Herne. Seit 2021 ist Morteza Ebrahimi Bauzeichner bei der Herner Firma Röber Ingenieure. Dahinter steckt eine dramatische und erstaunliche Geschichte.

Deutschland steckt mitten im Fachkräftebedarf - wobei man das „Fach“ inzwischen getrost streichen kann. Herner Firmen machen da keine Ausnahme. Beim Azubi-Speeddating vor einigen Monaten berichteten Unternehmen, dass sie sich nun bei den jungen Menschen bewerben müssen, damit diese eine Ausbildung bei ihnen beginne. Das Unternehmen Röber Ingenieure hat die Stelle des Bauzeichners besetzen können. Doch hinter dieser schlichten Tatsache verbirgt sich eine dramatische und erstaunliche Geschichte, die 2015 beginnt...

...in jenem Jahr, in dem tausende Menschen aus dem Bürgerkriegsland Syrien, aber auch aus anderen Ländern nach Europa und Deutschland flüchten. Unter ihnen befand sich auch Morteza Ebrahimi. Für ihn sei es bereits die zweite Flucht gewesen, erzählt er im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Der Grund: Schon 2003 sei seine Familie aus ihrem Heimatland Afghanistan in den Iran geflüchtet, 2015 wagte Ebrahimi die Flucht über die Balkanroute bis nach Herne. Wie viel Mut und Verzweiflung dazu gehören, erschließt sich, wenn man weiß, dass Ebrahimi heute erst 24 Jahre jung ist, 2015 also einer der „unbegleiteten Minderjährigen“ war.

Kein Wort Deutsch, keine Computerkenntnisse

Die Voraussetzungen, das Leben in der Fremde zu meistern und sich gar eine Existenz aufzubauen, waren alles andere als gut. Morteza Ebrahimi sprach nicht ein Wort Deutsch, die Schule musste er nach der siebten Klasse abbrechen, und das Arbeitsgerät Computer hatte er noch nie benutzt. Doch der junge Afghane hatte und hat Ehrgeiz. Nach dem Hauptschulabschluss wechselte er auf das Emschertal-Berufskolleg - und nahm 2018 zum ersten Mal Kontakt mit „Röber Ingenieure“ auf. Auf der Suche nach einem Praktikumsplatz hatte er sich schon sechs Absagen abgeholt, Röber sagte zu.

Für Inhaber Dieter Röber in der Rückschau die goldrichtige Entscheidung. Schon früh habe sich gezeigt, dass Ebrahimi sehr motiviert gewesen sei. Und so fügte sich eins ins andere. Nach dem ersten fünftägigen Blockpraktikum Ende Februar 2018 folgte - in Kooperation mit dem Jobcenter - ein Betriebspraktikum, die Heranführung an den Ausbildungsmarkt und schon ab August 2018 die dreijährige Ausbildung zum Bauzeichner, die Prüfung habe er mit guten Noten bestanden, erzählt Röber. Konsequenz: ein unbefristeter Arbeitsvertrag.

Morteza Ebrahimi will sich weiterbilden zum staatlich geprüften Techniker im Hochbau.
Morteza Ebrahimi will sich weiterbilden zum staatlich geprüften Techniker im Hochbau. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Nächster Schritt: Weiterbildung

Ebrahimis Motivation spiegelt sich auch in der Tatsache, dass er an Wochenenden zusätzlich Deutsch gepaukt hat. Das Ergebnis: Die Sprachbarriere ist längst umgestoßen, sein Deutsch kommt inzwischen der Perfektion nahe.

Längst sei Morteza Ebrahimi ein fester Bestandteil des 16-köpfigen Teams, erzählen Projektingenieur Thomas Brächter und Ausbilderin Jennifer Schmidt. So habe er bei einem anspruchsvollen Projekt mitgearbeitet, habe die Ausführungspläne für den Rohbau gezeichnet und habe bei Nachfragen der Baufirmen immer für Rückfragen zur Verfügung gestanden. Der gebürtige Afghane selbst sieht seinen Weg noch nicht beendet. Ab August will er sich zum staatlich geprüften Techniker im Hochbau weiterbilden, für seine private und berufliche Integration strebt er die deutsche Staatsbürgerschaft an.

Für Dieter Röber ist Morteza Ebrahimi der Beweis, dass man Chancen dieser Art nutzen müsse, um seinen Fachkräftebedarf zu decken. Und er bestärke ihn, auch in Zukunft Praktika anzubieten, um das Berufsbild des Bauzeichners bekannter zu machen.

DAS UNTERNEHMEN

•Röber Ingenieure mit Sitz im Gründer- und Innovationszentrum am Westring in Baukau ist seit mehr als 35 Jahren in den Bereichen Tragwerksplanung, Brand-, Wärme- und Schallschutz sowie Schadensgutachten sowie Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordination tätig.

•Die Liste der Projekte ist lang und umfasst zahlreiche bekannte Herner Gebäude wie das Wananas, das Kaiserquartier, das City-Center oder die neue Ifürel-Firmenzentrale. Auch am Emscherumbau sind Röber Ingenieure beteiligt.