Herne. Seit Monaten schwelt ein Konflikt im Herner Lidl-Lager. Der spitzt sich zu: Mitarbeiter berichten vom Druck, Betriebsratsvorsitzender vor Abwahl.

Der Betriebsratsvorsitzende des Herner Lidl-Lagers an der Südstraße nimmt die Situation mit einer bemerkenswerten Ruhe hin: Seit Monaten sieht er sich einem enormen Druck ausgesetzt - einerseits vom Unternehmen, das versucht hat, ihn zu kündigen. Allerdings ohne Erfolg. Andererseits haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor dem Arbeitsgericht Herne ein Amtsenthebungsverfahren in Gang gesetzt, um den BR-Vorsitzenden und seinen Stellvertreter von ihren Positionen zu entfernen. Nun stehen die beiden offenbar unmittelbar vor der Abwahl - über einen ganz anderen Weg.

Nach WAZ-Informationen hat eine Mitarbeiterin vor wenigen Wochen das Unternehmen verlassen. Interessant ist dabei die Art und Weise des Abschieds. Sie war ebenfalls Mitglied des Betriebsrats und sicherte mit ihrer Stimme dem Vorsitzenden und Stellvertreter im zerstrittenen Gremium eine hauchdünne 4:3-Mehrheit. Nach der Rückkehr aus der Elternzeit sollte sie offenbar in eine andere Abteilung versetzt werden, dagegen wehrte sie sich vor dem Herner Arbeitsgericht - vergeblich. So kehrte sie Lidl den Rücken, das Unternehmen hat dem Vernehmen nach den Abschied mit einer Abfindung vorgangetrieben.

Das Unternehmen nimmt keine Stellung zu den Vorgängen

Das Unternehmen wollte sich auf Anfrage der Herner WAZ-Redaktion zu diesem Fall nicht äußern, auch zu weiteren Vorgängen hinter den hohen Mauern des Lagers. „Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir unter anderem aus datenschutzrechtlichen Gründen zu internen Personalangelegenheiten und zu laufenden Verfahren grundsätzlich keine Angaben machen“, heißt es.

Da der Betriebsratsvorsitzende mit dem Ausscheiden der Kollegin seine Mehrheit verloren hat, werde er wohl abgewählt, erzählt er im Gespräch mit der Herner WAZ. Und tatsächlich: Kaum war der Abgang der Kollegin bekannt, wurden für die Betriebsratssitzung am Freitag, 31. Mai, folgende Tagesordnungspunkte eingereicht: Abwahl und Neuwahl des BR-Vorsitzenden; Abwahl und Neuwahl des 2. BR-Vorsitzenden; Abwahl und Neuwahl des 3. BR-Vorsitzenden.

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Verdi-Sekretär Azad Tarhan: Was hier geschieht, ist Union-Busting, wie es im Buche steht. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Damit könnten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die den BR-Vorsitzenden loswerden wollen, am Ziel sein. Auch das Unternehmen? Verdi-Sekretär Azad Tarhan berichtet jedenfalls, dass der Betriebsleiter den Antrag gestellt habe, sich dem Amtsenthebungsverfahren anzuschließen, das die Mitarbeiter gegen den BR-Vorsitzenden angestoßen hatten. Tarhan: „Das zeigt endlich, welch Geistes Kind dieses Amtsenthebungsverfahren tatsächlich ist.“ Der Betriebsleiter ahne wohl, dass die Kündigungsverfahren haltlos seien und ziehe nun weitere Register. „Ein Gutes hat es: Was für kritische Augen bereits früh ersichtlich war, wird jetzt für alle offensichtlich. Die eigentliche Motivation hinter dem Amtsenthebungsverfahren ist beim Betriebsleiter zu suchen und nicht bei der Masse der Beschäftigten. Das passt auch zu Berichten darüber, dass Unterstützungsunterschriften zum Amtsenthebungsverfahren auf Druck von Vorgesetzten zustande kamen.“

Unterschriftenliste für Amtsenthebungsverfahren: „Es gab richtig Druck“

Diesen Druck hatten die Gegner des Betriebsratsvorsitzenden im Gespräch mit der WAZ bestritten, doch die Redaktion hat mittlerweile mit einer Reihe von Personen gesprochen, die völlig andere persönliche Erfahrungen schildern. Manche berichten, dass sie von Abteilungs- und Gruppenleitern mehrmals gefragt worden seien, ob sie die Unterschriftenliste für das Amtsenthebungsverfahren unterzeichnen. Bei einer Ablehnung seien sie gefragt worden, warum nicht. „Es gab richtig Druck.“ Mancher habe schließlich unterschrieben, weil er dem Druck nicht standgehalten und keine andere Lösung gesehen habe. Dagegen sind andere Kolleginnen und Kollegen offenbar gar nicht gefragt worden - weil den Vorgesetzten wohl klar gewesen ist, dass sie nicht unterschreiben.

Begründet wird das Verfahren gegen den BR-Vorsitzenden mit einer fehlenden Vertrauensbasis. Dafür werden zahlreiche Einzelpunkte aufgelistet: Darüber wundert sich der BR-Vorsitzende in manchen Fällen. Auf der Unterschriftenliste fänden sich nämlich Namen von Mitarbeitern, die erst kurz zuvor bei Lidl angefangen hätten. Das könne er beweisen. Wie diese Kollegen so schnell angeblich kein Vertrauen mehr in ihn haben sollen, sei ihm schleierhaft.

Mitarbeiter fürchten sich vor neuem Betriebsrat: „Uns wird es nicht gut gehen“

Jene, die auf der Seite des jetzigen BR-Vorsitzenden und seines Stellvertreters stehen, fürchten sich, wenn die Mehrheit im Betriebsrat kippt. „Es wird uns nicht gut gehen.“ Schon die vergangenen beiden Jahre - nach der Ankunft des neuen Betriebsleiters - seien schlimm gewesen, doch demnächst könne man gar nicht mehr zum Betriebsrat gehen, wenn man Probleme habe.

Verdi-Sekretär Azad Tarhan kommentiert die Vorgänge so: „Was hier geschieht, ist Union-Busting, wie es im Buche steht. Mit allen Mitteln sollen kritische Betriebsräte geschasst werden. Kommt der Arbeitgeber mit Kündigungsverfahren nicht ans Ziel, wird versucht, dem Beschäftigten den Schutz des Betriebsratsmandats zu entziehen. So kann ihm dann am Arbeitsplatz die Hölle auf Erden bereitet werden, bis er schließlich von selbst aufgibt.“

Auch Tarhan selbst ist in die Kritik der Gegner des BR-Vorsitzenden geraten. Er habe im Zuge des Ausbaus des Lagers Verunsicherung verbreitet und Ängste geschürt, behaupteten Mitarbeiter im Gespräch mit der WAZ. Ursache ist wohl ein Informationsblatt, das Tarhan verteilt hat. Dort werden lediglich Fragen erläutert, die sich im Zusammenhang mit dem Umzug ins größere Lager stellen.

Angesichts der Kritik an seiner Person hat Tarhan vor wenigen Tagen eine Sprechstunde angeboten, um mit diesen Kritikern ins Gespräch zu kommen. Die Bilanz: Es hat sich niemand blicken lassen.

Der Betriebsratsvorsitzende fürchtet sich nicht vor dem, was kommt. Wer er nicht mehr freigestellt sei, werde er eben arbeiten. Und auch als normales Betriebsratsmitglied werde er sich für die Interessen der Mitarbeiter einsetzen.