Herne. 2019 war Herne die erste deutsche Stadt, in der E-Scooter fahren durften. Warum das so war - und wie die Bilanz mit den Rollern heute ausfällt.
Premiere in Herne: Die Freude war groß Anfang Juni 2019, als in dieser Stadt als erste Kommune bundesweit E-Scooter im regulären Straßenverkehr rollten. Herne war für ein paar Tage E-Scooter-Hauptstadt. So sieht die (Zwischen)-Bilanz aus.
Aus Sicht vieler Hernerinnen und Herner dürfte das Urteil eindeutig sein: Die Scooter sind ein Ärgernis. Das wurde vor wenigen Wochen in der Sitzung des Mobilitätsausschusses deutlich. Die Politik berichtete von jeder Menge Beschwerden über Roller, die kreuz und quer auf den Gehwegen liegen. Auch Minderjährige seien - verbotenerweise - mit den Rollern unterwegs, manchmal stünden zwei oder gar drei Personen darauf. Eine Forderung der Politik: die Einrichtung von echten Parkzonen.
Erstes Zwischenfazit war hoffnungsvoll
Von diesen Problemen war 2019 nichts zu ahnen, damals standen ganz andere Dinge im Vordergrund: Die Scooter des Berliner Start-ups Circ sollten ein Mosaikstein sein, um neue Formen der emissionsfreien Mobilität und die grüne Infrastruktur in der Stadt weiterzuentwickeln. Teil der Zukunftsvision war unter anderem ein Kombiticket von E-Scooter-Anbieter und der HCR, beide Unternehmen schlossen eine entsprechende Absichtserklärung. Im Rahmen eines Forschungsprojekts sollte Prof. Haydar Mecit, Stiftungsprofessor der Stadtwerke, die Daten der E-Scooter-Nutzer auswerten, um zu sehen, ob ÖPNV-Nutzer auch die E-Roller nutzen.
Der Beginn war durchaus hoffnungsvoll: Die erste Bilanz nach einem halben Jahr offenbarte, dass bei den bis dato rund 10.000 Fahrten die zurückgelegte Strecke bei eineinhalb Kilometern lag und etwa 15 Prozent der Fahrten 30 Meter von einer Bushaltestelle begannen. Ein kleiner Hinweis, dass die elektrischen Roller interessant sind, um die kleine Mobilitätslücke zu füllen.
Datenstrom versiegte nach der Übernahme von Circ
Allerdings: Kaum ein Jahr nach dem Start rollte Circ aus Herne weg, nachdem es vom amerikanischen Anbieter Bird übernommen worden war. „An dem Tag, als Bird Circ übernommen hatte, ist auch der Datenstrom gekappt worden“, erzählt Prof. Haydar Mecit nun im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Die weiteren Anbieter, die danach nach Herne gekommen seien, würden Daten in einer Form übermitteln, die für wissenschaftliche Zwecke unbrauchbar seien. So würden beispielsweise mehrere Bewegungen in einem ganzen Paket zusammengefasst. Daraus ließen sich aber keine Rückschlüsse ziehen. Ursache dieses Vorgehens sei der Datenschutz.
Mecits Resümee: „Die enge Verzahnung der E-Scooter mit dem ÖPNV ist nach fünf Jahren nicht so weit gediehen, wie sie könnte.“ Das liege daran, dass sowohl die Scooter-Anbieter als auch die HCR nicht die personellen Kapazitäten hätten, um die erforderliche Datenanalyse durchzuführen. Deshalb sei das Profil der Stiftungsprofessur eigentlich ideal gewesen, um die notwendigen Erkenntnisse zu gewinnen. Dennoch würde er als Professor der Hochschule Bochum mit seinem Team auch weiterhin untersuchen, wie Mobilität in Herne verbessert werden kann.
Scooter-Anbieter Tier: Kunden nutzen unseren Service in Verbindung mit dem Nahverkehr
Darauf, dass Herne vor fünf Jahren durchaus auf der richtigen Spur war, deutet die Stellungnahme des Anbieters „Tier“ hin. „Unsere Daten zeigen, dass etwa jede fünfte Fahrt an einer ÖPNV-Haltestelle beginnt oder endet. Und wir sehen auch, wie stark die E-Scooter zu Pendlerzeiten morgens und nachmittags genutzt werden. Das heißt also, Kunden nutzen unseren Service in Verbindung mit dem Nahverkehr“, heißt es auf Anfrage der Herner WAZ-Redaktion. Außerdem kooperiere „Tier“ mit dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) und arbeite an einer Integration seiner E-Scooter in die VRR-App.
„E-Scooter sind bei der Mobilität nicht der Gamechanger, das war aber auch nicht zu erwarten“, sagen Melina Albrecht und Peter Sternemann vom städtischen Fachbereich Verkehr im Gespräch mit der WAZ. Dass sie beliebt seien, zeigten die Daten, die die Anbieter der Stadt zur Verfügung stellten. Zwischen 6000 und 9000 Fahrten pro Monat registriere jeder Anbieter, „die Zahl steigt während der Cranger Kirmes deutlich“. Und nicht wenige Menschen würden die Scooter auf der Strecke vom Herner Bahnhof zum Gewerbegebiet Friedrich der Große nutzen, dies habe sich im Zuge des Projekts „Ways 2 Work“ herausgestellt.
Dazu dürfte vor allem die Kooperation zwischen „Tier“ und dem Logistikunternehmen UPS beizutragen. Seit Ende 2021 gibt es auf dem Gelände der UPS Niederlassung eine Parkfläche für die E-Scooter, wo die Fahrzeuge den Nutzern rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Insbesondere nachts - wenn kaum noch Busse fahren - ergänzt das Angebot den öffentlichen Nahverkehr.