Mülheim. . Paul-Gerhard Bethge wird am heutigen Freitag, 28. November, 90 Jahre alt. Der ehemalige Bürgermeister und FDP-Ratsherr blickt auf das Stadtgesehen und fordert mehr Mut zur Verantwortung .
Paul-Gerhard Bethge wird heute 90. Eingeladen hat er nur die engsten Freunde, „mehr geht nicht“, sagt er bestimmt. Das Stadtgeschehen verfolgt er wach, schöpft aus seinen Erfahrungen als ehemaliger Kommunalpolitiker. 20 Jahre arbeitet er im Rat, fünf Jahre dazu als Bürgermeister. Als die FDP aus dem Rat fliegt, ist für PG Behtge – wie ihn seine Wegbegleiter nennen – der politische Alltag abrupt beendet. Mit der WAZ beleuchtet er Aktuelles und Vergangenes.
Wäre heute die Mülheimer Gartenschau (MüGa) noch möglich?
Paul-Gerhard Bethge: Mit den gerade Verantwortlichen nicht. Gerd Müller (damals SPD-Vorsitzender) hat seine Idee über Jahre gegen alle Widerstände in seiner Partei vorangetrieben. Er war von dieser guten Sache für Mülheim überzeugt. In Horst van Emmerich und Fritz Baltes fand er die Verwirklicher.
Was hatten diese Leute, was ihren Nachfolgern heute fehlt?
Bethge: Leidenschaft, Einsatz, Tatkraft. Sie lebten in und für diese Stadt. Dezernenten, die nicht aus Mülheim kommen, fehlt Gespür für das Mölmsche. Darum bewegen sie wenig oder stoßen Leuten mit Leuchtturmprojekten vor den Kopf.
Und die politisch Aktiven?
Bethge: Die zaudern und zögern zu viel. Früher war es einfacher, mit absoluten Mehrheiten zu regieren. Wer seine Ohren nicht bei den Wählern hatte, bekam auch Druck – der war nur nicht so öffentlich. Wer zunehmend auf Bürgerbefragungen setzt, macht sich als Kommunalpolitiker überflüssig und will keine Verantwortung übernehmen.
Fehlt eine klare Linie bei den Parteien und der Stadtpolitik?
Bethge: Ja. Ein Beispiel ist der Flughafen. Die CDU ist längst umgefallen, die SPD bekennt sich verhalten, die FDP steht dahinter. So holt man den Flugplatz nicht aus den Verlusten. Dafür bestimmen ein bis vier Leute, dort soll Ruhe sein – und die demokratische Mehrheit schweigt.
Ist die Kaufhof-Ruine ein Ergebnis der fehlenden Leidenschaft?
Bethge: Zweifellos. Herr Hoffmeister hat die Stadt mit der neuen Feuerwache auf die Rolle genommen. Beim Kaufhof hat Mülheim nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft. Das hat die Innenstadt beschädigt. Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld geht mit einigen Leuten eine zu große, kumpelhafte Nähe ein.
Seine Themen: Finanzen, Gesundheit und Sport
Paul-Gerhard Bethge, geboren am 28. November 1924 in Mülheim Ruhr. In der Altstadt ist er aufgewachsen und verwurzelt. In den 1950er Jahren beginnt er im Finanzamt, steigt bei der FDP ein. Von 1964 bis 1984 kümmert er sich im Rat um Finanzen, Stadtentwicklung, Gesundheit, Sport.
Nach Wilhelm Dörnhaus und Alfred Jutzi ist PG Bethge von 1979 bis 1984 der dritte FDP-Bürgermeister in Mülheim, trotz absoluter Mehrheit der SPD. 1984 fliegt die FDP – nach Bruch der sozial-liberalen Koalition in Bonn – zum ersten Mal aus dem Rat, nur 4,8 Prozent. Bis dahin ist Mülheim Hochburg der Liberalen.
Im Kuratorium des ev. Krankenhauses arbeitet Paul-Gerhard Bethge 25 Jahre. Er ist noch Alterspräsident der Tennisabteilung am Kahlenberg beim KHTC.
War das nicht früher auch so in Mülheim?
Bethge: Wir waren befreundet, über Parteigrenzen hinweg. Aber wir hatten Respekt voreinander. Nach Ratssitzungen saßen wir früher alle miteinander noch irgendwo und redeten. Die Dezernenten trafen sich regelmäßig mit den Fraktionsspitzen. So waren alle in die Ideen und Pläne für Mülheim eingebunden. Parteibücher haben vieles erleichtert. Aber ein Könner des anderen politischen Lagers war ebenso anerkannt, und er konnte etwas erreichen. Wir haben mit der SPD für eine Sache gestimmt, obwohl die uns gar nicht brauchte. Umgekehrt hat die SPD uns unterstützt, wenn ich Friedrich Wennmann, Hans Meinolf oder Helmut Driskes (alle einmal Fraktionsvorsitzende) überzeugt hatte.
Warum wurden Sie Bürgermeister?
Bethge: Weil Gerd Müller mich gefragt hat. Es war eine Ehre für mich, als Bürgermeister den Menschen in dieser Stadt zu dienen. Das hat mir vor allem in der FDP Ärger gebracht. So konnte ich mich für historische Laternen in Saarn stark machen. Ich kaufe gern im Dorf ein, weil alles nah beieinander liegt. Das zieht an.
Wäre die Sparkassenakademie auch ein Magnet für die Stadtmitte – wenn sie denn kommt?
Bethge: So eine Akademie gehört an den Rand der Innenstadt.
Also zur VHS in die MüGa?
Bethge: Das Gebäude hat die SPD als unersetzbare Bildungsstätte, nach ihrem großen Oberbürgermeister als Heinrich-Thöne-Volkshochschule betoniert. Bildung steht wieder auf deren Fahnen – zum Abreißen?
Was kann die Stadtmitte beleben?
Bethge: Geschäfte. Wir hatten einst tolle Läden in der ersten Fußgängerzone des Ruhrgebietes. Bürgerinitiativen sollten nicht alles zerreden. Das schadet dem Ansehen Mülheims. Wer Stillstand und nur Ruhe will, der darf wegziehen.
Kann Ruhrbania nicht mehr helfen?
Bethge: Die Idee für Ruhrbania stammt auch von Gerd Müller: Aber der hätte keinen Rathaus-Anbau geduldet. Würde er noch leben, sähe das Ruhrufer jetzt anders aus.
Wird die FDP in Mülheim wieder die dritte Kraft?
Bethge: Mit Christian Mangen kann das klappen. Er hat das Zeug dazu. Die anderen müssen aber mitziehen.
Was möchten Sie noch tun?
Bethge: Ich möchte noch mal auf den Tennisplatz, mit Schmackes die Bälle übers Netz fegen. Zischt es dann an den Ohren, sind die Leute wach.