Herne. Niedlich, aber schädlich: Die Ausbreitung der Nutrias sorgt auch in Herne für Probleme. Warum einige Menschen aber noch problematischer sind.

Als „niedliche Plage“ bezeichnet Stadtgrün-Mitarbeiterin Gudrun Kaltenborn die Nutrias. Auch am nördlichen Ostbachteich zwischen Sodinger Straße und Auf dem Stennert ist ein Pärchen samt Nachwuchs heimisch geworden. Bei einem Ortstermin mit Bezirksbürgermeister Mathias Grunert und Kaltenborn geht es vor allem um zwei Fragen. Was tun gegen die weitere Ausbreitung dieser Biberrattenart in Herner Gewässern und den damit einhergehenden ökologischen Schäden? Und der Dauerbrenner: Was tun gegen unverbesserliche Mitmenschen, die Nutrias und andere tierische Teichbewohner trotz aller Verbote füttern und bisweilen auch schon mal ein ganzes Baguette ins Wasser werfen?

15 Menschen und vier Hunde sind der Einladung zur abendlichen Themensprechstunde des Bezirksbürgermeisters gefolgt. Am Ufer des Ostbachteichs gesellt sich schon bald ein 20. Teilnehmer zu der Runde: Eine Nutria schwimmt ans Ufer, nähert sich ohne Scheu der Gruppe und nimmt unter dem Fütterungsverbot-Schild Platz. Die erhoffte Abendmahlzeit gibt es jedoch nicht, weshalb Nutria tut, was Nutria hier eigentlich nicht tun soll: Das Tier kehrt zurück ins Wasser und nagt am offenbar köstlichen Grün der Uferbepflanzung.

Stadtgrün-Mitarbeiterin Gudrun Kaltenborn (re.) informierte bei der Sprechstunde von Sodingens Bezirksbürgermeister Mathias Grunert (2.v.re.) über die Situation am nördlichen Ostbachteich.
Stadtgrün-Mitarbeiterin Gudrun Kaltenborn (re.) informierte bei der Sprechstunde von Sodingens Bezirksbürgermeister Mathias Grunert (2.v.re.) über die Situation am nördlichen Ostbachteich. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

„Wir haben als Verwaltung viel Geld ausgegeben, um den Teich nicht nur schöner, sondern auch funktionstüchtiger zu machen“, berichtet Gudrun Kaltenborn, die in Herne Leiterin der Unteren Naturschutzbehörde ist. Hintergrund: Das Gewässer drohte immer wieder zu kippen. Die vor einigen Jahren für viel Geld angelegte Uferbepflanzung sowie eine künstliche Insel sollten dazu beitragen, das ökologische Gleichgewicht zu sichern. „Leider haben auch die Nutrias Appetit auf die Pflanzen entwickelt“, sagt Mathias Grunert.

Das stelle zurzeit zwar noch kein akutes Problem dar, was sich bei einer – in anderen Städten bereits zu beobachtenden – starken Vermehrung der Nutrias jedoch schnell ändern könne: „Dann ist Schluss mit lustig“, so der Bezirksbürgermeister. Was also tun? Eine Entschlammung der Teiche könnte helfen, doch die Kosten für diese teure Maßnahme könne die Stadt nicht aufbringen, sagt Kaltenborn.

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Stichwort Jagd: Die rechtlichen Voraussetzungen für eine Bejagung der Nutrias seien gegeben. „Aber das wollen wir ja eigentlich nicht.“ Peter Gausmann vom Herner BUND empfiehlt, zunächst mal die Schäden zu eruieren, um anschließend „eine Abwägungsentscheidung“ zu treffen, übersetzt: in letzter Konsequenz auch über das Töten von Nutrias nachzudenken. Eine junge Bürgerin möchte es gar nicht erst so weit kommen lassen: „Ich weiß, dass das kostenintensiv ist, aber wie wäre es mit einer Kastration der männlichen Tiere?“ Vielleicht könne man dies ja über Spenden finanzieren. Die Stadtgrün-Mitarbeiterin versprach, diesen „interessanten“ Vorschlag mit in die Verwaltung zu nehmen. Das Einfangen der zutraulichen Nutrias wäre zumindest wesentlich einfacher als bei Gänsen, merkt Grunert an, denn: „Sie können ja nicht einfach wegfliegen.“

Nutria tut, was Nutria nicht tun soll: die Uferbepflanzung mümmeln. Das Grün ist wichtig fürs ökologische Gleichgewicht des Gewässers.
Nutria tut, was Nutria nicht tun soll: die Uferbepflanzung mümmeln. Das Grün ist wichtig fürs ökologische Gleichgewicht des Gewässers. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Wesentlich weniger Verständnis als für die possierlichen Nager bringen Teilnehmende der Themensprechstunde für Menschen auf, die an dem nördlichen Ostbachteich immer wieder gegen das Fütterungsverbot verstoßen. Auf die Population der Nutrias habe das zwar keine Auswirkungen, weil diese als Pflanzenfresser hier genug Biomasse vorfänden, sagt Gausmann. Doch (auch) das Füttern trage dazu bei, dass das Gewässer mit Nährstoffen überfrachtet werde und umkippe. „Sie wollen den Tieren was Gutes tun, doch für die Ökologie ist das fatal“, sagt der Mann vom BUND. Auch die direkte Ansprache helfe nicht, berichten einige Hundehalterinnen, die in diesem Bereich regelmäßig Gassi gehen: „Sie lassen sich einfach nichts sagen.“ Das sei wie ein Kampf gegen Windmühlen.

Inzwischen gebe es wieder Fische in dem Teich, die offenbar von Menschen dort „ausgesetzt“ worden seien, berichtet Kaltenborn. Damit diese nicht wie ihre Artgenossen vor vier Jahren in einer sommerlichen Hitzephase plötzlich tot auf der Oberfläche treiben, habe die Stadt die Ostbachteiche erst vor Kurzem per Pumpe belüftet. Zur Erinnerung: Im Juli 2019 betäubten Experten die Fische in einer aufwendigen Aktion per Stromschlag – Fachbegriff: Elektroabfischung –, um sie anschließend in den Kanal umzusiedeln.

Diese neue Info-Tafel will die Stadt in Kürze am nördlichen Ostbachteich aufstellen.
Diese neue Info-Tafel will die Stadt in Kürze am nördlichen Ostbachteich aufstellen. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Um die (bislang) Unbeirrbaren vielleicht doch noch zu erreichen, soll in Kürze ein neues „Füttern verboten“-Schild mit ergänzenden Informationen über Nutrias aufgestellt werden. Und auch der Kommunale Ordnungsdienst sei immer mal wieder vor Ort, könne aber natürlich nicht ständig präsent sein, so Kaltenborn. Mit Blick auf die Gesamtsituation am Ostbachteich räumt sie frank und frei ein: „Wir sind hier an einem Punkt, an dem wir nicht so recht wissen, wie es weitergeht.“

>>> Keine natürlichen Feinde

  • Nutrias kommen ursprünglich aus Südamerika, verbreiten sich aber zunehmend in Mitteleuropa. Sie leben an Gewässern und haben keine natürlichen Feinde., weshalb sie sich (fast) ungehindert vermehren können.
  • In Essen sollen nach Angaben des WDR nun Lebendfallen aufgestellt werden, um die Population zu reduzieren. Gefangene Weibchen sollen wieder freigelassen werden, damit sie Jungtiere versorgen können. Gefangene Männchen sollen abgeschossen werden.