Mülheim. . Einerseits hat das Siemens-Werk Mülheim den Rekordauftrag aus Ägypten abzuwickeln. Andererseits werden Hunderte ihren Arbeitsplatz räumen müssen.
- Bis Ende Februar sind Hunderte Beschäftigte am Siemens-Standort aufgerufen, über ihre Zukunft zu entscheiden
- 368 Stellen sollen in Mülheim bis Ende 2020 über den Sozialplan abgebaut werden
- Gleichzeitig ist der 8 Milliarden Euro schwere Großauftrag aus Ägyten abzuarbeiten
Betriebsrats-Chef Pietro Bazzoli spricht von einem Gefühl der Zerrissenheit innerhalb der Belegschaft, davon, dass viele Mitarbeiter nach all der Arbeit und Anspannung wohl die anstehenden Betriebsferien gut gebrauchen können: Einerseits hat das Siemens-Werk jetzt die erste Turbine ihres Rekordauftrags auf die Reise nach Ägypten geschickt, andererseits sind Aberhunderte Mitarbeiter aufgefordert, sich bis Ende Februar zu entscheiden, ob sie auf freiwilliger Basis Teil des anstehenden Stellenabbaus werden.
348 Stellen sollen bis Ende 2020 wegfallen. Laut Bazzoli sind 900 bis 1000 Mitarbeiter von der Personalleitung angesprochen worden, ob sie Angebote aus dem Sozialplan annehmen wollen, etwa per Abfindung ihren Arbeitsplatz räumen, in Altersteilzeit gehen oder für zwei Jahre in eine Auffanggesellschaft. Eine Wasserstandsmeldung, wie viele sich schon für ein Ausscheiden entschieden haben, gibt es von Siemens nicht. Bazzoli sagt nur: „Ende Februar wissen wir mehr.“
Siemens bewirbt Ortswechsel an die Nordsee
Eine andere Option für die betroffenen Mitarbeiter aus den Bereichen Schaufel/Ventile, Generator und Service könnte ein Ortswechsel sein, ohne die Siemens-Familie zu verlassen. In Cuxhaven entsteht gerade ein neues Werk für Windkraftanlagen. 1000 Mitarbeiter werden gesucht.
Anfang Oktober war eine Cuxhavener Delegation um Standortleitung, Personalrecruiter und Vertretern der Stadt Cuxhaven extra zum Siemens-Standort an der Mellinghofer Straße gekommen, um bei den Mülheimern für den Job- und Tapetenwechsel zu werben. Knapp 150 Kollegen waren gekommen. Siemens bietet interessierten Mitarbeitern Mietwagen an, damit sie sich Baustelle und Lebensumfeld in Cuxhaven anschauen können.
Christian Rataj verlässt das Ruhrgebiet freiwillig
Mit dem Ingenieur Christian Rataj (33) hat nun der erste seinen Arbeitsvertrag in den Händen. Rataj, der in der Arbeitsvorbereitung der Ventil- und Schaufelfertigung tätig ist, war die Entscheidung leichtgefallen, leichter wohl als denjenigen Kollegen, die im Ruhrgebiet wegen Eigentum, schulpflichtiger Kinder oder Familie weitaus mehr als er verwurzelt sind.
Ratajs Kinder sind noch nicht in der Schule, seine Frau liebt das Meer. Er selbst mag es ländlicher, braucht den Ballungsraum nicht. Nach zwölf Jahren fällt es dem zugezogenen Rataj nicht schwer, seine Zelte im Ruhrgebiet wieder abzubrechen.
Im Cuxhavener Werk sind 1000 Stellen zu besetzen
„In Cuxhaven werden in allen Bereichen noch Mitarbeiter gesucht, ob Schlosser, Techniker, Kaufleute oder Ingenieure“, sagt Ratajs Teamleiter und Betriebsrat Jörg Paulerberg. Er weiß aber auch: Viele wird’s nicht in den Norden ziehen. Aber wenn schon zehn ihr Glück in Cuxhaven suchen würden, wäre das auch schon gut. Denn jeder, der woanders gut unterkommt, lässt den Druck auf die Belegschaft in Mülheim sinken.
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Nach Beobachtung von Betriebsrats-Chef Bazzoli ist die Belegschaft „ausgepowert“. Mit der Familie gelte es nun zu entscheiden, ob ein Ausstieg in Frage kommen könnte. Andererseits erfordert die termingerechte Abwicklung des acht Milliarden schweren Rekordauftrags aus Ägypten seit Monaten höchste Arbeitsmoral.
Kraftwerke in Ägypten werden die größten der Welt
Jetzt sind die Kernbauteile für die erste von zwölf Dampfturbinen vom Rhein-Ruhr-Hafen aus auf die Reise nach Ägypten geschickt worden. Mit anderen Bauteilen zusammengesetzt, wird die Dampfturbine mit 670 Tonnen so schwer sein wie 134 ausgewachsene afrikanische Elefantenbullen. Das Werk Mülheim liefert zusätzlich 20 Generatoren. Drei erdgasbefeuerte Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 14,4 Gigawatt sollen noch 2017 ans Netz gehen. Laut Siemens werden es die größten der Welt sein.
Hier die großen Erfolge, dort die großen Sorgen. Das meint Bazzoli, wenn er vom Gefühl der Zerrissenheit in der Belegschaft spricht.