhaupt geleistet hat. Und das selbst nach einem neuerlichen Hinweis aus dem Amt für Verkehrswesen und Tiefbau, dass es der Stadt ansonsten unmöglich sei, den vereinbarten Jahresbetrag zu überweisen. Und welche Konsequenz zog das Amt? Keine, monierten die Rechnungsprüfer. Jährlich flossen weiterhin 29.000 Euro zur Pia.
Lediglich sechs Dienstleistungen sind dokumentiert
Das Ergebnis: Die Stadt zahlte der Pia über einen Zeitraum von 14 Jahren einen Betrag in Höhe von 391.500 Euro, ohne dass die Pia laut Rechnungsprüfer ihrer vertraglichen Pflicht nachgekommen ist, ihre erbrachten Leistungen nachzuweisen. In Mails, die das städtische Amt den Rechnungsprüfern zur Verfügung stellte, waren lediglich sechs Dienstleistungen im Zeitraum 2008 bis 2015 aufgelistet: ein Flyer zum Komfortshoppen, die Erstellung der Broschüre „Wie, wohin und womit. . . in Mülheim an der Ruhr“, Aktionen zum Ruhr Reggae Summer und zum Burgfolk, eine Mobilitätsbefragung am Max-Planck-Institut und eine Untersuchung bei Ategris.
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Das Rechnungsprüfungsamt kritisierte, dass im städtischen Amt gar nicht kontinuierlich geprüft worden sei, „ob überhaupt, welche und in welcher Qualität von Pia Leistungen erbracht wurden“. Für die Dauer von zwölf Jahren finde sich in den Akten nicht ein Hinweis darauf, dass das Amt bei der Pia eine exakte Leistungsübersicht eingefordert habe. Nicht nachvollziehbar sei, warum die Stadt an dem Vertrag mit der Pia überhaupt festgehalten habe.
Rechnungsprüfer: Mangelhafte Aktenführung im Amt
Insgesamt stellten die Rechnungsprüfer fest, dass das Geschehen rund um den Vertrag vom Fachamt in den Akten ungenügend dokumentiert sei. Erschwerend komme hinzu, dass der Fachbereich seit spätestens 2012 Kenntnis gehabt habe, dass Aktivitäten der Pia „nicht zu beobachten gewesen waren oder zumindest nicht kommuniziert wurden“, zitieren die Rechnungsprüfer aus den Akten. Schließlich habe es auf der Internetseite zu „Mülheim Mobil“ vier Jahre lang keine Aktualisierung mehr gegeben.
Trotzdem habe man die Zahlungen an Pia erst 2016 eingestellt, als dort kein Projektbetreuer mehr zur Verfügung stand – und das noch rechtswidrig, weil eine rückwirkende Kündigung erst im Juli 2017 ausgesprochen worden sei. Immerhin: Laut Rechnungsprüfungsbericht akzeptierte die Pia die rückwirkende Kündigung.
Das Amt für Verkehrswesen und Tiefbau hatte in einer Stellungnahme für die Rechnungsprüfer betont, dass die Pia nach seiner Sicht sehr wohl viel Personaleinsatz in das Projekt gesteckt habe, insbesondere nach „Krisengesprächen“, die auch im Beisein der damaligen Verkehrsdezernentin Helga Sander geführt worden seien. Allerdings räumte das Amt ein, dass die Bemühungen der Pia „häufig nicht zu greifbaren Ergebnissen führten, sondern in Sackgassen endeten“.
Amt: Zu lange auf mündliche Absprachen verlassen
Das Amt schrieb in seiner Stellungnahme für die Rechnungsprüfer ferner von Mängeln in den Dokumentationspflichten der Pia, auch bei der „Effizienz der erbrachten Leistungen“. Ferner räumte das Amt ein, dass man sich „zu lange auf mündliche Absprachen verlassen hat“. Zurückzuweisen sei allerdings der Vorwurf, man habe der Pia Geld überwiesen für einen Aufwand, der dort tatsächlich gar nicht betrieben worden sei.
Dafür, dass die Mittel nicht effizient eingesetzt worden seien, schob das Amt eine Rechtfertigung nach: Hierbei, so hieß es, solle berücksichtigt werden, „dass es der Verwaltung immer wichtig gewesen ist, die Pia in ihrem Handeln als gemeinnützige Institution zu unterstützen und vor dem Hintergrund der besonderen Unternehmensstruktur bei der Effizienzmessung nicht die gleichen Maßstäbe anzusetzen wie bei einem normalen Wirtschaftsunternehmen.“
Pia-Geschäftsführer räumt Mängel ein
Pia-Geschäftsführer Frank Schellberg konnte auf Aufforderung dieser Zeitung keine Dokumentation erbrachter Leistungen vorlegen und gestand ein: „Vielleicht ist es uns im Projekt nicht immer nach Punkt und Komma gelungen, wie es in der Vereinbarung stand.“
Für das Projekt „Mülheim Mobil“ sei die Pia ausgewählt worden, weil sie seinerzeit mit Carsharing, Lieferdiensten und Radstationen „der Mobilitätsdienstleister“ in Mülheim gewesen sei. Es sei immer Ziel der Pia gewesen, mit Sozialprogrammen zur Beschäftigung von Arbeitslosen „etwas Sinnvolles für die Stadt zu machen“. Das sei „der Deal“ mit Planungs- und Sozialamt bei Gründung der Pia gewesen.
Stadt steht zu Pia in regen Geschäftsbeziehungen
Für Schellberg eine Win-Win-Situation: Die Stadt spart Sozialleistungen – und die Pia trägt etwas bei zur Stadtentwicklung. Mit dem 400.000 Euro schweren Projekt „Mülheim Mobil“ sei man nicht so weit gekommen, wie man es sich erhofft habe, räumt Schellberg ein. Aber man habe für das Projekt gearbeitet, auch fünf bis zehn Stellen geschaffen. Den einzigen Haken sieht Schellberg in der fehlenden Dokumentation.
Die Pia ist 1997 als Initiative aus dem Paritätischen Wohlfahrtsverband heraus gegründet worden und hat 1998 ihren Betrieb aufgenommen. Sie beschäftigt 172 Mitarbeiter, sozialversichert und teilweise gefördert. Rund 70 Ein-Euro-Jobber sind darunter. Es gibt eine enge Zusammenarbeit nicht nur mit Mülheims Sozialagentur. Für die Stadt betreibt die Pia etwa das Naturbad, den Ruhrbadestrand und die Radstation. Die Stadtverwaltung sieht sich auf Nachfrage außer Stande zu sagen, wie viel Geld die Pia im Jahr durch städtische Beauftragungen kassiert.
Die harsche Kritik der Rechnungsprüfer am Projekt ist nach Informationen dieser Zeitung Anlass für die Ratsfraktionen von SPD und CDU gewesen, von der Stadtverwaltung unter anderem ein besseres Vertragscontrolling einzufordern. Offenbar gibt es hier erhebliche Mängel.