Herne. Herner Eltern wollten ihre lernbehinderten Kinder für den Gemeinsamen Unterricht an der Hauptschule Hölkeskampring anmelden. Vom Schulamt bekamen die Familien allerdings eine Zuweisung für das Gymnasium Eickel und die Mont-Cenis-Gesamtschule. Die Eltern üben daran heftige Kritik und sind um ihre Kinder besorgt.

Bis zum ersten Tag der Osterferien war die Welt der Familie Müller aus Holsterhausen und die der Familie Leihs aus Herne-Mitte in Ordnung. Die schulische Zukunft der beiden lernbehinderten Kinder schien geregelt, nach dem Besuch des Gemeinsamen Unterrichts (Inklusion) der Grundschule sollten sie nach den Sommerferien den der Hauptschule Hölkeskampring besuchen. Die Eltern hatten sich gründlich informiert und die Zusage der Schule, die Kinder würden berücksichtigt.

Doch dann der Schock: An besagtem ersten Ferientag erhielten die Familien die schriftlichen Schulzuweisungen für ihre Kinder: Das Kind der Leihs sollte die Mont-Cenis-Gesamtschule besuchen, das der Müllers das Gymnasium Eickel. Die Eltern waren entsetzt - und sind es bis heute. Zwei der insgesamt vier Wochen Widerspruchsfrist konnten sie wegen der Ferien kaum nutzen, in den verbleibenden neun Werktagen unternahmen sie alles, um gegen die Zuweisungen anzugehen. „Ich habe neun Tage lang nur telefoniert“, sagt Patricia Müller, „bin von einem zum anderen verbunden worden, habe widersprüchliche Aussagen erhalten.“ Kornelia Leihs sei es nicht anders ergangen. Die große Sorge der Eltern: „Unsere Kinder gehen unter.“

Weite Wege für die Kinder

Auf einer Hauptschule hätten sie noch mithalten und einen Abschluss schaffen können, sagen sie. Kornelia Leihs hat es zumindest durchgesetzt, dass ihr Kind nun die Realschule Crange besuchen kann - und nimmt es wegen der Entfernung auf sich, die Tochter täglich hin- und zurückzufahren. „Zum Hölkeskampring hätte sie nur ein Stückchen laufen müssen.“

Nichts mit ihrem Protest haben die Müllers erreicht, ihre Tochter muss nach den Sommerferien zum Gymnasium nach Eickel, obwohl für sie das Pestalozzi-Gymnasium näher gewesen wäre. Auch Patricia Müller wird die Tochter zur Schule bringen und abholen: „Die Strecke schafft sie nicht alleine.“ Dass ihre Tochter sich nun unter Gymnasiasten behaupten soll, erfüllt die Eltern mit größter Sorge: „Sie hat das Selbstbewusstsein nicht“, sind sie sich sicher. „Ein lernbehindertes Kind auf ein Gymnasium zu schicken, ist so, als würden man einen Kreisklassespieler in die Bundesliga schicken und sagen: ,Er bekommt manchmal einen gesonderten Trainer’“, sagt Bodo Müller bitter.

Die Eltern waren so verzweifelt, dass sie juristische Schritte einleiten wollten. „Wir haben das eingestellt, weil uns das Schulamt gesagt hat, die Hauptschule Hölkeskampring würde definitiv nächstes Jahr geschlossen und für ein Jahr würde sich das doch nicht lohnen“, so Kornelia Leihs.

Weniger Anmeldungen als erwartet 

Es hätte durchaus eine inklusive Klasse am Hölkeskampring für das neue Schuljahr geben können, sagt Klaus Hartmann, Leiter des städtischen Fachbereichs Schule. Die Schule schließe ja keineswegs nächstes Jahr, sondern soll, wenn der Rat es beschließt, vom nächsten Jahr an keine neue Eingangsklasse mehr bilden. Es habe jedoch weniger Anmeldungen von Kindern für den Gemeinsamen Unterricht gegeben als erwartet, deshalb sei an der Hauptschule keine inklusive Klasse eingerichtet worden. Weil es demnächst wohl nur noch eine Hauptschule in Herne gebe, müssten aber auch andere weiterführende Schulformen inklusiven Unterricht anbieten: „Allein schon, damit es nicht an wenigen Schulen zu einer Konzentration lernbehinderter Kinder kommt, was nicht dem Sinn des Gemeinsamen Unterricht entspräche.“

Welche Schule lernbehinderte Kinder besuchen, entscheiden in NRW nicht die Kommunen, sondern das Schulamt, eine Einrichtung des Landes. Dabei werde Rücksicht genommen auf Wohnortnähe und ob Geschwisterkinder schon die Schule besuchen. Wünsche der Eltern, so Schulamtsdirektor Reinhard Leben, würden nicht ausdrücklich abgefragt. Das könne sich ändern, wenn nächstes Jahr das Schulrechtsänderungsgesetz verabschiedet werde. „Wir befinden uns zurzeit in einer Übergangsphase“, so Leben. Zu 80 bis 90 Prozent lasse sich auch jetzt eine gute Lösung finden, aber es gebe leider auch andere Fälle. Eltern lernbehinderter Kinder, die ein Gymnasium besuchten, hätten anfangs oft Vorbehalte. „Aber es hat bis jetzt keine schlechten Erfahrungen damit gegeben.“

Nach den Sommerferien starten an vier weiterführenden Schulen 5. Klassen mit dem Gemeinsamen Unterricht:
- Realschule Crange
- Pestalozzi-Gymnasium
- Gymnasium Eickel
- Gesamtschule Mont Cenis

Der Richtwert für die Zahl lernbehinderter Kinder pro Gruppe liegt bei 5. Ihnen stehen 13 Förderstunden pro Woche durch einen Sonderpädagogen zu.