Mülheim. . Mülheims Verkehrsdezernent Peter Vermeulen spricht im Interview für die Serie „Mobilität Mülheim“ über Carsharing und moderne Verkehrsplanung.
Verkehr ist mehr als nur Auto, es ist ein Zusammenspiel aus ganz unterschiedlichen Akteuren und Fahrzeugen, die alle möglichst schnell und sicher zu ihrem Ziel kommen wollen. Verkehrsdezernent P eter Vermeulen sprach mit Annalena Dörner darüber, wie das gelingen kann, ob das Auto seinen Zenit überschritten hat und warum Carsharing in Mülheim noch nicht funktioniert.
Wie sieht moderne Verkehrsplanung im Jahre 2018 aus?
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Wir gehen davon aus, dass wir eine stärkere Verteilung der Verkehrsströme auf die unterschiedlichen Fortbewegungsmittel bekommen. Das heißt: Das, was wir als Fachplaner Modal Split [siehe Glossar, die Redaktion] nennen, also die Verteilung auf Fuß- und Radweg, öffentlichen Personennahverkehr und Pkw wird sich immer mehr ausgleichen. Wir hatten lange Jahre eine Dominanz des Autoverkehrs. Heute werden wir viel stärker überlegen müssen, ob wir zum Beispiel vom Autoverkehr getrennte Fuß- und Radwege bauen. Also ob wir ein zweites Netz über das vorhandene Straßennetz legen, damit man sich auch als Fußgänger oder Radfahrer sicher durch die Stadt bewegen kann.
Also weg vom Auto hin zu Bus, Bahn und Rad. Ist das Auto überhaupt noch zeitgemäß?
Ich würde sagen, es gibt ein verändertes Verhalten von uns Menschen. Wir schätzen auf einmal das Fahrrad mehr wert. Das hat in Mülheim natürlich enorm viel damit zu tun, dass wir durch Elektrofahrräder keine Probleme mehr mit den Steigungen in der Stadt haben. Berge und Täler spielen keine Rolle mehr. Gegenwind ist auch kein Problem. Das heißt, es wird gemütlicher und angenehmer mit dem Fahrrad zu fahren. Wenn man dann noch feststellt, dass man sich schneller durch die Stadt bewegen kann als mit dem Auto, dann ist das natürlich eine Verlagerung, bei der der Mensch sagt: Ich nehme lieber das Fahrrad.
Heißt das, dass das Auto seinen Zenit überschritten hat?
Nein. Ich glaube, das hängt mit der Bequemlichkeit von uns Menschen zusammen. Wir wollen bequem von A nach B kommen. Wenn das Auto dafür das angenehmste ist, dann werden wir das nehmen. Durch die technischen Neuerungen wird es zunehmend so, dass es auch anderweitig bequeme Verkehrsmittel gibt und dann wird man die wählen.
In Mülheim sind über 92 000 Pkw zugelassen. Damit hat Mülheim eine Autodichte von 621 Autos je 1000 Einwohner. Im Vergleich mit anderen Städten in NRW ist das ein hoher Wert. Ist es geplant, die Zahl zu reduzieren, damit mehr Menschen von sich aus auf ihr Fahrzeug verzichten?
Ich will die Menschen nicht erziehen. Sie sollen für sich wählen. Wenn wir eine hohe Autodichte haben bei uns, dann hat das auch mit dem Wohlstand der Mülheimerinnen und Mülheimer zu tun. Wenn es um die Frage der Autonutzung geht, dann möchte ich, dass es Alternativen gibt. Dass man statt eines Autos auch ein anderes Verkehrsmittel wählen kann und dass es genauso attraktiv ist. Das ist mein Ziel. Mal zu Fuß zu gehen oder mit dem Fahrrad zu fahren, ist für uns alle gesünder.
Eine Alternative ist zum Beispiel das E-Auto. Wie kann man dieses Angebot in Mülheim noch ausbauen?
Die Elektroautos sind in ihrer Leistungsfähigkeit kaum vergleichbar mit den herkömmlichen Autos, was viele davon abhält, sich eines zu kaufen. Für viele Fahrten innerhalb der Stadt würden sie völlig ausreichen, und wir hätten den enormen Vorteil, dass wir weniger Lärm und Abgase hätten. Die Technologie ist aber noch nicht ausgereift. Dass wir als Stadt gezwungen wären, die Infrastruktur für Elektromobilität herzustellen, vorzuhalten und mit Steuergeldern zu finanzieren, sehen wir im Moment nicht. Insofern versuchen wir, den bedarfsgerechten Ausbau zu unterstützen.
Was ist Ihre Vorstellung von Mülheims Stadtverkehr in 25 Jahren? Was ist anders als heute?
(überlegt) Ich vermute, dass wir im öffentlichen Personennahverkehr sicherlich eine Änderung erwarten dürfen in den nächsten Jahren. Viel diskutiert wird ja über neue Modelle, wie zum Beispiel Uber. Viele fahren nicht mehr mit großen öffentlichen Verkehrsmitteln, sondern sehr viel kleiner und sehr viel privater. Zum Beispiel mit Fahrzeugen, die wir uns teilen und weniger mit dem eigenen Pkw. Das kann alles eine Veränderung bewirken, die wir heute schlecht überblicken können. Aber ich würde vermuten, dass die Dominanz des motorisierten Personenverkehrs in 20 bis 25 Jahren weniger geworden ist. Vielleicht sind die Autos dann auch stärker besetzt.
Das heißt, Carsharing ist das Thema in den nächsten Jahren?
In den Metropolen ist es angekommen und wird genutzt. Irgendwann wird es runtergebrochen auf die Gebiete, die wie das Ruhrgebiet eben metropolenähnlich sind.
Mülheim liegt im Städteranking 2017 des Bundesverbands Carsharing auf Platz 108 von 144. Duisburg, Gelsenkirchen und Oberhausen stehen sogar noch schlechter da. Warum funktioniert das Prinzip bei uns nicht?
Darüber haben wir mit den Carsharing-Unternehmen gesprochen. Sie sagen: „In den Ruhrgebietsstädten habt ihr euch so weit ausgedehnt, dass die meisten Leute ihr Auto noch vor ihren Haustüren abstellen können. Das macht das Carsharing unattraktiv, so dass wir das wirtschaftliche Risiko als zu hoch erachten und deswegen nicht hierhin gehen.“ Das ist im Moment der Grund. Wenn die Carsharing-Gesellschaften Geld verdienen können, kommen sie auch hierher.
Ist das gut oder schlecht, dass es noch nicht genügend Menschen gibt, die auf Carsharing angewiesen sind?
Für die Automobilindustrie ist das gut, wenn es noch viele Autos gibt. Für unser Stadtbild ist es keine Bereicherung. So tolle Autos es auch gibt, die Menge ist nicht schön.
Shared Space light für die Schollenstraße
Peter Vermeulen könnte sich vorstellen, in der Innenstadt mehr auf das Konzept zu setzen.
Für die Schollenstraße wird aktuell das Konzept Shared Space diskutiert. Alle Verkehrsteilnehmer, also Fußgänger, Fahrradfahrer, öffentlicher Personennahverkehr und Autofahrer, wären dabei gleichberechtigt. Wäre es denkbar, dieses Konzept noch auszuweiten?
Wir haben das in der Altstadt oben um die beiden Kirchen schon versucht. Der Pastor-Jacobs-Platz ist so ausgebaut worden. Und wir haben an der Leineweberstraße den Versuch mit einem verkehrsberuhigten Geschäftsbereich. Der Unterschied zwischen den verkehrsberuhigten Geschäftsbereichen und Shared Space liegt darin, dass Sie in Letzterem keine Ordnungsmerkmale mehr haben: Also keine Bordsteinkanten. Fuß- und Radweg sowie Straße sind auf einem Level. Die Schollenstraße wird demnächst für den Verkehr wieder geöffnet, nachdem dort das Schloßstraßenquartier gebaut wurde. Da müssen wir uns fragen, welche Art von Verkehr wir dort haben wollen. Da die Straße allerdings gebaut worden ist, bevor der Kaufhof abgerissen wurde, sind da noch Fördergelder drauf. Die Straße in diesem Ausbauzustand muss zuerst erhalten bleiben. Und deswegen werden wir sie nicht baulich umgestalten, um das Pflaster für alle gleich zu machen. Stattdessen haben wir leicht angedeutete Bordsteine, damit die Fahrstraße erkennbar ist. Aber das Vorrecht der Autos wollen wir zurücknehmen, so dass wir auch da ein ähnliches Konzept haben wie in dem verkehrsberuhigten Geschäftsbereich an der Leineweberstraße. Wir wollen einen Bereich haben, wo es um das Miteinander geht. Wo der eine auf den anderen Rücksicht nimmt.
Also im Prinzip Shared Space light?
Ja, so würde ich das nennen.
Hat sich das Konzept an der Leineweberstraße so bewährt, dass man es ausweiten kann?
Ich finde ja. Wenn Sie die Straße überqueren wollen, betreten Sie einfach die Fahrbahn und die Autos halten an. Das ist für viele gewöhnungsbedürftig, weil man früher immer das Gefühl hatte, man muss warten, bis alle Autos weg sind. Nur so kommt man in der Innenstadt nicht mehr voran. Wir müssen in der Innenstadt die Philosophie vermitteln: Liebe Autofahrer, wo immer du einen Fußgänger siehst – lass ihn rüber.
Gibt es schon konkrete Planungen, das großflächiger anzugehen oder wie im jetzigen Fall bei Bedarf, wenn nach längerer Zeit eine Straße wieder für den Verkehr freigegeben werden soll?
Wir sind eine Stadt im Nothaushaltsrecht. Das heißt, wir sind abhängig von Geldern Dritter. Insofern können wir im Moment nur über Straßen nachdenken, die konkret in der Erneuerung oder in der Ausbesserung sind.
Zur Person: Peter Vermeulen
Prof. Peter Vermeulen wurde 1958 in Vorst (heute Tönisvorst) geboren. Er studierte Wirtschaftswissenschaften, Germanistik, Soziologie und Niederlandistik. Später war der Diplom-Kaufmann Geschäftsführer eines Kulturzentrums und des Bundesverbands Jugendkunstschulen. Anschließend wurde er geschäftsführender Gesellschafter einer Unternehmensberatung.
Seit 2005 ist er Honorarprofessor für Strategisches Kulturmanagement an der Hochschule Merseburg in Sachsen-Anhalt. 2006 wurde Vermeulen Beigeordneter in Mülheim. Er war zuständig für Schule, Kultur, Kinder/Jugend. Seit 2012 ist er Beigeordneter des Dezernats Umwelt, Verkehr, Planen und Bauen. Vermeulen lebt heute in Krefeld. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. In Krefeld kandidierte er 2015 für das Amt des Oberbürgermeisters.
>> Glossar
Modal Split bezeichnet die Verteilung des gesamten Verkehrsaufkommens einer Stadt auf die verschiedenen Fortbewegungsmittel – also Auto, Fahrrad, Bus, Bahn und zu Fuß. In dieser Statistik kann man sehen, welche Mittel Pendler bevorzugt nutzen, um von A nach B zu kommen. Im Verkehrsentwicklungsplan 2009 sind folgende Werte angegeben: 68 Prozent aller Wege in Mülheim (Pendler von außerhalb mit eingerechnet) werden mit dem Auto zurückgelegt. Der Anteil des ÖPNV liegt weit abgeschlagen bei 16 Prozent. 14 Prozent der Pendler gehen zu Fuß, 2 Prozent nutzen das Rad. Diese Zahlen dürften sich vor allem durch die Eröffnung des Radschnellwegs 1 in der Zwischenzeit verändert haben.
Uber ist der Name eines amerikanischen Taxi-Dienstleistungsunternehmens. Die Smartphone-App vermittelt Taxis an ihre Nutzer. Das Unternehmen wird immer wieder kritisiert, weil die Mietwagenfahrer oft Privatleute ohne Taxifahrerkonzession sind. Mittlerweile darf Uber in Deutschland nur noch lizenzierte Taxifahrer vermitteln.