Herne. Am Rande des Herner CSD 2022 gab es eine queerfeindliche Attacke, wie die Polizei jüngst mitteilte. Doch warum wird das erst jetzt öffentlich?

Ein starkes Zeichen für Gleichberechtigung, Toleranz und Vielfalt wollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Samstag, 17. Juni, beim zweiten „richtigen“ Christoper Street Day (CSD) in Herne setzen. Am Rande der Premiere am 18. Juni 2022 gab es einen bis heute unaufgeklärten queerfeindlichen Angriff auf einen 22-Jährigen, wie die Polizei erst jüngst auf Nachfrage der WAZ anlässlich der Vorstellung der Bilanz für politisch motivierte Straftaten 2022 berichtete. Das wirft die Frage auf: Warum machte die Polizei dies nicht direkt nach dem Vorfall öffentlich?

Der Angriff ereignete sich am Tag des CSD am Herner Bahnhof. Ein 22-jähriger Marler sei dort aufgrund seiner sexuellen Orientierung attackiert worden, so die Polizei. Auf Nachfrage einer Gruppe Jugendlicher habe er erklärt, dass er bisexuell sei. Daraufhin sei er von einem der Jugendlichen geschlagen worden und habe leichte Verletzungen erlitten.

+++ Die Bilanz für 2022: Fremden- und queerfeindliche Attacken in Herne +++

Und warum ist damals keine Pressemitteilung mit Fahndungsaufruf verfasst worden? Die Polizei veröffentliche Pressemitteilungen zu aktuellen Sachverhalten „grundsätzlich nach sorgfältiger Einzelfallprüfung“, erklärt Polizeisprecher Jens Artschwager. Das sei beispielsweise der Fall bei herausragenden Sachverhalten oder bei Delikten, bei denen Zeugenaufrufe „erfolgversprechend für die weiteren Ermittlungen sind“. Nach einer Abwägung hätten sie sich im Falle des Angriffs auf den 22-Jährigen jedoch gegen eine Veröffentlichung entschieden.

Polizei: Opferschutz hat höchste Priorität

Die sexuelle Identität eines Menschen gehöre zum absoluten Kernbereich der Privatsphäre, so Artschwager. „Eine Öffentlichkeitsarbeit im engen zeitlichen Kontext zur Tatzeit zu etwaigen Vorgängen ist daher aus Gründen des Opferschutzes besonders sorgfältig abzuwägen, um Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu schützen, da gegebenenfalls Dritte Rückschlüsse zur Identität des Geschädigten ziehen könnten.“ Nach nunmehr fast einem Jahr sei ein Rückschluss auf den Geschädigten durch Dritte eher nicht anzunehmen. Daher sei die Veröffentlichung des Falles anlässlich der Jahresbilanz für politisch motivierte Straftaten aus polizeilicher Sicht auch unproblematisch gewesen.

Als Veranstalter des CSD in Herne hätten sie auch erst aus der WAZ von dem Angriff erfahren, berichtet Laron Janus. Sie würden sich für dieses Jahr noch einmal fragen, was von ihrer Seite aus geschehen könne, um entsprechende Risiken zu minimieren. „Trotzdem ist uns auch klar, dass wir so etwas in Gänze natürlich nicht verhindern können, gerade weil wir ein ohnehin sehr überschaubares Team sind und so etwas wie Anreise und Abreise von Teilnehmenden absolut unkontrollierbar sind“, so Janus.

Laron Janus ist Mitveranstalter des Christopher Street Day in Herne und Gründer des Queeren Jugendforums. Der Begriff „queer“ steht für Menschen, deren geschlechtliche Identität oder sexuelle Orientierung von der gesellschaftlichen Heteronormativität abweicht.
Laron Janus ist Mitveranstalter des Christopher Street Day in Herne und Gründer des Queeren Jugendforums. Der Begriff „queer“ steht für Menschen, deren geschlechtliche Identität oder sexuelle Orientierung von der gesellschaftlichen Heteronormativität abweicht. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Hinsichtlich der von der Polizei praktizierten Informationspolitik sei er zwiegespalten. Es sei richtig, dass der Schutz für eine betroffene Person Priorität haben müsse. Er frage sich aber, warum eine polizeiliche Veröffentlichung ohne Angaben über die Herkunft des Opfers hier problematisch gewesen wäre; schließlich hätten ja Hunderte Menschen am CSD teilgenommen.

Jenseits dieses konkreten Falls habe er die persönliche Erfahrung gemacht, dass die Polizei eher ein Problem damit habe, zu begreifen, was es heiße, „dass diese - in diesem Fall sexuelle - Identität je nach Kontext nicht nur allertiefste Privatsache ist, sondern eben auch immer ein Politikum“, sagt Janus. Er habe erst jüngst ein Gespräch mit einem Kommissar geführt, der nicht habe nachvollziehen können, „warum man seine eigenen Sexualität auch mal zum Thema machen muss/kann/will“.

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