Herne. In Herne gibt es Kritik am Gemälde eines Ex-Bürgermeisters im Rathaus wegen seiner NS-Vergangenheit. Nun soll es weg – aber nicht nur das.
Debatte um ein Porträt im Herner Rathaus: In einer Bürgereingabe hatte der Herner Udo Jakat im Dezember 2022 die Entfernung eines Gemäldes von Hermann Meyerhoff (1888-1970) gefordert. Die Argumentation des Mitglieds der DGB-Geschichtswerkstatt: Die Verstrickung des in der NS-Zeit als Bürgermeister, Kämmerer und Oberbürgermeister tätigen Stadtoberen verbiete eine solche Form der Ehrung. Gut vier Monate nach diesem Antrag kommt die Stadt nicht nur dieser Forderung nach, sondern entfernt mit einer Ausnahme alle Ölgemälde früherer Stadtspitzen aus dem Sitzungssaal 212 des Rathauses.
Oberbürgermeister Frank Dudda und die Ratsfraktionen hätten im Ältestenrat des Rates „einvernehmlich“ entschieden, das Gemälde Meyerhoffs sowie sechs weitere Bilder ehemaliger Oberbürgermeister und Oberstadtdirektoren abzuhängen und sie dem städtischen Emschertal-Museum zur Aufbewahrung zu übergeben, erklärt Stadtsprecher Christoph Hüsken auf Anfrage der WAZ. Der Antrag und die Argumentation des Bürgers zur Entfernung des Meyerhoff-Porträts seien jedoch nicht ursächlich für diese Entscheidung gewesen, sondern „Anlass“ für die Verwaltung, sich mit der „Gestaltung“ des Sitzungssaals zu befassen.
+++ Die Vorgeschichte: Forderung: Herne soll Bürgermeister-Gemälde im Rathaus abhängen +++
Das Ergebnis: „Es ist festgestellt worden, dass die Galerie ehemaliger Stadtspitzen lückenhaft ist, keine Stringenz hat und auch nicht mehr zeitgemäß ist“, so Hüsken. Von den insgesamt acht Bildern werde nur das Gemälde von Hermann Schaefer hängenbleiben, dem ersten Bürgermeister Hernes.
Dem einmütigen Votum des nicht öffentlich tagenden Ältestenrates – dem Beratungsgremium des Rates gehören der OB und Vertreter der Fraktionen an – ging eine Prüfung der Rolle Meyerhoffs durch den Herner Stadthistoriker Ralf Piorr voraus. Die Funktion und das Handeln von Hermann Meyerhoff in der NS-Zeit könne man „durchaus kritisch“ betrachten, was die Stadt auch tue, betont Christoph Hüsken. Dieser sei zwar kein NSDAP-Mitglied gewesen, habe aber Verantwortung getragen und beispielsweise Verwaltungsverfügungen unterzeichnet.
Nachfahren Meyerhoffs forderten objektive Prüfung
Udo Jakat hatte in seine Bürgereingabe mehrere Beispiele für die seiner Meinung nach starke Verstrickung Meyerhoffs ins Nazi-Geflecht angeführt. So habe dieser beispielsweise gewusst oder mit veranlasst, dass in der Herner Innenstadt „Judenhäuser“ eingerichtet worden seien, in den Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens interniert, später von dort zum Bahnhof getrieben und in die KZ transportiert worden seien. Als Bürgermeister sei er auch darüber informiert gewesen, dass im Gesundheitsamt 800 Verfahren zur Zwangssterilisierung eingeleitet worden seien und der Medizinalrat Meyer mindestens 183 Menschen aus Herne in Heil- und Pflegeanstalten eingewiesen habe, die dann später in Tötungsanstalten innerhalb des Euthanasieprogramms ermordet worden seien, berichtete Jakat.
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Nach dem Krieg hatte die britische Militärregierung Hermann Meyerhoff bereits im April 1945 als ersten Bürgermeister Hernes eingesetzt. 1947 war er zum Oberstadtdirektor gewählt worden, um dann 1953 im Alter von 65 Jahren in den Ruhestand zu gehen.
Auf Anfrage der WAZ nahmen Anfang März drei Enkel Hermann Meyerhoffs Stellung zu der in Herne von Udo Jakat angestoßenen Diskussion. Sie erwarteten eine objektive und sachliche Prüfung der Vergangenheit ihres Großvaters, schrieb Hermann Meyerhoff auch im Namen seiner Cousine Camilla Hölzer und seines Bruders, dem Schauspieler und Bestsellerautor Joachim Meyerhoff. Sie warnten vor Vorverurteilungen und forderten eine Bewertung auf Basis von Fakten.
Und was sagen sie nun zur Entscheidung der Stadt, das Gemälde ihres Großvaters (und anderer Stadtspitzen) abzuhängen? Dazu wolle man sich erst nach der Berichterstattung durch die WAZ erklären, teilte Hermann Meyerhoff mit. Udo Jakat, der den Stein ins Rollen gebracht hat, war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Doch auch nach dem Abhängen der Gemälde wird Hermann Meyerhoffs Rolle in der NS-Zeit Thema bleiben. Stadthistoriker Ralf Piorr arbeitet derzeit an einem Aufsatz über Meyerhoff, der in einem von der Bezirksregierung Arnsberg herausgegeben Sammelband über Oberbürgermeister und Oberstadtdirektoren veröffentlicht werden soll.
Bereits 2020 widmete sich Piorr in seinem Buch „1933. Der Weg in die Diktatur in Herne und Wanne-Eickel“ dem früheren Bürgermeister. Er kam wie 1991 der Historiker Michael Zimmermann zu dem Ergebnis, dass Meyerhoff das eigene „pronazistische Engagement“ verdrängt habe. Auch dieser Feststellung Zimmermanns schloss sich Piorr an: Die Herner Stadtverwaltung habe unter ihrem Bürgermeister und Kämmerer Hermann Meyerhoff „mit ihrem vorgeblich sachrationalen Handeln mehr zur Funktionstüchtigkeit des NS-Regimes beigetragen als die Masse der NSDAP-Parteigenossen“.
Die „Emscherbrücher“ im Sitzungssaal? Stadt prüft noch
Zurück zur aktuellen Entscheidung. Im Ältestenrat informierte OB Frank Dudda die Politik darüber, was den Sitzungssaal neben dem Gemälde von Hermann Schaefer wohl künftig zieren soll: das 1966 von Manfred Schatz erstellte Gemälde „Emscherbrücher“, das bis zum 16. April in der Ausstellung „Die Emscher. Bildgeschichte eines Flusses“ im Essener Ruhr Museum zu sehen war. Das 1,50 mal 2,60 Meter große Bild werde der Stadt von Prof. Engelbert Heitkamp – einem Nachfahren der Gründer der 2011 aufgelösten Heitkamp Bauholding – überlassen, so Stadtsprecher Christoph Hüsken.
Einen Tag nach dieser Mitteilung stellte die Stadt gegenüber der WAZ klar, dass die Entscheidung aber noch nicht gefallen sei. Zunächst müsse eine Prüfung darüber erfolgen, ob das Aufhängen des Bildes mit dem Denkmalschutz und anderen Kriterien vereinbar sei.
In den Fokus rücken könnte dabei auch ein politischer Aspekt. Denn: Dem Familienunternehmen wurde einst eine große Nähe zu völkisch-nationalen und rechtsextremen Kreisen nachgesagt. Verbrieft und aktenkundig ist, dass auf dem Grundstück der einstigen Synagoge erst nach der Insolvenz von Heitkamp eine Gedenktafel zur Erinnerung an ermordete Jüdinnen und Juden aufgestellt werden konnte. Grundstücks- und Firmeneigentümer Robert Heitkamp hatte dies zuvor in Gesprächen mit der Stadt abgelehnt.
>>> Lückenhafte Tradition
Wann und warum die Verwaltung damit begonnen hat, Hermann Meyerhoff und weitere Stadtobere in Öl zu verewigen, ist nicht bekannt. Diese lückenhafte Tradition – nicht allen Oberbürgermeistern und Oberstadtdirektoren wurde diese Ehre zuteil – endete 1973.
Die von unterschiedlichen Künstlern im Auftrag der Stadt angefertigten Gemälde zieren im Rathaus die holzvertäfelten Wände eines Saals im ersten Stock, das für Pressegespräche und Sitzungen genutzt wird.