Nach dem Urteil gegen die Stadt Essen kündigt die Deutsche Umwelthilfe weitere Klagen zur Luftreinhaltung an. Mülheim stehe unter Beobachtung.

Die gerichtlich angeordneten Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in weiten Teilen Essens samt der Autobahn A 40 haben gravierende Auswirkungen auch auf Mülheim. Berufs- und Freizeitpendler wären betroffen, wenn die Fahrverbote ab Sommer 2019 greifen, ebenso groß ist die Verunsicherung bei der örtlichen Wirtschaft. Die Deutsche Umwelthilfe, die bundesweit zur Luftreinhaltung gegen Städte klagt, hat auch Mülheim weiter im Visier.

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte in der vergangenen Woche für Essen großräumig Fahrverbote für Dieselfahrzeuge zunächst der Schadstoffklassen 1 bis 4 (ab Juli) und schließlich der Klassen 1 bis 5 (ab September) verhängt. Ein Teilstück der A 40, in deren Nähe Wohnhäuser stehen, ist auch von den Fahrverboten betroffen.

Richterspruch sorgt für große Verunsicherung

Das Land NRW will gegen das Urteil zwar in Berufung gehen, doch der Richterspruch sorgt für große Verunsicherung auch in Mülheim. „Im Endeffekt müssen wir das gesamte Ruhrgebiet sehen“, sagt der Sprecher der Mülheimer Wirtschaft, Hanns-Peter Windfeder. „Wenn nicht schnellstens Lösungen gefunden werden, kann es für die Wirtschaft im Ruhrgebiet zu einem großen Problem werden.“ Windfeder kritisiert Bund und Land dafür, in der Luftreinhaltung „zu lange abgewartet“ zu haben. In der heimischen Wirtschaft herrsche große Verunsicherung vor, wie nun zu planen sei. Wird es großzügige Ausnahmeregelungen geben? „Keiner kann sagen, was daraus erwächst“, so Windfeder. Es könne aber keine Lösung sein, dass alle Unternehmen ihre Dieselfahrzeuge ausrangierten.

Ein Blick in die Pendlerstatistik zeigt, dass auch eine Vielzahl von Berufspendlern betroffen sein würde, wird das Fahrverbot nicht doch noch abgewendet. Allein nach Essen pendeln 9259 Mülheimer, um dort zu arbeiten. Umgekehrt haben 7706 Essener einen Job in Mülheim. Dieselfahrer werden sich unter Umständen Gedanken machen müssen, wie sie künftig zur Arbeit kommen.

Alle alten Dieselbusse nach Mülheim?

Auch bei der Ruhrbahn herrscht erst einmal Unklarheit. Deren Busflotte umfasst 257 Diesel-Fahrzeuge. Nur 102 davon erfüllen die Euro-6-Norm, bis Ende 2019 sollen es 141 sein. Schickt die Ruhrbahn ab Sommer 2019 dann wegen der Fahrverbote in Essen alle älteren Dieselbusse nach Mülheim? „Wir sind nicht an einen Betriebshof gebunden, aber das wäre sicher auch keine Lösung, sondern nur eine Krücke“, sagt Unternehmenssprecherin Sylvia Neumann. Die Ruhrbahn will sich nun erst einmal das Urteil beschaffen, um sich ein Bild zu machen, wie der ÖPNV-Betrieb darauf zu reagieren hat.

Die Grünen fordern bereits „mehr Tempo“ bei der Mülheimer Planung, die Schadstoffbelastung an der Aktienstraße zu mindern. Liege nicht bald ein Konzept auf dem Tisch, so ihre Befürchtung, drohe auch Mülheim eine Klage der Deutschen Umwelthilfe. „Wenn gerichtliche Fahrverbote angeordnet werden, ist es für andere Maßnahmen zu spät“, meint der umweltpolitische Sprecher der Fraktion, Hermann Stollen. „Wir erwarten Handeln statt Stillstand. Und das umgehend“, so Stollen und Ratsfrau Brigitte Erd.

Umwelthilfe verschickt „blaue Briefe“

Tatsächlich hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) auch Mülheim „auf dem Radar“, wie eine Sprecherin der Organisation auf Anfrage dieser Zeitung noch einmal bestätigte. Ein „blauer Brief“ liegt dem örtlichen Umweltamt seit August 2017 vor. Da hatte die DUH, wie gegen 44 weitere Städte, ein formales Rechtsverfahren zur Luftreinhaltung gegen Mülheim eingeleitet. Am Freitag der Vorwoche hat die DUH eine Klage gegen Freiburg eingereicht, für NRW sind für November bereits weitere Klagen gegen Bielefeld, Hagen, Wuppertal und Oberhausen angekündigt. Eine Klage auch gegen Mülheim sei „in überschaubarer Zeit möglich“, so die DUH-Sprecherin.

Umweltamtsleiter Jürgen Zentgraf verweist darauf, in der vergangenen Sitzung des Umweltausschusses das Konzept zur Aktienstraße präsentiert zu haben – mit Tempo 30 auf einem Abschnitt der Straße (zwischen Eisenberg und Kreuzstraße) und einer „umweltsensitiven Ampelsteuerung“ über neue Messgeräte. Die Ampelsteuerung soll helfen, den Verkehr besser abfließen zu lassen.

Im Zuge der laufenden Haushaltsberatungen habe die Politik die Entscheidung dazu aber vertagt, so könne die Stadt aktuell auch noch keinen Antrag auf Fördermittel stellen, so Zentgraf.