Herne. Fast ein Jahr ist es her, dass das Bürgergeld Hartz IV abgelöst hat. Diese Bilanz zieht Hernes Jobcenter-Geschäftsführer Thomas Saponjac.
Zum Jahreswechsel 2022/2023 hat das Bürgergeld als Grundsicherung das bisherige Arbeitslosengeld II – umgangssprachlich Hartz IV genannt – ersetzt. Die Einführung war von einem Streit zwischen der Ampelkoalition und der CDU begleitet und wurde erst im Vermittlungsausschuss des Bundestages beigelegt. Wie lief die Umstellung in der Praxis? So fällt nach fast einem Jahr die Bilanz von Hernes Jobcenter-Geschäftsführer Thomas Saponjac aus.
Das Fazit ist eindeutig für Saponjac: „Unsere Bilanz fällt sehr positiv aus.“ Dafür nennt er im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion mehrere Punkte:
Beratung der Kundinnen und Kunden findet nun eher auf Augenhöhe statt
Was in der Beratung klar erkennbar sei: Das Miteinander sei ein anderes. Zwar säßen die Betreuer wie in der Vergangenheit mit den Kunden zusammen und besprächen den möglichen Weg zurück in Arbeit, aber dies geschehe mit einem Kooperationsvertrag nun formal eher auf Augenhöhe. Saponjac: „Und wir sehen, dass dies positiv aufgenommen wird.“
Auch die Einführung des Weiterbildungsgeld am 1. Juli in Höhe von 150 Euro sei gut angelaufen. Das Weiterbildungsgeld ist anrechnungsfrei und mindert nicht die Zuverdienstgrenzen oder aufstockende Leistungen. So steige die Motivation, dass Menschen bei einer längeren Qualifizierung durchhalten, um danach einen Arbeitsplatz bekommen, mit dem sie ihren Lebensunterhalt alleine bestreiten können.
Kein spürbarer Anstieg bei der Zahl der Sanktionen
Ebenfalls spürbar gut aufgenommen worden seien die neuen Zuverdienstgrenzen im Bereich 520 bis 1000 Euro, denn der Freibetrag sei auf 30 Prozent angehoben worden. Wenn also jemand einen Job auf Helferniveau mit Mindestlohn aufnehme, bei dem die Anrechnung geringer ist und man spürbar mehr Geld in der Tasche habe als allein mit dem Bürgergeld, dann könne das dazu führen, dass mehr Menschen in Arbeit gehen und vielleicht den Absprung schaffen, so Saponjac.
Auch das Thema Sanktionen war vor der Einführung in der Politik teilweise heftig diskutiert worden. Es gab die Vermutung, dass vermehrt Kunden nicht mehr zu Terminen erscheinen, weil die Sanktionen später einsetzen. Dieser Effekt ist laut Saponjac nicht eingetreten. Gemessen am Gesamtbestand liege der Prozentsatz an Leistungsminderungen bei etwa drei Prozent. Daran können man ablesen, dass sich die Menschen nicht ausruhen. Sanktionen sieht er zwiespältig, denn sie würden ja nicht dazu führen, dass man mehr Menschen in Arbeit bringt. Und genau das sollte im Fokus des Jobcenters stehen: Die Menschen motivieren und ihnen Wege in eine Beschäftigung öffnen.
Neuer Weg beim Coaching von jungen Menschen
Wenn Menschen nicht zu Terminen erscheinen, müsse man sich fragen: Warum? Gerade bei Jugendlichen. Deshalb beschreitet das Herner Jobcenter in dieser Hinsicht einen neuen Weg. Seit einem halben Jahr besuchen zwei Mitarbeiter Menschen unter 25 Jahre zu Hause, selbstverständlich mit Ankündigung. Nicht um zu kontrollieren, sondern um zu coachen. „Es geht darum, vielleicht einmal um den Block zu spazieren und herauszufinden, warum die jungen Menschen nicht erscheinen.“
Bis Mitte Oktober hat das Jobcenter 2557 Kundinnen und Kunden in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln können. „Das ist ein gutes Ergebnis in diesen Zeiten“, so Saponjac. Der Grund: Die Zahl der gemeldeten offenen Stellen sei rückläufig. Dennoch setzt sich Saponjac das Ziel, diese Zahl im nächsten Jahr zu übertreffen. Positiv sei, dass der Bestand an Langzeitbeziehern (die in den vergangenen zwei Jahren mindestens 21 Monate lang Leistungen bezogen haben) um 400 Bedarfsgemeinschaften im Vergleich zum Vorjahr gesenkt werden konnte. „Wir haben Kunden bewegt, die lange im System sind. Mit ihnen haben wir einen gemeinsamen Weg gefunden, um wieder in Arbeit einzumünden.“
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Mit Blick auf die zahlreichen Ukrainerinnen und Ukrainer äußert Saponjac einen Wunsch: „Dass Arbeitgeber auch jenen eine Chance geben, bei denen das Sprachniveau noch nicht komplett ausreichend ist.“ Das Jobcenter und die Agentur könnten auch Sprache während der Beschäftigung fördern. Das wichtigste für einen Arbeitgeber sei, dass er jemanden bekommt, der Lust hat zu arbeiten. Wenn dieses Kriterium erfüllt sei, könne die Sprache während der Tätigkeit verbessert werden. Denn mit Blick in die Zukunft könne man es sich nicht mehr leisten, auf diese Arbeitskräfte zu verzichten.
Speeddating mit 30 Arbeitgebern erfolgreich
Um Menschen zurück in Arbeit zu bringen, veranstalte das Jobcenter fast jede Woche Aktionen, um Kandidaten für unterschiedliche Berufsfelder zu finden. So seien jüngst durch einen DHL-Bewerbertag 16 Menschen in Arbeit gebracht worden. Zu den Vermittlungsbemühungen des Jobcenters zählte im September auch ein Job-Speeddating im Kulturzentrum - mit Erfolg. Von 197 eingeladenen Kundinnen und Kunden seien 164 erschienen. Das sei ein guter Prozentsatz, so Saponjac. Das zeige auch, dass die Vorbereitung - mit einem Bewerbungstraining - aufs schnelle Kennenlernen mit den 30 Arbeitgebern gefruchtet habe. Im Ergebnis seien 38 sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse entstanden. Hinzu kämen elf Minijobs, neun Bewerbungsverfahren würden noch laufen. Saponjac: „Das ist echt gut.“