Herne. Altkanzler Gerhard Schröder war am Donnerstagabend im Herner Kulturzentrum zu Gast. Der Altkanzler sprach den Genossen Mut für die Bundestagswahl zu: „Da geht noch was“, sagte er vor 600 Zuhörern. Aber auch Selbstkritik übte Schröder - Er räumte Fehlentwicklungen durch die Agenda 2010 ein.

Stehende Ovationen sind im Kulturzentrum keine Besonderheit. Aber dass wie am Donnerstagabend der halbe Saal einem Gast eine solche Ehrerbietung erweist, bevor dieser auch nur ein einziges Wort gesprochen hat, ist dann doch außergewöhnlich. Wahlkampf mit Gerhard Schröder – „das war gut!“, so wird SPD-MdB Gerd Bollmann den bejubelten Auftritt des Altkanzlers später zusammenfassen.

Zum ersten Mal ist Schröder in Herne und lernt um 17.30 Uhr zunächst mal das Parkrestaurant kennen. Nach einem Essen u.a. mit den Münteferings und SPD-Ratsfraktions-Chef Frank Dudda geht’s – eskortiert von der Polizei – zum Kulturzentrum. Dort wird der prominente Gast kurz vor 19 Uhr schon von 600 Besuchern und einem großen Medienaufgebot erwartet.

Rede von Michelle Müntefering

Nach einer etwas holperigen Rede Michelle Münteferings tritt Schröder ans Mikrofon. „Deutschland Rolle in Europa. Chancen und Perspektiven“ lautet der staatstragende Titel seines Vortrags, der zum Glück nur den Rahmen für meist kurzweilige 37 Minuten liefert.

Europäer, Kriegsgegner, Bildungspolitiker, Sozialdemokrat – all diese Rollen vereint Schröder in dem routinierten Auftritt. Und natürlich die des Wahlkämpfers: „Gegenwärtig geht ein Ruck durch die SPD. Da geht noch was“, beschwört er die Genossen. In Anlehnung an ein Lutterwort fordert er Optimismus ein: „Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz.“

Gegen die CDU und „Frau Merkel“ setzt er nur wenige Nadelstiche. Diese ruhten sich auf Erfolgen aus, so ein Vorwurf, „für die sie gar nicht verantwortlich sind.“

Altkanzler übt Selbstkritik

Auch leise Selbstkritik übt der Altkanzler. Wie schon zuvor Michelle Müntefering räumt er einige Fehler in bzw. Fehlentwicklungen durch die Agenda 2010 ein. Einige Zumutungen habe es für die SPD und ihre Unterstützer gegeben, sagt er.. Aber die Richtung, so die Botschaft, die habe gestimmt.

Mit einem finalen Lob Schröders für die Kandidatin Michelle Müntefering und neuerlichen stehenden Ovationen endet der offizielle Teil. Der Wunsch des Altkanzlers und der SPD, den Abend im Foyer bei Gesprächen gemütlich ausklingen zu lassen, erfüllt sich nicht. Nach der Erfüllung einiger Autogrammwünsche treibt der Medientross Gerhard Schröder und Michelle Müntefering in teils bizarr anmutenden Szenen quer durchs Kulturzentrum. Dann kommt der Altkanzler doch noch nur zur Ruhe: Auf der „Zille“-Terrasse nehmen er und die SPD-Spitzen unbehelligt Platz. Der legendäre Schröder-Satz „Hol mir mal ‘ne Flasche Bier“ soll an dem Tisch übrigens nicht gefallen sein.

Dass Herne im Kalender des Altkanzlers steht, ist durchaus bemerkenswert, denn: Gerhard Schröder macht sich rar im Bundestagswahlkampf und nimmt nur eine Handvoll Termine für die SPD wahr. Zweimal trommelte er bereits für den Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, gestern Nachmittag unterstützte er vor dem Auftritt im Kulturzentrum seine frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt in Aachen.

"Offizielle Einladung an Gerhard Schröder"

Dass sich Schröder mit dem Besuch in Herne für den Einsatz von Franz Müntefering im Niedersachsen-Wahlkampf für die (später auch gewählte) Landtagskandidatin Doris Schröder-Köpf revanchiert hat, wie Medien berichteten, will SPD-Chef Alexander Vogt so nicht bestätigen. „Es hat eine offizielle Einladung an Gerhard Schröder gegeben“, sagt er zur WAZ.

Wie in der Herner SPD nicht unüblich, gab es vor Schröders Besuch (nur) hinter vorgehaltener Hand auch kritische Stimmen. Zweifel wurden laut, ob der Vater der Agenda 2010 angesichts des eher auf soziale Themen getrimmten Wahlkampfs nicht möglicherweise falsche Signale setzen könnte. Auch das sieht Vogt anders. „Unsere Partei ist breit aufgestellt“, sagt er. Das habe die Herner SPD im Wahlkampf entsprechend berücksichtigt und auch Vertreter der Mitte oder des linken Parteiflügels zu Gast gehabt. Unabhängig davon müsse nach Ansicht von Alexander Vogt auch etwas anderes beachtet werden: „Gerhard Schröder hat große Verdienste um die SPD erworben.“