Herne. Dieser Tage erfahren Viertklässler, welche Schulformempfehlung sie bekommen. Aber welche Fähigkeiten und Noten braucht ein Kind fürs Gymnasium?
In diesen Tagen und Wochen erfahren Eltern von Viertklässlern bei den Elternsprechtagen, auf welcher weiterführenden Schule die Klassenlehrerin das eigene Kind sieht: Gymnasium, Real-, Haupt- oder doch Gesamtschule ist hier die Frage. Verpflichtend ist dieses Gutachten seit 2011 nicht mehr. Seitdem gilt trotz der Empfehlung der Elternwille bei der Schulwahl. Gleichzeitig steigt die Zahl der Abschulungen, der Kinder, die nach der Erprobungsphase nach Klasse 6 doch auf eine andere Schulform wechseln müssen, rapide an – besonders in Herne.
Schulleiter und Schulleiterinnen aus Herne beobachten, dass Eltern ihre Kinder häufig an einem Gymnasium anmelden, obwohl sie dafür keine Empfehlung haben. Mit entsprechend negativen Folgen auch fürs Kind. Aber welche Eigenschaften und Noten braucht ein Kind, um am Gymnasium bestehen zu können? Scheitert es bereits an einer Drei oder Vier in einem Hauptfach oder ist etwas ganz anderes entscheidend? Und was bedeutet eigentlich eine „eingeschränkte Gymnasialempfehlung“?
Herne: Arbeits-, Lern- und Sozialverhalten entscheidend
„Neben den Fachnoten sind das Arbeitsverhalten, die Lernbereitschaft und das Sozialverhalten ganz wichtige Bereiche“, sagt Nicole Nowak, Schulleiterin des Haranni-Gymnasiums in Herne und stadtweite Sprecherin der Gymnasien. Darunter fielen Bewertungen wie: Hat der Schüler oder die Schülerin seine Arbeitsmaterialien dabei und kann sie eigenständig verwalten? Kann er oder sie Kompromisse eingehen und sich in Gruppenarbeit gut einbringen?
Aber was ist besonders wichtig beim Weg Richtung Gymnasium? Welche Eigenschaften sollte das Kind auf jeden Fall mitbringen? „Leistungsbereitschaft und Lernfreude, neugierig sein auf neue Bereiche, stehen ganz oben“, betont Nowak. Diese Fähigkeiten seien sogar wichtiger als die Noten auf dem Zeugnis. „Wenn Kinder etwas wissen wollen, Fragen wollen, dann haben sie auch eine Bereitschaft und meistens auch eine andere Frustrationstoleranz, wenn etwas zu Beginn nicht so funktioniert.“ Daneben sei auch die Arbeitsorganisation wichtig: Sind die Kinder in der Lage, ihre Arbeitsmaterialien dabei zu haben, kleine Bereiche auch schon eigenständig zu erarbeiten?
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Die Grundschulen führten durch Gruppenarbeiten und mithilfe von Wochenplänen schon zu einem selbstständigen Arbeiten hin, das sei also geübt und nicht neu. „Wir müssen aufpassen, dass wir das nicht verkümmern lassen, sondern das aufgreifen“, so Nowak. Wenn Kinder in diesen Bereichen Probleme hätten, würde es für sie am Gymnasium schwierig werden, so ihre Erfahrung.
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Bei den Fächern seien vor allem die Deutschkenntnisse grundlegend. „Deutsch brauchen wir für alle anderen Fächer.“ Lesekompetenz und sinnentnehmendes Lesen seien ebenso wichtig. „Gerade am Gymnasium werden wir viel früher textlastiger und theorielastiger.“ Das gelte selbst in der Mathematik bei Textaufgaben. „Wenn Kinder die Lesekompetenz nicht haben, dann ist das ganz ganz schwierig.“
Welche Rolle spielen die Noten?
Ein weiterer ganz wichtiger Punkt sei die Konzentrationsfähigkeit. „Der geht leider immer stärker verloren. Sicherlich auch durch die viel zu frühe Nutzung sozialer Medien.“ Die Wisch-und-weg-Technik und sekundenschnelle Aufnahme von Videosequenzen führe dazu, dass man sich nicht mehr länger auf etwas fokussieren könne, so ihre Einschätzung.
Und welche Rolle spielen die Noten für die Empfehlung? Ist es okay, wenn in einem oder gar mehreren Hauptfächern eine Drei steht? Eine generelle Antwort zu den Noten, die man für den Wechsel an ein Gymnasium mitbringen sollte, gebe es nicht, sagt Nowak. Sie weist aber darauf hin: „Wenn alle Kernfächer eher Drei sind, würde ich gut überlegen, ob die Realschule nicht vielleicht doch der bessere Weg wäre.“ Eine Drei beispielsweise in Mathe sei jedoch kein Grund, nicht aufs Gymnasium zu gehen, betont sie. Auch hier mache wieder der Blick auf die Bewertung des Arbeitsverhaltens Sinn. „Aber wenn die Kinder schon in der Grundschule große Lücken haben, dann werden die nicht weggehen, wenn sie mit diesen Lücken zum Gymnasium gehen. Das wird nicht gehen.“
Außerdem sollten Eltern bedenken, dass an Gymnasien zwei Fremdsprachen verpflichtend seien. Es sei also vorteilhaft, wenn das Kind eine gewisse Affinität zu Sprachen mitbrächte.
Was tun bei einer „eingeschränkten Gymnasialempfehlung“?
Und wo sieht sie Kinder mit einer „eingeschränkten Gymnasialempfehlung“? „Eine eingeschränkte Gymnasialempfehlung ist immer noch ein Bereich, dem wir offen gegenüberstehen“, ordnet Nicole Nowak ein. Entscheidend sei aber hierbei der Einzelfall. „In diesen Fällen bitte ich alle bei der Anmeldung zu einem Gespräch.“ Dabei sollten die Eltern ein bisschen über ihr Kind erzählen, sie frage nach Hobbys und versuche, ein besseres Bild vom Kind zu bekommen.
Eine Lese- und Rechtschreibschwäche allein sei für sie zum Beispiel kein Grund, dass ein Kind grundsätzlich nicht ein Gymnasium besuchen könne. Bei einer eingeschränkten Gymnasialempfehlung komme sie mit den Eltern häufig zu dem Ergebnis, es probieren zu wollen. Wenn allerdings eine Realschulempfehlung oder gar nur eine eingeschränkte Realschul- oder Hauptschulempfehlung vorliege, würde sie ganz klar davon abraten.
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„Es gibt Eltern, die setzen die Grundschullehrer enorm unter Druck. Da wird so lange geredet und eingewirkt, bis sie zumindest eine eingeschränkte Empfehlung bekommen.“ Dabei sage sie den Eltern ganz klar. „Bitte nicht auf Biegen und Brechen zum Gymnasium.“ Wenn die Grundschule Zweifel habe, würde sie immer sagen: Geht doch lieber erstmal zur Realschule. Denn ein Wechsel von der Realschule zum Gymnasium sei im Rahmen der Erprobungsstufe immer noch gut möglich.