Herne. In der Herner Landesunterkunft für Geflüchtete leben inzwischen deutlich mehr Menschen. Woran das liegt, warum es Anwohnerbeschwerden gibt.
Anwohnerinnen und Anwohner der Herner Großunterkunft für Geflüchtete an der Dorstener Straße in Herne klagen über eine deutliche Zunahme nächtlicher Ruhestörungen. Die Polizei war im Juni nach Beschwerdeanrufen mehrfach vor Ort. Auf Nachfrage bei der für die Einrichtung zuständigen Bezirksregierung Arnsberg erfuhr die WAZ, dass sich die Belegungsdichte und -struktur der Einrichtung an der A 42-Anschlussstelle Herne-Crange seit dem Start Mitte Januar wesentlich geändert hat.
In der Zeltstadt lebten zurzeit überwiegend Bewohnerinnen und Bewohner aus Syrien, Afghanistan, Iran, Irak und der Türkei, so Ursula Kissel, Sprecherin der Bezirksregierung. 619 Menschen seien derzeit in der Landeseinrichtung untergebracht. Diese Zahl entspreche auch in etwa der durchschnittlichen Belegung im Monat Mai 2023. In der Anfangsphase waren hier nur rund 120 Menschen untergebracht.
Herner Notunterkunft sollte Erstaufnahmeeinrichtung in Bochum entlasten
Vor Inbetriebnahme der Herner Zeltstadt teilte die Bezirksregierung Anfang Januar Bürgerinnen und Bürger vor Ort mit, dass die als Notunterkunft deklarierte Unterkunft die Landeserstaufnahmeeinrichtung in Bochum entlasten solle, so berichtete damals die WAZ. Geflüchtete würden mit Bussen nach Herne gefahren, dann eine Nacht an der Dorstener Straße verbringen und am nächsten Morgen wieder zur weiteren Registrierung nach Bochum gebracht.
Zu einem späteren Zeitpunkt könnten Geflüchtete auch bis zu zwei Wochen in der Unterkunft verbleiben. Maximal 400 Menschen könnten gleichzeitig in der Unterkunft unterkommen. Außerdem sei ihnen damals signalisiert worden, dass an der Dorstener Straße vor allem Geflüchtete aus der Ukraine vorübergehend untergebracht würden, berichtet Anwohner Joachim Wenn im Gespräch mit der WAZ.
Die Kapazität ist inzwischen laut Bezirksregierung sukzessive auf insgesamt 750 Plätze erhöht worden – 100 Schlafplätze für die Bochumer Erstaufnahmeeinrichtung sowie 650 Plätze für Asylsuchende. Wie lange geflüchtete Menschen im Schnitt an der Dorstener Straße leben, könne man derzeit nicht sagen. Das sei abhängig vom Status im Asylverfahren, so die Landesbehörde. Sobald positiv über einen Asylantrag entschieden werde, würden die Geflüchteten einzelnen Kommunen zugewiesen. Insofern lasse sich eine durchschnittliche Aufenthaltsdauer „nicht valide darstellen“, so die Sprecherin.
Nach „aktuellem Planungsstand“ werde die Herner Einrichtung bis zum 31. Dezember 2023 aktiv betrieben. „Über eine mögliche Verlängerung wurde noch nicht entschieden“, so die Bezirksregierung. Diese würde zunächst auch erst mit allen Beteiligten – „unter anderem Stadt Herne“ – erörtert. „Infolge des derzeitigen Zulaufs müssen die 650 Plätze aktuell auch für einen gegebenenfalls längeren Verbleib der Menschen genutzt werden.“
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Zu den Beschwerden über nächtliche Ruhestörungen erklärt Arnsberg: „In großen Gemeinschaftsunterbringungseinrichtungen, in denen viele Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion etc. auf engem Raum zusammenleben, können unterschiedlichste Situationen entstehen.“ Grundsätzlich werde Beschwerden und Vorwürfen, unabhängig vom wem diese erhoben würden, „unverzüglich nachgegangen“. Beschwerden unterschiedlichster Art könnten bei der Einrichtungsleitung der Bezirksregierung Arnsberg, dem Betreuungsdienst vor Ort oder zuständigen Mitarbeitenden in Arnsberg vorgetragen werden. Sofern Missstände festgestellt würden, erfolgten umgehend entsprechende Maßnahmen, um diese abzustellen.
Zuletzt sei die Einrichtungsleitung zum Beispiel auf Verschmutzungen und Unrat im angrenzenden Außenbereich der Unterkunft hingewiesen worden. Bewohnerinnen und Bewohner würden im Rahmen gemeinnütziger Arbeit auch für Reinigungsaktionen außerhalb der Unterkunft eingesetzt.
„Unverzügliches“ Handeln? Beim Thema „nächtliche Ruhestörungen“ berichten Anwohner gegenüber der WAZ von anderen Erfahrungen. Ein Mitarbeiter des von der Bezirksregierung beauftragten Sicherheitsdienstes habe ihm mitgeteilt, dass sie für nächtliche Ruhestörungen nicht zuständig seien, sagt Anwohner Wenn. Nachbarn von ihm seien von den Sicherheitsleuten sogar „schroff abgewiesen“ worden. „Wir kommen nachts nicht mehr zum Schlafen“, sagt Joachim Wenn.
Innerhalb der Unterkunft seien bei nächtlichen Ruhestörungen die vor Ort eingesetzten Betreuungs- bzw. Sicherheitsdienstleister zuständig, stellt die Bezirksregierung gegenüber der WAZ klar. Außerhalb der Einrichtung seien dies die dafür zuständigen Behörden Polizei und städtischer Ordnungsdienst (zu Dienstzeiten).
Polizei: Drei Einsätze wegen Ruhestörungen, vier wegen Körperverletzungen
Und was sagt die Polizei? Im Juni hätten sich bislang drei Einsätze wegen nächtlicher Ruhestörungen ereignet, berichtet Polizeisprecher Jens Artschwager. In einem Fall hätten die Einsatzkräfte laute Musik festgestellt und die Beteiligten zur Ruhe ermahnt, in zwei Fällen hätten die Kräfte bei Eintreffen keine eigenen Feststellungen gemacht. Darüber hinaus habe es in der Unterkunft im Juni vier Einsätze wegen Körperverletzungsdelikten und zwei wegen Streitigkeiten gegeben.
Die Polizei zeige im Bereich der Unterkunft „regelmäßig Präsenz“ und sei ansprechbar. „Zur Sensibilisierung und Deeskalation führen die Beamten bei konkreten Einsätzen vor Ort Gespräche mit den beteiligten Personen und mahnen zur Ordnung“, so der Polizeisprecher. Außerdem seien sie zu dieser Thematik im Austausch mit der Stadt und der Bezirksregierung.
Aufgrund steigender Geflüchtetenzahlen hatte das Land 2015/16 an diesem Standort schon einmal eine Zeltstadt als Notunterkunft aus dem Boden gestampft. Damals wie heute wird die Zahl der dort untergebrachten Menschen der Stadt Herne auf die nach einem festen Schlüssel erstellten Zuweisungsquote angerechnet.
>>> Betreuung und Sicherheit
In der Herner Unterkunft Dorstener Straße sind nach Angaben der Bezirksregierung 27 Menschen im Betreuungs- und Sicherheitsdienst in den Tagschichten sowie 14 Menschen in den Nachtschichten eingesetzt, darunter auch Sozialarbeitskräfte.
Während der üblichen Bürozeiten seien auch Mitarbeitende der Bezirksregierung grundsätzlich vor Ort vertreten.