Herne. Das LWL-Museum für Archäologie in Herne wird 20 Jahre alt. Die Gründungsdirektorin und die heutige Direktorin sprechen über seine Bedeutung.

Das LWL-Museum für Archäologie und Kultur feiert runden Geburtstag. Aus Anlass des 20-jährigen Bestehens schauen Gründungsdirektorin Barbara Rüschoff-Parzinger (60) und die jetzige Direktorin Doreen Mölders (47) im Gespräch mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann zurück und erläutern die Bedeutung des Museums.

Das Museum wurde 2003 eröffnet, doch die Entscheidung pro Herne fiel ja einige Jahre früher und war offenbar sehr knapp...

Rüschoff-Parzinger: Genau, die Entscheidung fiel mit nur einer Stimme Mehrheit. Man hatte Herne eigentlich gar nicht auf dem Schirm. Es ging immer primär um Bielefeld, Dortmund, Münster - und dann fiel die Entscheidung für Herne. Die Begeisterung hielt sich sehr in Grenzen bei allen Beteiligten. Es wurde gesagt, wenn das Museum nach Herne kommt, dann ist es tot. Und Herne hatte zuerst gar kein Gebäude für das Museum, man wollte eine Übergangslösung in einem alten Schwimmbad unterbringen. Für einen Neubau fehlte das Geld. Erst durch die Internationale Bauausstellung konnte ein Neubau realisiert werden.

Großen Jubel scheint die Entscheidung damals nicht ausgelöst zu haben.

Bis wir hier eingezogen sind, gab es große Vorbehalte. Es ist über wenige Museen so intensiv diskutiert und gestritten worden wie über Herne. Es gab Kolleginnen und Kollegen, die das Konzept sehr kritisch sahen und es verhindern wollten. Es bestand die Sorge, dass die Wissenschaft zu kurz komme oder das Haus an ein Disneyland erinnert. Auf der anderen Seite wollten viele Menschen hier in Herne kein Museum haben, die wollten Arbeitsplätze. Man muss ja sehen, wie die Situation vor 20 Jahren war. Sehr viele Leute hatten keinen Job. Als wir die Kassenkräfte ausgesucht haben, hatten wir über 400 Bewerbungen. Vor diesem Hintergrund mussten wir etwas sehr Innovatives entwickeln, das Aufmerksamkeit schafft.

Wann hörten die Vorbehalte auf?

Rüschoff-Parzinger: 2006, als die ‚Zeit‘ einen Artikel veröffentlichte, der davon handelte, dass archäologische Museen nicht langweilig sein müssen, sondern auch spannend sein können. Uns war bei der Konzeption klar, dass wir in Herne etwas Innovatives brauchen. Ansonsten kann das an diesem Ort nicht funktionieren. Der Ansatz war, eine Grabungslandschaft zu inszenieren. Die Exponate sollten so ausgestellt werden, wie sie ausgegraben und untersucht wurden. Wir wollten eine neue Art von Museum machen, das sich von den bisherigen archäologischen Museen unterschied.

Bevor der Neubau des Museums in Angriff genommen wurde, sollte es als Übergangslösung im alten Hallenbad in der Herner Innenstadt untergebracht werden.
Bevor der Neubau des Museums in Angriff genommen wurde, sollte es als Übergangslösung im alten Hallenbad in der Herner Innenstadt untergebracht werden. © FUNKE Foto Services | MATTHIAS GRABEN

War dieser Ansatz damals wegweisend in der Museumslandschaft?

Rüschoff-Parzinger: Ja, absolut.

Auch wenn das Konzept revolutionär war: Muss man dann im Laufe der Jahre immer noch mal nachsteuern, um das Konzept wieder weiterzuentwickeln, damit Museum auf der Höhe der Zeit bleibt?

Rüschoff-Parzinger: Ich glaube, dass unsere Dauerausstellung nach wie vor richtig klasse ist. Die ist nicht in die Jahre gekommen. Der Punkt ist: Wir haben mit der Inszenierung, die wir gewählt haben, die Methode der Archäologie dargestellt. Diese Ausstellung ist keinem Modetrend gefolgt, sie hat eine gewisse Zeitlosigkeit. Aber natürlich sind Vermittlungsmethoden anders geworden. Wir sind heute viel, viel digitaler geworden. Doreen Mölders hat die Dauerausstellung sehr klug ergänzt. Das halte ich wirklich für eine großartige Leistung.

Mölders: In 20 Jahren passiert sehr viel in der Forschung. Zum Beispiel: Wir wussten vor 20 Jahren noch nicht, dass in allen von uns zwei Prozent Neandertaler stecken. Das war aufgrund mangelnder Untersuchungsmethoden nicht bekannt. Wir versuchen, diese neuen Erkenntnisse in die Ausstellung zu implementieren, ohne das Design der Ausstellung zu stören. An der Stelle hilft uns die Digitalisierung, weil wir mit einem Smartphone oder einem Tablet immer eine Ebene dazwischen schalten können. Das heißt, wir können Bilder erzeugen, die nur bei Bedarf sichtbar sind. Wenn man sie nicht angucken möchte, weil man sich auf die Objekte konzentrieren will, dann kann man nur auf die Objekte gucken. In dem Fall hat die Digitalisierung uns einen großen Gefallen getan.

Als das Museum dann eröffnet war, haben die Menschen Schlange gestanden. Wie haben sich die Besucherzahlen entwickelt?

Rüschoff-Parzinger: Es ist wie bei allen Museen. Man hat einen Neugiereffekt, nach zwei Jahren sinken die Zahlen dann aber. Aber man kann gegensteuern - mit großen Sonderausstellungen. Ich habe sofort gesagt, dass dieses Haus jedes Jahr eine große Sonderausstellung braucht. Man muss die Menschen hier anlocken, und das braucht spannende Themen. Ohne diese Sonderausstellungen würde es mit den Besucherzahlen nicht so gut aussehen.

Mölders: Das ist natürlich immer ein Hoch und Runter, sie liegen im Schnitt aber zwischen 55.000 und 100.000. Das ist für ein Archäologisches Museum richtig gut.

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Wo kommen die Besucherinnen und Besucher her?

Mölders: 70 Prozent des Publikums unseres Museums kommen aus einem Radius zwischen fünf bis 50 Kilometer Entfernung.

Wie sieht die Besucherstruktur aus?

Mölders: Wir haben ein Defizit beim jüngeren Publikum. Unser Hauptpublikum sind Familien, auch Schulklassen haben wir viele, das können wir aber noch ein bisschen steigern. Und wir haben sehr viel Besucher und Besucherinnen im Alter von 50- und 60-Plus. Das hängt auch ein wenig von den Ausstellungen ab. Die letzte Sonderausstellung „Stonehenge“ war ein Klassiker, bei dem wir gemerkt haben, welche Bürgerinnen und Bürger noch viel archäologisches Allgemeinwissen verinnerlicht haben.

Inwiefern trägt das Museum zur Entwicklung der Innenstadt bei?

Rüschoff-Parzinger: Ich habe die Vermutung, dass die Leute zum Museum kommen, dann aber relativ schnell wieder weiterfahren, weil es ja nicht so viele attraktive Angebote im Umfeld gibt.

Mölders: Ich sehe das genauso, da ist die Stadt Herne vielleicht ein bisschen in der Pflicht, dem entgegenzuwirken. Wenn die Stadt Herne es schafft, das Angebot, was räumlich vorhanden ist, mit Museum, mit Cafés, mit hochwertigen Geschäften und mit Verkehrsberuhigung zu einem Ort zu machen, an dem man gerne länger verweilt, dann würde das auf jeden Fall funktionieren.

Rüschoff-Parzinger: Ich teile diese Einschätzung, dass man durch eine weitsichtige Städteplanung schauen muss, wie man Aufenthaltsqualitäten zurück bekommt. Für mich gehört sehr viel Grün dazu. Das Grün muss viel stärker wieder in die Stadt zurückkommen. Das wirkt sich auch positiv auf das Mikroklima in der Stadt aus.

Blick in die Pestausstellung: Sonderausstellungen sind ein zentraler Teil des Konzepts des Museums.
Blick in die Pestausstellung: Sonderausstellungen sind ein zentraler Teil des Konzepts des Museums. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Sie haben die Sonderausstellungen erwähnt: Fällt es schwer, dabei eine Balance zu halten zwischen dem wissenschaftlichen Anspruch und einem Event-Charakter?

Rüschoff-Parzinger: Bei Sonderausstellungen müssen wir uns fragen: Warum sollen die Menschen die besuchen? Der alte Spruch, dass man die Leute immer dort abholen muss, wo sie stehen, ist vollkommen richtig. Wir brauchen Themen, die in der Bevölkerung eine Relevanz haben. Beste Beispiele sind die Pest-Ausstellung, die kurz vor der Pandemie eröffnet wurde und die große Klima-Ausstellung, die wir schon 2006 gemacht haben. Die großen Themen müssen wissenschaftlich fundiert und emotional ansprechend sein, also richtig knallen.

Mölders: Ich meine, dass man dann die Besucherinnen und Besucher selber zu Forschenden machen sollte. So können sie selbst etwas entdecken und Dinge lernen.

Auf was darf sich das Publikum denn bei der nächsten Sonderausstellung freuen?

Mölders: Wir werden die Archäologie der Moderne präsentieren. Der Ausstellungstitel lautet „Modern Times. - Archäologische Funde der Moderne und ihre Geschichten.“ Wir zeigen einen Abriss an archäologischen Funden aus der Zeit vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Jahr 2000. Ein Großteil der Objekte kommt aus Westfalen, aber auch aus ganz NRW, anderen Regionen Deutschlands, und wir zeigen Funde aus den USA. Wir haben beispielsweise ein Objekt aus Woodstock, aber auch Dinge aus Gorleben, und natürlich denkt man dabei heute gleich an Lützerath. Wir erzählen anhand der Objekte das historische Wissen.

Das Museum wird 20 Jahre alt. Wo sehen sie das Museum in 20 Jahren?

Rüschoff-Parzinger: Ich sehe das Museum nach wie vor in Herne. Dieses Museum hat - unabhängig vom Ort - deutschlandweit eine große Relevanz, und die sehe ich auch in 20 Jahren. Es hat eine Relevanz für die Archäologie, aber auch für die Besucherinnen und Besucher, weil wir hier weiterhin eine gute Dauerausstellung, superschöne Sonderausstellungen und tolle Veranstaltungen haben werden.

Mölders: Das Museum wird es natürlich an seinem Standort geben. Man wird es besuchen können und ist eingebettet in eine schöne Umgebung mit viel Grün, weniger Autos. Ich sehe das Museum aber auch im digitalen Raum. In den nächsten 20 Jahren wird wahrscheinlich so viel digital passieren, dass man das Museum sogar im Metaversum besuchen kann. Sicherlich gibt es dann auch wie selbstverständlich digitale Verlinkungen auf aktuelle Ausgrabungen. Diese Verzahnung war schon eine der Ursprungsideen.

>>> JUBILÄUMSPROGRAMM

Das Museum veranstaltet zum 20-jährigen Bestehen vom Freitag 31. März, bis Sonntag, 2. April ein Jubiläumsprogramm.

Alle Informationen unter www.lwl-landesmuseum-herne.de.