Essen. Das Ruhr-Museum widmet der Emscher eine große Ausstellung. Die „Bildgeschichte“ handelt von Schlössern, Kloaken und dem erfolgreichen Umbau.
Mehr als ein Jahrhundert lang war die Emscher Deutschlands dreckigster Fluss und abschreckendes Beispiel der Industrialisierung. Aber die müffelnden Köttelbecken-Zeiten sind endlich vorbei. Den Abschluss des Emscher-Umbaus nimmt das Ruhr-Museum Essen zum Anlass, dem Ruhrgebiets-Fluss eine Sonderausstellung auf der 12-Meter-Ebene des alten Kokskohlenbunkers zu widmen. Die Schau trägt den Titel „Die Emscher. Bildgeschichte eines Flusses“ und wird am Montag, 12. September, eröffnet.
Wer den Ausstellungsmachern unterstellt, eine durchsichtige Publicity-Show für die Emscher-Genossenschaft abzuziehen, darf sich auf dem Holzweg wähnen. Denn die Ausstellung erzählt nicht nur die zuletzt oft besungene Erfolgsstory des 30 Jahre langen und 5,5 Milliarden teuren Umbaus von der Kloake zum naturnahen Fluss. Sie überrascht den Besucher vor allem mit dem Ausflug in die Vormoderne, in jene Zeit vor der Industrialisierung also, als barocke Wasserschlösser und malerische Wassermühlen den Fluss säumten. „Die Emscher war damals der schlösserreichste Fluss“, sagte Professor Theodor Grütter, der Chef des Ruhr-Museums, am Freitag.
Mit Gemälden, Karten und Zeichnungen sowie archäologischen Funden wie etwa Mammutknochen und dem 50.000 Jahre alten Abdruck eines Höhlenlöwen wird ein weiteres, weitgehend unbekanntes Kapitel der Emschergeschichte aufgeschlagen.
Herzstück der spannenden Bildgeschichte sind 150 größtenteils unveröffentlichten Fotografien aus dem Archiv der 1899 gegründeten Emschergenossenschaft. Bilder, die Grütter „spektakulär“ nennt. Im Laufe von mehr als 120 Jahren hat die Emschergenossenschaft rund 200.000 Fotos anfertigen lassen, davon allein 40.000 auf Glasplatten: Im Vergleich zur heutigen Digitalfotografie eine Uralt-Technologie, die jedoch durch verblüffende Qualität brilliert. Dieser fotografische Glasplatten-Schatz hat längst den Besitzer gewechselt, er ist inzwischen Teil der Fotografischen Sammlung des Ruhr-Museums.
Die Schwarz-Weiß-Raritäten dokumentieren einerseits den monströsen Eingriff von Menschenhand in die bis dahin dünn besiedelte, agrarische Emscherlandschaft, in der sogar Wildpferde heimisch waren. Der Boom um Kohle und Stahl lockt Heerscharen von Arbeitskräften ins Land. Kleine Ackerbürgerstädtchen wie Essen verwandeln sich in wenigen Jahrzehnten in wildwachsende Großstädte. Mit fatalen Folgen: „Immense Umweltschäden haben der Emscher das Leben genommen“, sagt Grütter. Die bergbaubedingten Senkungen verringerten das ohnehin geringe Gefälle weiter – das Schmutzwasser konnte nicht mehr abfließen, hygienische Probleme nahmen stark zu.
Es musste etwas geschehen. Fotos zerklüfteter Landschaften zeigen die technologischen Meisterleistungen, die an der Emscher und den Nebenflüssen ein hochkomplexes Abwassersystem aus Vorflutern, Pumpwerken, Kläranlagen, Betonröhren, Rückhaltebecken, Schlammbehältern und Sohlschalen hervorbrachten. Ein System, das die Natur zerstörte, aber dennoch viel Gutes brachte. „Die Emscher hat ihr Leben aufgegeben für unsere Gesundheit im Ruhrgebiet“, sagt der Museumsdirektor, der in Gelsenkirchen zuhause ist und scherzhaft von sich behauptet, „mit Emscherwasser getauft zu sein“. Die Zeiten, als katastrophale hygienische Verhältnisse in den Bergarbeiterkolonien zu Typhusepidemien führte, die beispielsweise 1904 in seiner Heimatstadt 400 Menschen hinwegraffte, seien dank des Emschersystems passé gewesen.
Die Ausstellung erinnert auch daran, wie schwer die Arbeit an der Emscher war. Viele Bilder zeigen Männer bei harter Maloche: nicht immer mit schwerem Gerät, sondern oft mit nacktem Oberkörper und Schaufel in der Hand. Auch dunkle Kapitel der Geschichte werden nicht ausgespart: Im Ersten Weltkrieg mussten Frauen und Kriegsgefangene mitanpacken, im Zweiten Weltkrieg wurden Zwangsarbeiter geschunden.
Den zweiten Umbau des „Schicksalsflusses“ Emscher ab den 1990er-Jahren, die so genannte Transformation, wollen die Ausstellungsmacher nicht bloß als eine Renaturierung verstanden wissen. Er stehe für das Umdenken einer ganzen Region. „Das Ruhrgebiet erfindet sich neu, der Emscher-Umbau ist ein globales Vorzeigeprojekt“, so Grütter.
Der Essener Fotograf Henning Maier-Jantzen hat den Umbau in den vergangenen zehn Jahren intensiv begleitet und dokumentiert.
An den meisten Foto-Orten zwischen Dortmund und Duisburg hat er sich mit einem Hubsteiger 20 bis 30 Meter in die Höhe fahren lassen, um die Veränderung der Emscher in Übersichts-Aufnahmen samt Landmarken festzuhalten. Über den Borbecker Mühlenbach sagt der Fotograf: „Er beschreibt die Transformation des Emscher-Systems in allen Stufen.“