Herne. Die Eröffnung des Café 22 für die Herner Drogenszene hat vor einem Jahr Ängste ausgelöst. Nun eine Bilanz: Was gut läuft und wo es Probleme gibt.
- Vor einem Jahr ist das Café 22 für die Herner Drogenszene eröffnet worden.
- Damals löste die Eröffnung Ängste aus.
- Die erste Bilanz fällt positiv aus.
Knapp ein Jahr nach der Eröffnung des Herner Café 22, eine Anlaufstelle für Suchtkranke in Wanne, zieht Kristin Pfotenhauer von der Suchtkrankenhilfe Kadesch eine positive Bilanz. „Wir sind mehr als zufrieden und dankbar, heute an dieser Stelle mit dem Projekt zu stehen“, sagt sie zur WAZ. Die Abhängigen nähmen die neuen Angebotsstrukturen an, viele Arbeitsgelegenheiten seien geschaffen und Ängste der Nachbarinnen und Nachbarn abgebaut worden.
Im Juli 2022 öffnete das Café 22 an der Freisenstraße 22 in der ehemaligen Gaststätte „Warsteiner Stuben“. Träger sind Kadesch, das St. Marien Hospital Eickel und die Gesellschaft freie Sozialarbeit (GFS). Die Drogensüchtigen, sagt Kristin Pfotenhauer, brauchten „einfach die notwendigen Hilfen“. Sie stellte klar: „Die gab es in dieser niederschwelligen Form vorher nicht.“ Die Szene der Suchterkrankten traf sich bislang in einer Schutzhütte am Postpark, gegenüber dem Hauptbahnhof Wanne-Eickel, und waren dort größtenteils auf sich allein gestellt. Um in Kontakt mit der Szene zu kommen, habe der Trägerverbund anderthalb Jahre vor Eröffnung des Cafés eine mobile Versorgung gestartet, in Zusammenarbeit mit dem Streetworker der Diakonie Herne. Dennoch hätten Maßnahmen zur Tagesstrukturierung der Betroffenen gefehlt.
Herne: 25 bis 30 Gäste pro Tag
Das habe sich grundlegend geändert. 25 bis 30 Besucherinnen und Besucher kämen täglich ins Café 22, diese Zahl könne sich sehen lassen. In den neuen Räumen sei eine „intensive sozialpädagogische und suchtspezifische Betreuung“ möglich, ebenso „Überlebenssicherung, Akuthilfen und Kriseninterventionen“ und nicht zuletzt sogar eine „gesellschaftliche, soziale und berufliche (Re-)Integration“, berichteten Kristin Pfotenhauer und Andrea Schneidmüller nun in der Bezirksvertretung Wanne, die Ende Mai in der Gesamtschule Wanne-Eickel tagte. Was die (Re-)Integration angeht: In der Anlaufstelle arbeiteten mittlerweile zwölf Menschen. Finanziert werden die Arbeitsgelegenheiten, kurz AGH-Stellen, vom Jobcenter und richten sich an Empfängerinnen und Empfänger von Hartz IV beziehungsweise dem heutigen Bürgergeld.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter organisierten Frühstück und Mittagstisch, kauften dafür ein, gäben Spiele und Zeitschriften aus oder reinigten die Räume. Sie sei „stolz“, dass die Arbeitsgelegenheiten so erfolgreich gestartet worden seien und wie gut sie funktionierten, sagte die Sozialarbeiterin Andrea Schneidmüller. Das Ganze laufe so gut, dass sich noch mehr Menschen beteiligen wollten: „Wir haben inzwischen eine Warteliste.“ Künftig sollen die AGH-Jobber auch verstärkt in der Nachbarschaft und umliegenden Gebieten Aufräumaktionen übernehmen, Baumscheiben pflegen und in Herne-Mitte „Urban Gardening“ betreiben, kündigten sie an.
Ebenfalls positiv: Auf Basis „Neu gegen Alt“ tausche das Team Spritzen und Nadeln. Tausende seien in dem einen Jahr angenommen und ausgegeben worden. Auch der Großteil der Anwohnerinnen und Anwohner habe mit der Anlaufstelle ihren Frieden gemacht. Als Anfang 2022 bekannt wurde, dass die Drogenszene an die Freisenstraße zieht, hatte die Nachricht für Aufregung, ja Angst und Wut gesorgt. Mittlerweile seien einige Nachbarinnen und Nachbarn auch Gäste im Café, engagierten sich, etwa, indem sie Sachen wie Kleidung und Lebensmittel spendeten.
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Trotz der positiven Bilanz sieht Kristin Pfotenhauer, die Kadesch-Geschäftsführerin, aber auch zahlreiche „Barrieren und Hindernisse“. So sei der gesundheitliche Zustand der Gäste „stellenweise mehr als besorgniserregend“, die personelle Ausstattung mit 1,5 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern reiche stellenweise nicht aus, auch fehle öfter Geld zur Umsetzung von Projekten und Hilfen. Nicht zuletzt seien der Anlaufstelle seit der Eröffnung bereits neun Drogentote bekannt. Dringend nötig seien zudem Räume für den Drogenkonsum, medizinisches Personal vor Ort sowie kurzfristig erreichbare Notschlafstellen in Herne. Diese Themen seien im Prozess der Herner Suchthilfeplanung aber bereits auf der Agenda, so Pfotenhauer zur WAZ; Café 22 und die dazugehörigen Träger seien dabei fester Bestandteil.
Die Politik lobt die neue Anlaufstelle und die Arbeit der Verantwortlichen. „Ich bin ganz begeistert von dem, was Sie gestemmt haben“, sagte in der Bezirksvertretung etwa die SPD-Bezirksverordnete Uta Linnemann. Weniger begeistert zeigt sie sich aber von dem Umstand, dass es nach dem Start des Café 22 und dem nachfolgenden Abriss der Hütte im Postpark eine Wanderungsbewegung gegeben habe: Alkoholabhängige seien nun in den Florapark gewechselt. Dort, das bestätigt auch Pfotenhauer, habe sich ein Treffpunkt für die Trinkerszene etabliert. „Da muss man mal hingucken“, forderte Linnemann.