Herne. Forscher Haydar Mecit untersucht, inwieweit sich die Mobilität in Herne durch einen E-Scooter-Verleih verändert. Die WAZ hat mit ihm gesprochen.
Wie werden Mobilitäts- und Energielösungen der Zukunft aussehen? Können die E-Scooter, die seit einigen Tagen zum Ausleihen zur Verfügung stehen, die Mobilität in Herne verändern? Antworten auf diese und andere Fragen sucht Haydar Mecit. Er hat am 1. März die Stiftungsprofessur für „urbane Energie- und Mobilitätssysteme“ der Stadtwerke angetreten. Im Gespräch mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann erläutert der Wissenschaftler seine Ziele.
Herr Mecit, Sie sind bei der Präsentation der E-Scooter von Circ auch selbst gefahren? Wie hat es Ihnen gefallen?
Mecit: Es hat Spaß gemacht. Es ist typisch für den elektrischen Antrieb, dass man aus dem Stand heraus eine hohe Beschleunigung erfährt, und Menschen scheinen diese Beschleunigung direkt auch als Freude zu empfinden. Man denke nur an seine eigene Kindheit, in der einem alles mit Beschleunigung automatisch auch Spaß machte.
Werden Sie denn in Zukunft selbst einen E-Scooter nutzen?
Ja, das habe ich mir bereits vorgenommen, denn die elektrischen Tretroller machen Sinn für kurze Strecken innerhalb der Stadt. Viele Herner werden durch das Verleihangebot zum ersten Mal mit ihnen in Berührung kommen. Im Ausland gibt es schon Angebote, den Tretroller später zu kaufen, wenn er gefällt.
Welches Potenzial sehen Sie in den E-Scootern?
Ein sehr großes. Überall dort, wo es das Angebot schon gibt, wird es auch sehr stark genutzt. Mit seinen Vor- aber auch Nachteilen. Deshalb haben wir für die Einführung in Herne darauf geachtet, dass wir potenzielle Probleme möglichst im Vorfeld vermeiden. Zum Beispiel, wenn es um das Abstellen geht. Wir haben gemeinsam mit dem deutschen Start-up Circ und der Stadt Herne daran gearbeitet, mittels Parkplatzmarkierungen an Bahnhöfen ein möglichst geordnetes Abstellen zu ermöglichen.
Sie haben die Anbieter im Ausland erwähnt. Die agieren ja ausschließlich in den großen Metropolen. Wie sehen Sie die Chancen in Herne? Das Angebot des Metropolrads Ruhr wird eher zurückhaltend genutzt.
Die Chancen sind meines Erachtens gut. Die Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, die Tretroller werden eher angenommen als die Leihfahrräder. Das hat mit dem so genannten Hop-On-Hop-Off-Effekt zu tun. Das bedeutet, dass man eine kleinere physische Barriere hat, den Tretroller zu nutzen. Man macht nur einen Schritt, um aufzusteigen und kann dann auch zügig losfahren. Wenn man absteigt, ist das wiederum wie eine einfache Stufe. Studien zeigen, dass dadurch auch die mentale Barriere kleiner ist. Der E-Tretroller wird schneller angenommen. Auch weil er per App schnell freizuschalten ist.
Haben die E-Scooter das Potenzial, Mobilität insgesamt in Herne zu verändern?
Weil Herne kleiner ist als andere Städte, ist das Potenzial höher, dass der E-Scooter hier häufiger genutzt wird. Eine typische Strecke liegt zwischen zwei und fünf Kilometern. Damit kann man ja Herne in der Vertikalen fast schon zur Hälfte durchkreuzen.
Wie sehen Sie generell die Situation der Mobilität in Herne?
Man sieht in der Innenstadt sehr viele Fahrzeuge und viele Transporter in der Fußgängerzone. Das wird zunehmend als störend empfunden, sprich: zu viele Pkw, zu große Flächeneinnahme für den Transport weniger Menschen.
Wie kann man aus Ihrer Sicht umsteuern?
Ich wünsche mir vor allem für den Ballungsraum Ruhrgebiet lebenswertere Innenstädte. Das ist gleichzeitig aber auch ein Dilemma, was ich zum Beispiel an mir selbst sehe: Ich bin mit dem Auto zum Interview gekommen und habe mir natürlich gewünscht, direkt in der Nähe einen freien Parkplatz zu finden. Ich selbst bin ja zugegebenermaßen noch ganz auf Automobilität ausgelegt, wie viele andere auch. Lebenswerter kann also nicht nur autofrei heißen. Ich bin gegen Verbote und stattdessen für mehr Angebote, die Lust auf andere, neue Mobilität machen. Wie eben Tretroller.
Wenn dann auch Dienstleister merken, zum Beispiel Pflegedienste, dass die Fahrt mit dem Tretroller praktikabel ist und sich lohnt, dann wird man automatisch Veränderungen sehen. Ich glaube daran, dass man neue Technologien so für Menschen anbieten muss, dass sie selbst darüber entscheiden, ob sie es wollen. Meine Aufgabe als Wissenschaftler ist es zu schauen, ob und wie es angenommen wird und zu untersuchen, auf welche Weise es weiter gefördert werden kann.
Sie kennen sich bestens mit der Elektromobilität aus. Warum hat sie so große Probleme, den Durchbruch zu schaffen?
Eigentlich hat sie den Durchbruch technisch schon geschafft. Die Initialzündung kam, als zwei Freunde die Idee hatten, Laptop-Batterien aufzuschrauben und diese Lithium-Ionen-Batterien in ein Auto einzubauen. Die Firma, die so verrückt war, Laptop-Batterien in ein Auto einzubauen, hieß Tesla. Dadurch ist die Lithium-Ionen-Technologie für passable und bald auch bezahlbare Reichweiten erkannt worden, und dann haben die ersten Kunden kundgetan, dass E-Automobilität - wie bei den E-Scootern – vor allem auch Spaß macht.
Ist das Umschwenken der Autokonzerne auf die Elektromobilität der richtige Weg?
Wenn es richtig gemacht wird, ja. Das bedeutet: Die Fahrzeuge, die demnächst eingeführt werden, sollten für den Normalbürger bezahlbar sein. Es muss ein Recyclingkonzept und grüneren Strom geben. Und es sollten keine Rohstoffe genutzt werden, die in politisch instabilen Ländern unter unmenschlichen Bedingungen abgebaut wurden. In allen Punkten gibt es schon Aktivitäten.
Wenn man annimmt, dass sich ein Massenmarkt für Elektroautos entwickelt, stellt sich eine andere Frage: Kann die Infrastruktur mithalten? Bis jetzt kann man die Zahl der Ladesäulen in Herne an zehn Händen abzählen.
Das ist in der Tat eine Herausforderung für den öffentlichen Raum, aber erste Erfahrungen zeigen, dass mit Wachstum der E-Mobilität auch das Angebot öffentlicher Lademöglichkeiten wächst. Um das öffentliche Stromnetz dann nicht zu überlasten, gibt es schon Lösungen. Moderne Ladevorrichtungen sind nicht mehr „dumm“, sondern „schlau“ bzw. digital vernetzt. So kann zum Beispiel aus der Ferne automatisch und intelligent gesteuert werden, wann welches Fahrzeug ohne Netzüberlastungen geladen wird.
Welche anderen Voraussetzungen müssen noch geschaffen werden?
Studien zeigen, rund 80 Prozent aller Ladevorgänge geschehen zu Hause. Doch längst haben nicht alle Menschen ein Eigenheim oder einen privaten Parkplatz. Also muss zum Beispiel rechtlich geklärt werden, wie man ohne größere Hindernisse als Mieter in einem Mehrfamilienhaus seine eigene Ladesäule oder einen Zugang haben kann.
Fünfjährige Professur
Die Stadtwerke haben im Rahmen von Ruhr Valley die Professur für einen Zeitraum von fünf Jahren gestiftet. Ruhr Valley ist ein Forschungsverbund von drei Hochschulen und verschiedenen Firmen. Sitz ist Herne.
Haydar Mecit (42) ist in Duisburg aufgewachsen, hat in Gelsenkirchen studiert und wohnt in Essen. Mit dem Thema Elektromobilität beschäftigt er sich seit zwölf Jahren. Im Rahmen seiner Professorentätigkeit wird er sowohl an der Hochschule Bochum als auch in Herne präsent sein, nämlich am Forschungsstandort Ruhr Valley in der Akademie Mont Cenis.
Und all diese Facetten betrachten Sie im Rahmen Ihrer Stiftungsprofessur...
Ja, aber für viele dieser Fragen gibt es schon Lösungen. Mich interessiert eher, was es noch nicht gibt. Das sind Fragen wie: Inwieweit verändert ein E-Scooter-Verleih die Mobilität in einer Stadt wie Herne? Gibt es bestimmte Bewegungsmuster, Erkenntnisse und entsprechende Mehrwerte daraus? Wie kann Herne mit anderen Städten zusammenarbeiten und Erfahrungen für die Weiterentwicklung neuer Konzepte austauschen? Außerdem wird ja viel von Vernetzung und Digitalisierung oder dem Internet der Dinge geredet. Dann ist man auch schnell bei dem Stichwort „Smart City“ angelangt. Und das ist meine Mission: Herne zu einer smarten Stadt weiter zu entwickeln.