Herne. Die Kilowattstunde Strom für 1,60 Euro, ein Handyvertrag für eine 7-Jährige. Die Herner Verbraucherzentrale hat ihre Bilanz für 2022 vorgelegt.
Ein Handyshop, der einen Vertrag für eine 7-Jährige anbietet; eine Frau, die es am Düsseldorfer Flughafen nicht mal bis zum Check-In schafft und so ihre Reise platzt; oder eine Strompreiserhöhung, bei der die Kilowattstunde plötzlich 1,60 Euro kostet. Das sind drei Schlaglichter aus der Arbeit der Herner Verbraucherzentrale im vergangenen Jahr. Am Mittwoch hat sie ihre Bilanz für 2022 vorgelegt.
In der Beratungsarbeit von Veronika Hensing, Bianca Pilath und Silke Gerstler spiegeln sich ziemlich genau die gesellschaftlichen Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit.
Viel mehr Zahlungsprobleme bei Gas und Strom
So liegt das Thema Energie erstmals in der Rangliste auf Platz zwei hinter Alltagsverträgen und Reklamationen. Der Grund ist offensichtlich: die Energiekrise und die Preissteigerungen im Zuge des Ukraine-Kriegs. Der Preis von 1,60 Euro für die Kilowattstunde sei die höchste Preissteigerung in NRW gewesen, so Silke Gerstler, die zum Thema Energie berät. „Das war für mich eine unvorstellbare Summe.“ Dagegen angehen konnte Gerstler nicht, weil die Erhöhung angekündigt gewesen sei und der Verbraucher kein Sonderkündigungsrecht in Anspruch genommen habe. Es habe in den vergangenen Jahren noch nie so viele Anfragen zum Thema Energie gegeben wie 2022. In den meisten Fällen gelinge es, Verbraucher aus Verträgen loszueisen, aber manche Anbieter würden mit erstaunlichen Tricks arbeiten - zum Beispiel eine Erhöhung trotz Preisgarantie.
Auch Zahlungsprobleme im Zusammenhang mit Strom und Gas würden sich häufen. Jede Woche stünden Menschen in der Beratungsstelle, denen eine Stromsperre drohe. Früher habe es fünf solcher Fälle im Jahr gegeben, jetzt seien es fünf in der Woche. Menschen mit mittelguten Einkommen bekämen plötzlich Probleme. Da sei es gut, dass die Kooperation mit Schuldnerberatung und dem Verein „Herne solidarisch“ sehr gut funktioniere. Und Veronika Hensing ergänzt: „Wir hatten noch nie so viel mit bedrohten Existenzen und Schicksalen zu tun wie jetzt.“
Fakeshops sind kaum zu erkennen - Verbraucherzentrale bietet Hilfe
Mit der zunehmenden Digitalisierung haben sich für die Beratung neue Problemfelder geöffnet. Ein ganz heißes Eisen seien gerade in den Zeiten der Pandemie gefälschte Internetshops, in denen vermeintliche Markenware zu unschlagbar günstigen Preisen angeboten werde. Doch bei der Lieferung würden sich diese Schnäppchen als billige Kopien entpuppen - oder die Ware werde gar nicht geliefert. „Diese Fakeshops sind teilweise herauskopiert aus den Originalseiten und sind kaum zu erkennen“, so Bianca Pilath. Inklusive solcher Siegel wie „Trusted Shop“. Pilaths Tipp: Wenn man auf so ein Siegel klickt und es öffnet sich keine neue Seite, handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine kopierte - und damit gefälschte - Seite. Die Verbraucherzentrale hat zu diesem Problem einen Fakeshopfinder.
Auch die Telekommunikation zählt zur digitalen Welt. Und da liegt nach wie vor offenbar Vieles im Argen. So machten Hensing und Pilath im vergangenen Jahr inkognito in Herner Handyshops Stichproben zur neuen Pflicht der Vertragszusammenfassung - das Resultat war katastrophal. Und in einem Fall wurde ein Handyvertrag einem siebenjährigen Mädchen angeboten.
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Erstmals in der Top Fünf der am stärksten nachgefragten Themen taucht Gesundheit und Pflege auf. Dabei spielen Fragen eine Rolle wie: Welche Leistungen der Pflegekasse sind die richtigen? Reicht das Geld, um einen Platz im Pflegeheim zu bezahlen? Können ausländische Kräfte legal beschäftigt werden?
Und es tauchen immer wieder neue Themen auf: So beschäftigt sich das Team zurzeit mit der eingeführten Mehrwegpflicht in der Gastronomie. Betriebe mit mehr als 80 Quadratmeter Fläche müssen Mehrweggeschirr anbieten, und Gäste dürfen eigene Behälter mitbringen und abfüllen lassen. Zurzeit würden Mitglieder des Aktionsbündnisses „Setzt die Segel, stoppt die Plastikflut“ in Herne und Wanne-Eickel ausschwärmen, um einen versteckten Marktcheck zu machen. „Ich bin sehr gespannt auf das Ergebnis, denn gerade viele kleine Betriebe haben von dieser Verpflichtung noch nichts mitbekommen“, so Gerstler.
Beratungsteam ist am Limit
Trotz der seit Anfang 2020 verbesserten personellen Ausstattung mit insgesamt zwei Vollzeitstellen: Mit 4125 Ratsuchenden, die zur Freiligrathstraße kamen oder anriefen, sei die Beratungsstelle am Limit. Ein Vergleich dieser Zahl mit den Vorjahren ist aufgrund der Einschränkungen durch die Pandemie schlecht möglich. Veronika Hensing zeigte sich dankbar, dass der Herner Rat die Fortführung der finanziellen Unterstützung am Dienstag einstimmig beschlossen hat, doch angesichts des Ansturms sei eigentlich noch mehr Personal nötig. Gerstler verdeutlichte dies am Beispiel ihrer Energieberatung: Vier bis sechs Wochen müssten Verbraucher auf einen Termin warten.
Wie in den vergangenen Jahren hat sich für viele Hernerinnen und Herner der Weg zur Verbraucherzentrale gelohnt. Rund 117.000 Euro konnte das Team wieder zurück ins Portemonnaie der Ratsuchenden erstreiten. 77 Prozent aller Fälle führte das Team zu einem positiven Ende.