Herne. In Herne will die Stadt den Autoverkehr um 30 Prozent senken. Wie soll das gehen? Darüber streiten nicht nur die Parteien.

Es gärt in der Ratskooperation: Das Thema Verkehrswende sorgt für Streit zwischen SPD und CDU in Herne. In den kommenden fünf bis zehn Jahren will die Stadt Herne die Zahl der Autofahrten in der Stadt um 30 Prozent senken. Um das zu schaffen, plant das Rathaus ein Paket an Maßnahmen. Während die SPD die Pläne begrüßt, senkt der Koalitionspartner CDU den Daumen.

Hintergrund: Die Stadt hat in diesem Monat eine Mobilitätswende angekündigt. Um den Autoverkehr einzuschränken, will die Stadt unter anderem Parkhäuser an den Stadträndern, an Autobahn-Anschlussstellen und in den Wohnquartieren bauen. Von dort aus sollen die Menschen dann zu Fuß gehen oder, bei größeren Entfernungen, auf andere Verkehrmittel wie Rad, E-Scooter oder Bus und Bahn umsteigen. Nötig für die Verkehrswende seien zudem unter anderem neue Mobilitätskonzepte, darunter etwa ein Aufbau von Fahrgemeinschaften, ein Parkraummanagement, ein Ausbau des Nahverkehrs und von Metropolrad Ruhr sowie neue Radabstellanlagen. Die Union schäumt. „Dem kann man doch gar nicht zustimmen“, sagte CDU-Ratsherr Andreas Barzik – und zerriss die Pläne.

CDU Herne: Unsozial und schädlich für die Wirtschaft

Redete sich in Rage: CDU-Ratsherr Andreas Barzik.
Redete sich in Rage: CDU-Ratsherr Andreas Barzik. © WAZ FotoPool | Ralph Bodemer / WAZ FotoPool

Im Ausschuss für Digitales, Infrastruktur und Mobilität, in dem die Stadtverwaltung der Politik ihr Vorhaben präsentierte, mündete Barziks Kritik in eine Wutrede und gipfelte in der Äußerung, dass die CDU diese Pläne „hier und für immer“ ablehnen werde. Kritikpunkte Nummer eins: Das Ganze sei unsozial. Herne sei eine Stadt mit vielen einkommensschwachen Menschen. Ihnen könne man nicht zumuten, auf andere, kostenpflichtige Verkehrsmittel umzusteigen, wenn sie mit ihrem Auto in einem Parkhaus etwa am Stadtrand parken müssten. Auch das Deutschlandticket sei dafür zu teuer, wenn es bald 69 oder 89 Euro koste.

Barzik fragte zudem, wie das klamme Herne den ÖPNV überhaupt ausbauen wolle, um den Umstieg zu erleichtern: „Wir müssen hoffen und bangen, dass wir den Status quo erhalten können.“ Nicht zuletzt seien die Pläne „schädlich für die Wirtschaft“.

Und überhaupt: „Sie machen wieder ein neues Konzept“, schimpfte der 57-Jährige in Richtung Stadtverwaltung. Seit Jahren warte die Politik auf ein Konzept für Radwege und den flächendeckenden Ausbau der Elektroladesäulen für Autos, doch nichts passiere. Nun also wieder ein Konzept, das so weder realistisch, machbar noch finanziell zu stemmen sei: „Das ist doch kein ,Wünsch dir was’.“ Es seien Träumereien, die die Verwaltung da verfolge.

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Die SPD war nicht amüsiert von den Äußerungen des Koalitionspartners. „Das ist doch Quatsch, was Sie erzählen“, rief SPD-Ratsherr Ulrich Klonki in der Barzik-Rede dazwischen. Und SPD-Ratsherr Michael Zyweck bedankte sich nach dem Beitrag süffisant bei Barzik für dessen „motivierende Rede“. Um anzufügen: „Da wurde eine Menge zusammengeworfen.“

Die SPD stellte anschließend klar, dass sie hinter den städtischen Plänen stehe: „Man darf doch nicht alles so negativ sehen“, so Michael Zyweck. Die Sozialdemokraten verstünden die Pläne als „Einladung zum mitdiskutieren“, also um daran mitzuarbeiten, die Verkehrswende auf den Weg und besagte Reduzierung des Autoverkehrs zu erreichen. Parkraum-Management, Fußverkehrs-Check, Mobilitätskonzept Cranger Kirmes – gemeinsam sei doch schon viel erreicht worden, und gemeinsam werde man noch mehr erreichen können. Richtig sei aber auch, dass es noch an vielen Stellen Nachbesserungsbedarf gebe. Um das zu erreichen, müssten mehr Menschen beteiligt werden, unter anderem Stadtmarketing Herne und die Wirtschaftsförderung: „Wenn man die Verkehrswende will, muss man die ganze Stadt mitnehmen.“

Alle seien bei der Verkehrswende gefordert: Hernes Umweltdezernent Karlheinz Friedrichs (r.), hier im Bild mit SPD-Ratsherr Roberto Gentilini.
Alle seien bei der Verkehrswende gefordert: Hernes Umweltdezernent Karlheinz Friedrichs (r.), hier im Bild mit SPD-Ratsherr Roberto Gentilini. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Stadt Herne: Verkehrswende ist alternativlos

Umweltdezernent Karlheinz Friedrichs warb in der Politik abschließend um Zustimmung zu den Plänen aus seinem Haus. Dabei bemühte er das deutsche Unwort des Jahres 2010: Die Verkehrswende sei alternativlos. Bei der Umsetzung der Einzelmaßnahmen seien „alle gefordert“. Bei den Grünen, der größten Opposition, stieß er auf offene Ohren. Das sei ein Schritt in die richtige Richtung, so Ratsfrau Sabine von der Beck. Sie sprach zudem von einer „richtigen Version“.

Und wenn die CDU nicht mitmachen will? Um den Koalitionsfrieden nicht zu gefährden, sagte die Union in den ersten beiden politischen Gremien zwar lautstark Nein zu den Plänen, enthielt sich am Ende aber kleinlaut bei der Abstimmung. Bis der Rat Ende Oktober in letzter Instanz über die städtischen Pläne zur Verkehrswende abstimmt, vergehen noch einige Wochen. Abwarten also, wer sich bis dahin wie bewegt.