Herne. Steven und seine Freundin sterben durch eine Verpuffung im Kleingarten in Herne. Mord oder ein Unfall? Kurz vorher deutete sich Schlimmes an.
- In einer Herner Kleingartenanlage gab es vor einigen Wochen ein Todesdrama.
- Steven und seine Freundin sterben durch eine Verpuffung.
- Kurz vorher deutete sich Schlimmes an, wie Whatsapp-Nachrichten zeigen.
Die Ermittlungsakte ist zu – mit hoher Wahrscheinlichkeit für immer. Für die Staatsanwaltschaft wird es sich auch nach mehrwöchiger Ermittlung nie eindeutig klären lassen, was da am 27. Juni in der Kleingartenanlage „Erholung“ an der Emscherstraße in Wanne-Eickel passierte. Zwei Menschen starben an ihren schweren Verletzungen. Ein Unfall? Ein Mord? Ein gemeinschaftlicher Suizid? Der 100-prozentige Beweis für ein Kapitaldelikt fehle, heißt es. Sicher ist: Vor dem Vorfall, der so viele Menschen bewegte, eskalierte die Lage zwischen dem 22-Jährigen und seiner 20-jährigen Freundin weitaus mehr als bislang bekannt ist. Ein Versuch der Rekonstruktion eines tödlichen Tages mit einem geplanten Raubüberfall, einer falschen Schwangerschaft und einem Rauswurf, der zur kompletten Eskalation führte.
So haben wir bislang über den Fall berichtet:
- Bericht: Trauer um Tote im Kleingarten – Ermittler suchen Hinweise
- Bericht: Mord oder Unfall? Laubenbrand wird nie aufgeklärt werden
- Fotostrecke: Steven wird beerdigt – Fotos von der Trauerfeier
- Reportage: Trauer um Steven – Familie trägt ihren Sohn (22) zu Grabe
- Bericht: Auch 22-Jähriger Mann nach Brand tot
- Reportage: Tod im Kleingarten – Nachbarn zeigen sich schockiert
- Fotostrecke: Mordkommission ermittelt im Kleingarten
„Bin sooooo verliebt“, schreibt die 20-Jährige um 9.55 Uhr in einer Whatsapp-Nachricht. Steven schickt Herzchen zurück. Am Morgen des 27. Juni ist die Stimmung zwischen den Verliebten noch bestens. Der 22-Jährige und die 20-Jährige sind seit dem 4. Juni zusammen. Sie tauschen virtuell Ringe aus. Die junge Frau soll sich schon nach einer Woche ein „S“ für Steven tätowieren lassen haben.
Das Mädchen hat gerade keinen festen Wohnsitz. Sie lebt seit einigen Tagen in der Laube Nummer 29 der Kleingartenanlage. Hinten ist eine Toilette. Die Dusche lässt sich nutzen. Die Hütte gehört Stevens Familie. Der junge Garten-Landschaftsbauer hält hier Garten und die Hütte in Schuss. Er erlaubt seiner neuen Liebe, hier zu übernachten.
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Das Paar vereinbart mit Stevens Mutter, dass sie an diesem Tag bei ihr zu Hause schlafen können. „Ich hatte sie erst einmal gesehen“, sagt Bettina Beyer (52). Sie habe der Beziehung auch kritisch gegenübergestanden, sich aber auf das Paar am Abend gefreut.
Die junge Frau kokettiert in den nächsten Nachrichten damit, dass sie schwanger sei. Sie hatte ihm das vorher schon oft geschrieben. Steven scheint das zu glauben. Er macht klar, dass er zum Kind stehe. „Wenn es so ist, ist es so“, schreibt er um 14.03 Uhr. Später stellt sich heraus: Sie war offensichtlich nicht schwanger, die Geschichte nur erfunden.
Das alles ist nachzulesen auf Stevens Handy, das die Ermittler mittlerweile wieder freigegeben haben. Die Redaktion konnte die Nachrichten auf dem Gerät einsehen. Ob alles vollständig dokumentiert ist oder einzelne Nachrichten fehlen, lässt sich nicht sagen. Nach Recherchen der Redaktion gelten die Nachrichten als authentisch. Staatsanwalt Philipp Rademacher will auf Nachfrage Details aus dem Nachrichtenverlauf nicht bestätigen, aber auch nicht dementieren.
Plötzlich ein Plan für einen Überfall: „Halte dem Bastard Knarre an den Kopf“
Es geht in den Nachrichten um ein Bewerbungsgespräch, auf das sie keine Lust hat. Sie spottet. Am Nachmittag kippt plötzlich die Stimmung. Sie brauche 1200 Euro, damit das Grab des Großvaters nicht eingeebnet werde, schreibt die Freundin um 16.34 Uhr. Sie entwickelt die Idee, eines Überfalls. „Klär ma was, wo wir reingehen können. Ist dringend. Von mir aus halte ich dem Bastard die Knarre an den Kopf bis ihr alles drin habt. Brauche nur ne Maske.“
Nur eine Spinnerei oder ein realistischer Plan? „In einem Versteck in der Hütte lag eine Schreckschusspistole“, sagt Mutter Bettina. Es habe Einbrüche in der Siedlung gegeben. Daraufhin sei die Pistole angeschafft worden. Steven baute ein Geheimfach ein, das selbst die Ermittler nicht auf Anhieb fanden. Die Frau soll das Versteck gekannt haben.
Steven bremst in den Nachrichten, will offensichtlich nicht bei dem Überfall mitmachen. Sie nennt ihn daraufhin „Pussy“. Sie habe eine Waffe, schreibt sie um 17.33 Uhr. Vorher töte sie das Baby. „Ich töte dich gleich Junge, kein Spaß“, kündigt sie um 17.40 Uhr an. Steven schreibt „Mach was du willst. Ehrlich. Scheiß Alk.“ Die Ermittler finden später Alkohol und Drogen im Blut der Schwerverletzten. Steven selbst soll gekifft haben. Das zeigte er offen auf Videos bei Instagram. Seine Schwester Mandy sagt: „Er hat gekifft, aber nicht getrunken.“
Der Nachrichtenverlauf endet um 17.59 Uhr. „Viel Spaß beim Brennen du Hund“, schreibt die Freundin. Und setzt noch hinterher: „Hab dein Baby im Bauch.“ Steven antwortet nur kurz „Jo, danke. Du auch. Bye.“
„Ich hatte schon eine riesige Schale Bolognese gekocht“, sagt Stevens Mutter, die Steven und seine vermeintliche Liebe erwartete. Sie habe gegen 18 Uhr versucht, Steven anzurufen. Er sei nicht ans Telefon gegangen. Irgendwann zwischen 18 und 20 Uhr, das bestätigen Nachbarn der Redaktion, kommt Steven zur Hütte. „Er hat sie rausgeworfen. Sie ist gegangen“, sagt Stevens Schwester Mandy. Die Tüte mit ihren Sachen landet vor dem Gartentor. Nachbarn erinnern sich an eine lautstarke Auseinandersetzung. Die Tüte mit der Kleidung bleibt liegen. Stevens Familie entsorgt sie schließlich nach Rücksprache mit den anderen Hinterbliebenen, nachdem auch die Ermittler nichts mehr damit anfangen können.
Die Frau soll auf einen Sportplatz nebenan gelaufen sein, dort ihren Ex-Freund getroffen und geküsst haben. Steven soll daraufhin dort „beiden eine geklatscht“ haben. Der 22-Jährige muss dann zurück in die Laube gestürmt sein. Die Stühle wurden zertrümmert, Dekoration zerbrach. „Wir glauben, dass er das vor Wut selbst gemacht hat“, sagt Mandy Beyer. Die Ermittler vermuteten, dass die Einrichtung bei dem schlimmen Streit zwischen beiden zu Bruch gegangen sein könnte und beide dafür verantwortlich sind. Der Streit gilt als belegt und auch für die Ermittler als sicher.
Eine Überwachungskamera an einer anderen Hütte soll zufällig dokumentiert haben, wie die Frau erst weglief und dann zur Hütte zurückkehrte. Was dann passierte, ist nicht mehr sicher. Eine Flasche Spiritus soll direkt griffbereit vor der Tür gestanden haben, weil Steven an den Tagen vorher damit ein Feuer angefacht hatte. Die Kreidemarkierung der Ermittler zeigt noch den Standort. Eine diskutierte Möglichkeit ist, dass sie die Flasche gegriffen hat, ihm den Nebel aus Spiritus ins Gesicht spritzte. Steven rauchte, hatte oft einen Joint im Mund. Die Glut könnte die Verpuffung ausgelöst haben, unerwartet für beide.
Aber: Eine Theorie ist noch längst kein Urteil: Die Spurenlage alleine, das hatten die Ermittler bereits betont, lässt für die Mordkommission keine Sicherheit zu. „Was wirklich passiert ist, weiß nur der liebe Gott“, sagt Philipp Rademacher.
Eine andere Möglichkeit wäre, dass in der Luft einfach ein explosives Gemisch aus Dämpfen vorhanden war. Draußen stand auch eine Flasche Terpentin. Damit soll Steven Tage vorher Farbreste in der Hütte entfernt haben. „Es wurde aber zwischendurch auch schon geraucht“, sagt Mandy Beyer. „Das hätte ja vorher schon explodieren müssen.“
Stevens Familie hatte selbst erst befürchtet, dass ein Dritter für den Tod der beiden verantwortlich sein könnte. Das schließt die Staatsanwaltschaft allerdings sehr sicher aus.
Die Frau rennt mit schweren Brandverletzungen und brennender Kleidung zur Straße, bricht dort zusammen. Steven versucht noch mit dem Gartenschlauch Flammen in der Hütte zu löschen. Um 20.33 Uhr ruft er seine Mutter an. „Mama, der Garten brennt.“ Mehr kann er nicht mehr sagen. Auch er bricht schwer verletzt zusammen. Die Ärzte diagnostizieren später ein Inhalationstrauma. Steven hat den brennenden Nebel eingeatmet. Die Frau stirbt am Mittwoch, Steven am Freitagmorgen.
Ist jemand, der einen Mord ankündigt, auch eine Mörderin? Für die Staatsanwaltschaft reicht das nicht aus. Es könnten Dinge passiert sein, die niemand aus den Spuren und den Nachrichten rückschließen kann. Der entscheidende Moment lasse sich nicht so eindeutig aufklären, dass man einer verstorbenen Person urteilsgleich die Schuld klar zuweisen könne.
Stevens Familie hätte sich mehr Klarheit gewünscht. Mutter Bettina und Schwester Mandy sind trotzdem den Ermittlern dankbar. „Sie haben alles getan.“