Herne. Thomas Saponjac ist neuer Leiter des Herner Jobcenters. Im Interview mit der WAZ spricht er über Herausforderungen in Herne und das Bürgergeld.

Das Jobcenter hat einen neuen Geschäftsführer. Thomas Saponjac hat die Nachfolge von Karl Weiß angetreten. Im Gespräch mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann erläutert er seinen Blick auf die Herausforderungen in Herne sowie die Chancen des Bürgergelds und der ukrainischen Flüchtlinge.

Herr Saponjac, bei der Jahresbilanz zum Arbeitsmarkt hieß es, dass dieser sich zu einer Erfolgsstory entwickle. Haben Sie damit als neuer Geschäftsführer des Jobcenters einen Wohlfühlposten angetreten?

(Lacht). Ich glaube, mit den Themen, die auf uns zukommen, zum Beispiel dem Bürgergeld, wird uns im Jobcenter sicher nicht langweilig werden. Man darf nicht vergessen, dass es trotz einer positiven Entwicklung und einer deutlich höheren Anzahl an Stellenangeboten, in Herne immer noch eine hohe Anzahl an Kundinnen und Kunden gibt, die sich in der Langzeitarbeitslosigkeit befinden. Die müssen wir so begleiten, dass sie wieder den Weg in den Arbeitsmarkt finden.

Wie viele Kundinnen und Kunden betreut das Herner Jobcenter zurzeit?

Im Dezember waren 11.400 Menschen im Langzeitbezug, also zwei Jahre und deutlich länger.

Wo liegen deren Probleme bei der Integration in den Arbeitsmarkt?

Ein hoher Anteil hat keinen Berufsabschluss und nicht wenige auch keinen Schulabschluss. Da müssen wir ansetzen: Wir müssen uns die individuellen Schicksale anschauen, wir müssen die Menschen qualifizieren, damit sie nachhaltig auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen und selber ihren Lebensunterhalt bestreiten können.

Steigen vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des Kräftemangels nicht die Chancen stetig?

Ja, die Chancen steigen, weil sich der Arbeitsmarkt wandelt. Es werden in allen Bereichen Kräfte gesucht, auch im Helferbereich. Wir müssen unsere Kundinnen und Kunden so motivieren und aktivieren, dass sie wieder eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Da spielen sehr stark die individuellen Schicksale eine Rolle. Wir werden mit den Menschen individuell sprechen, um herauszufinden, welche Möglichkeiten es gibt, sie wieder an einen Job heranzuführen. Ich bin ein großer Verfechter davon, mit den Kundinnen und Kunden gemeinsam einen Weg zu finden. Wir wollen die Motivation wecken, dass sie ihre eigene Lebenssituation verändern wollen. Ich habe in den ersten Wochen den Eindruck gewonnen, dass wir da als Jobcenter-Team auf einem guten Weg sind. Wir wollen uns jedes Schicksals annehmen. Es gibt ein breites Spektrum an Möglichkeiten, um erste Schritte Richtung Arbeitsmarkt zu gehen.

Das Jobcenter an der Koniner Straße. Für den neuen Leiter Thomas Saponjac steigen die Chancen, dass die Kundinnen und Kunden in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Das Jobcenter an der Koniner Straße. Für den neuen Leiter Thomas Saponjac steigen die Chancen, dass die Kundinnen und Kunden in den Arbeitsmarkt zu integrieren. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Ändert sich angesichts des Kräftemangels auch die Einstellung bei den Arbeitgebern? Sinkt dort die Hemmschwelle, Bewerber vom Jobcenter zu nehmen?

Wenn jemand sein Unternehmen aufrechterhalten oder vergrößern möchte, dann muss er inzwischen sehr offen sein. Im Vordergrund steht immer die Motivation. Sollte ein Bewerber keine formale Ausbildung aufweisen, er aber durchaus motiviert ist, hat auch ein Kunde aus dem SGB II sehr gute Chancen. Es gibt viele Möglichkeiten der Beschäftigten-Qualifizierung.

Mit Beginn des neuen Jahres tritt auch das Bürgergeld in Kraft. Daran gibt es verschiedene Kritikpunkte. Einer lautet, dass gerade in einer Phase, in der Arbeitskräfte händeringend gesucht werden, der Druck von den Leistungsbeziehern genommen wird, weil nun nicht mehr so schnell Sanktionen verhängt werden.

Es war und ist nicht das Ziel eines Jobcenters, Sanktionen zu verhängen. Und wenn man sich die Zahl der Sanktionen anschaut, sind sie überschaubar. Wir wollen mit den Kunden gemeinsam einen Weg finden. Nach meiner Erfahrung führt Druck nie zu Erfolgsgeschichten. Wir müssen die Kunden überzeugen, einen bestimmten Weg zu gehen. Und mit dem Bürgergeld haben wir zusätzliche Instrumente, um die Menschen wieder an eine Arbeit heranzuführen.

Wie sehen diese Instrumente aus?

Ich bewerte es als positiv, dass wir im Bereich 520 bis 1000 Euro einen höheren Freibetrag haben. Wenn jemand eine Beschäftigung aufnimmt, aber weiter auf die Unterstützung des Jobcenters angewiesen ist, dann kann er mehr von diesem Geld behalten. Bei der Finanzierung von Umschulungen gibt es eine Verlängerung von zwei auf drei Jahre. Wir haben ein Weiterbildungsgeld in Höhe von 150 Euro pro Monat. Das kann gerade ein Anreiz für jene sein, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Und von diesen haben wir einige in Herne.

Im alten System gab es den sogenannten Vermittlungsvorrang. Die Devise war: Hauptsache, die Kundinnen und Kunden nahmen einen Job an...

...dieser Vorrang ist nun weggefallen. So können wir schauen, dass wir bestimmte Menschen zunächst qualifizieren, bevor wir sie vermitteln. Dann erhalten sie vielleicht am Ende im neuen Job einen Lohn, der ausreicht, um eine gesamte Familie zu ernähren.

Kann das Jobcenter auf diese Weise auch am Ende Fachkräfte vermitteln?

Spannende Frage. Es gibt ja zahlreiche Menschen ohne Schul- oder Berufsabschluss, es gibt aber auch ein Potenzial, um das Thema Fachkräfte zu bedienen. Eine Branche könnte die Pflege sein.

Eine andere Kritik am Bürgergeld zielt auf die Erhöhung des monatlichen Betrags. Die Erhöhung sei gerade mal ein Inflationsausgleich...

...das ist natürlich eine politische Entscheidung, das Jobcenter ist ausführendes Organ. Ich glaube, dass durch die Einführung des Bürgergelds die Erhöhung des Betrags höher ausgefallen ist als bei einer normalen Erhöhung des Hartz-IV-Satzes.

Tetjana Starchenko gehört zu den ersten Flüchtlingen aus der Ukraine, die eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angetreten haben.
Tetjana Starchenko gehört zu den ersten Flüchtlingen aus der Ukraine, die eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angetreten haben. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Ein anderes großes Thema für Jobcenter sind die ukrainischen Flüchtlinge. Sehen Sie hier ein Problem oder eine Chance?

Ganz klar als Chance. Nach den aktuellen Zahlen gibt es in Herne 806 erwerbsfähige Menschen aus der Ukraine. Man kann jetzt schon sehen, dass Menschen dabei sind, die gut qualifiziert sind, die wir sicher auch kurzfristig in den Arbeitsmarkt integrieren können. Der erste Schritt ist das Lernen der deutschen Sprache. Wir haben drei weitere Träger für die Sprachkurse gewinnen können. Wir haben jetzt schon 27 Menschen aus der Ukraine, die in Herne eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen haben. Klar ist aber auch, dass wir sehr viel mehr Zuwanderung benötigen, um den Kräftemangel in Deutschland in den Griff zu bekommen.

ARBEITSMARKTGESCHÄFT VON DER PIKE AUF GELERNT

Thomas Saponjac (42) hat das Arbeitsmarktgeschäft von der Pike auf gelernt. Der Mettmanner hat nach der Schule eine Ausbildung als Fachangestellter für Arbeitsförderung gemacht und anschließend Erfahrungen in verschiedenen Positionen gesammelt, darunter als Controller für die Regionaldirektion NRW sowie für das Mettmanner Jobcenter. Die Düsseldorfer Arbeitsagentur hat er als Geschäftsführer operativ mitgeleitet.

Bevor er sich für den Posten in Herne beworben habe, sei er durch die Stadt gefahren, um ein Gefühl dafür zu bekommen, und er habe sich im Vorfeld informiert. Saponjac: „Ich habe den Eindruck, dass man in Herne den Strukturwandel schon vor vielen Jahren angegangen ist und man es geschafft hat, einen guten Branchenmix herzustellen. Das finde ich sehr beeindruckend. Ich bin auch begeistert, wie der Oberbürgermeister für die Stadt kämpft und neue Arbeitgeber nach Herne holt.“ Und man nehme Herne im Ruhrgebiet und in NRW inzwischen positiv wahr, gerade wie Unternehmen angesiedelt und Strukturen verändert würden.