Herne. Die erste Herner Baumbilanz zeigt: Zuletzt wurden deutlich mehr Bäume gefällt als gepflanzt. Alle Zahlen und warum die Stadt diese relativiert.

In Herne werden zu viele Bäume gefällt – dieser Vorwurf wird immer wieder laut. Die Zahlen in einer von der Stadt erstellten Baumbilanz bestätigen diese Einschätzung: Im Zeitraum vom 10. Mai 2022 bis 30. April 2023 stehen 1443 Fällungen nur 820 Neupflanzungen gegenüber, was einem Minus von 623 Bäumen entspricht.

„Hier müssen wir entgegenwirken“, sagte Stadtgrün-Chef Heinz-Jürgen Kuhl am Mittwochabend bei der ersten öffentlichen Präsentation der Statistik in der Bezirksvertretung Sodingen. Er wies allerdings auch darauf hin, dass man die Zahlen aus unterschiedlichen Gründen relativieren müsse.

Neben der Gesamtbilanz liefert die Stadt in ihrer Statistik auch eine Aufschlüsselung der Zu- und Abgänge. Im Einzelnen:

– Baumfällungen und Ersatzpflanzungen auf Privatgrundstücken: 475 Bäume durften von Bürgerinnen und Bürgern gemäß der Baumschutzsatzung gefällt werden, dabei war jedoch nur in 231 Fällen eine Ersatzpflanzung erforderlich. Das entspricht einem Minus von 243 Bäumen. Stadtgrün-Chef Heinz-Jürgen Kuhl betonte allerdings, dass es auch „freiwillige“ Neupflanzungen gebe, diese aber bei der Stadt nicht gemeldet würden.

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– Baumfällungen und -pflanzungen auf öffentlichen Grundstücken: Zur „Gefahrenabwehr“ mussten 549 kranke/geschädigte Bäume gefällt werden, 192 weitere Bäume wurden auf Beschluss der Bezirksvertretungen aus unterschiedlichen Gründen entfernt. Diesen 741 Fällungen stehen 331 Neupflanzungen unter anderem durch das Programm „Bürgerbäume“ und auf Beschluss der Bezirke gegenüber. Das macht unterm Strich ein Minus von 410.

– Baumfällungen und -pflanzungen im Rahmen von Eingriffen in Natur und Landschaft: Hier fällt die Bilanz mit 31 „zusätzlichen“ Bäumen positiv aus. 227 Bäume wurden gefällt (unter anderem für das Bauprojekt an der Reichsstraße sowie für den A 43-Ausbau), 258 Einzelbäume gepflanzt – davon mehr als die Hälfte durch die Emschergenossenschaft.

Tendenz: Immer mehr kranke Bäume müssen in Herne gefällt werden

Darüber hinaus stellt die Stadt Rodungen und Aufforstungen in Herne gegenüber: 830 Quadratmeter zusammenhängende Waldflächen wurden von April 2022 bis Mai 2023 gerodet, 8005 Quadratmeter aufgeforstet.

Mit den künftigen jährlichen Baumbilanzen wird sich sein Nachfolger/seine Nachfolgerin befassen: Stadtgrün-Chef Heinz-Jürgen Kuhl geht Ende 2023 in den Ruhestand.
Mit den künftigen jährlichen Baumbilanzen wird sich sein Nachfolger/seine Nachfolgerin befassen: Stadtgrün-Chef Heinz-Jürgen Kuhl geht Ende 2023 in den Ruhestand. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Zurück zur Gesamtbilanz. „Eine Tendenz, dass immer mehr Bäume entfernt werden (müssen), wird schon jetzt deutlich“, heißt es in der Vorlage der Verwaltung. Die veränderten klimatischen Bedingungen, einhergehend mit Schädlingsbefall insbesondere bei Nadelbäumen, führten dazu, dass immer mehr kranke Bäume auf privaten und öffentlichen Grundstücken entfernt werden müssten.

Die Verwaltung setzte darauf, bei Neupflanzungen klimaresiliente Baumarten zu verwenden, die gegen Hitze und Trockenheit resistenter seien. „Wir müssen uns bemühen, das Defizit, das durch die Entfernung von Gefahrenbäumen entsteht, auszugleichen“, sagte der Stadtgrün-Chef im Bezirk. Dafür sei eine große Kraftanstrengung nötig, denn: Eine einzige Baumpflanzung koste die Stadt derzeit rund 1000 Euro. Weil Herne dies aus eigener Kraft nicht schultern könne, müsse die Stadt verstärkt versuchen, Mittel aus neuen Förderprogrammen zu akquirieren.

Ein weiterer laut Kuhl interpretierbarer Aspekt: Baumfällungen für wichtige Großprojekte fielen aktuell besonders stark ins Gewicht. Grund: Die Kompensation durch Ersatzpflanzungen würden erst in einigen Jahren nach Abschluss der Baumaßnahmen in die Bilanz einfließen – so wie beispielsweise beim Neubau der Feuerwache oder an der Reichsstraße in Eickel. Die Bilanz eines einzigen Jahres sei deshalb nicht „das Nonplusultra“, so Kuhl. Man müsse die Entwicklung über mehrere Jahre betrachten.

Rund 80 Bäume mussten auf dem ehemaligen Sportplatz an der Reichsstraße in Eickel für eine Wohnbebauung weichen.
Rund 80 Bäume mussten auf dem ehemaligen Sportplatz an der Reichsstraße in Eickel für eine Wohnbebauung weichen. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Die Grünen sehen sich derweil durch die nun vorlegten Zahlen bestätigt. „Die Baumbilanz widerspricht dem Bild, das die Stadt versucht von sich zu zeichnen und zeigt den negativen Trend bei Bäumen“, erklärt Pascal Krüger, Grünen-Stadtverordneter und Vorsitzender des Umweltausschusses, auf Anfrage der WAZ. Insbesondere in „Hitzeinseln“ fehlten in Herne Bäume; (Wieder-)Aufforstung passiere eher in Außenbereichen. Und: „Um einen ausgewachsenen Baum zu ersetzen, braucht es einige Jahre, bis der ökologische Schaden kompensiert ist“, so Krüger.

Der Umweltausschuss wird sich nach der Sommerpause am 16. August mit der ersten Herner Baumbilanz befassen.

>>> SPD gab Anstoß für die Baumbilanz

Den Anstoß für das Erstellen einer jährlichen Baumbilanz hat die Bezirksvertretung Sodingen im Oktober 2021 auf Initiative der SPD gegeben.

Die Verwaltung entschied daraufhin, dass es Sinn mache, einen großräumigen Zusammenhang herzustellen und eine solche jährliche Betrachtung für die Gesamtstadt zu erarbeiten.

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