Herne. Bei Herner Wohnungsunternehmen gibt es Unruhe. Grund ist die Pflicht zur Heizungsoptimierung. Doch das ist mit hohen Kosten verbunden.

Der Plan von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, ab 2024 den Einbau von herkömmlichen Öl- und Gasheizungen weitestgehend zu verbieten, ist in den vergangenen Wochen heftig diskutiert worden. Doch im Windschatten dieser Debatte treibt ein ganz anderes Thema Hausbesitzer, Wohnungswirtschaft, aber auch die Installationsbranche schon jetzt um. Die Chiffre dafür lautet: EnSimiMaV.

Hinter dieser kryptischen Abkürzung verbirgt sich das Wortungetüm „Mittelfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung“. Die stammt ebenfalls aus Habecks Haus und hat zum Ziel, angesichts der eingestellten Gaslieferungen aus Russland im Gebäudebereich Energie einzusparen, damit keine Gasmangellage eintritt. Teil dieser Verordnung ist die Pflicht, in Wohngebäuden mit Gaszentralheizungen einen sogenannten hydraulischen Abgleich durchzuführen, um die Heizleistung zu optimieren und so Gas zu sparen. Bei Gebäuden mit mindestens zehn Wohneinheiten bis zum 30. September dieses Jahres, bei Gebäuden mit mindestens sechs Wohneinheiten bis 15. September 2024.

Sonja Pauli, Vorstandsvorsitzende des Wohnungsvereins Herne, hat ausgerechnet, dass die Umsetzung des hydraulischen Abgleichs bei der Genossenschaft mit rund 500.000 Euro zu Buche schlagen wird.
Sonja Pauli, Vorstandsvorsitzende des Wohnungsvereins Herne, hat ausgerechnet, dass die Umsetzung des hydraulischen Abgleichs bei der Genossenschaft mit rund 500.000 Euro zu Buche schlagen wird. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Bei der Wohnungswirtschaft löst diese Pflicht alles andere als Begeisterung aus: Sonja Pauli, Vorstandsvorsitzende des Wohnungsvereins Herne, hat die Kosten für die Genossenschaft errechnet und kommt für den Bestand auf eine Summe von rund 500.000 Euro, teilt sie auf Anfrage der Herner WAZ-Redaktion mit. Man werde sich gesetzeskonform verhalten und diese Summe investieren, weil sich der Wohnungsverein von dieser Optimierung energetische Einsparungen für die Mitglieder verspreche. Glücklicherweise habe man von einem Installationsbetrieb ein Angebot erhalten, verbunden mit der Zusage, die Maßnahme innerhalb der gesetzlichen Frist umsetzen zu können.

Bei der Wohnungsgenossenschaft Herne-Süd (WHS) könnten sich die Kosten sogar zwischen 750.000 und rund einer Million Euro bewegen, so WHS-Prokurist Marco Volkar. Im Gespräch mit der Herner WAZ lässt er durchblicken, dass er an der Umsetzbarkeit der Pflicht zweifelt. Die Frage sei, ob es genügend Handwerker gibt, aber auch Material, denn es müssten auch Thermostate ausgetauscht werden. Für ihn stehen die Kosten auch nicht im Verhältnis zu den wenigen Prozenten, die sich am Ende an Energie einsparen ließen. „Das bindet Kapital, das man an anderer Stelle sinnvoller einsetzen könnte, zum Beispiel für eine energetische Sanierung oder einen kompletten Heizungstausch“, so Volkar. Er hält den hydraulischen Abgleich für eine Alibi-Maßnahme, die nicht wirklich nach vorne bringe.

Für Gerwin Schweppe, Inhaber des Wärmetechnik-Unternehmens Leickel, stellt sich die Frage, ob es überhaupt genug personelle Kapazitäten gibt, um den hydraulischen Abgleich in großem Umfang durchzuführen. Die Unternehmen der Branche seien mit der Nachfrage nach Wärmepumpen, aber auch nach neuen Gasheizungen stark ausgelastet. Da könnten die Kapazitäten für diese Aufgabe fehlen.

Martin Grampp, Energieberater für die Herner Verbraucherzentrale, sieht aus der Mieterperspektive durchaus Einsparpotenzial. Durch den hydraulischen Abgleich ließen sich seiner Erfahrung nach rund zehn Prozent Energie und - damit die entsprechenden Kosten - einsparen. Im Ergebnis rechne sich das nach etwa viereinhalb Jahren.

>>> VERBANDSDIREKTOR SIEHT PFLICHT KRITISCH

Alexander Rychter, Direktor des Verbands der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Rheinland Westfalen, hält die Pflicht zum hydraulischen Abgleich für die Unternehmen für „sehr schwer umsetzbar“. Auch er bezweifelt, dass es innerhalb der gesetzten Fristen ausreichend Handwerkerkapazitäten gibt. In einer Situation, in der es schwierig sei, überhaupt bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen, drücke das nur noch mehr auf die Kosten. Eigentlich müsse man jetzt zusehen, dass Bestände energetisch optimiert werden, insbesondere die Heizungstechnik. Jetzt Geld und kostbare Arbeitszeit in etwas zu lenken, was in vielen Fällen nur eine minimale Verbesserung bringe, sehe der Verband kritisch. Man müsse sich auf das konzentrieren, was den größten Hebel hat, zum Beispiel die Installation von Wärmepumpen und Photovoltaikanlagen.

Alexander Rychter, Direktor des Wohnungsverbandes VWD, sieht die Pflicht zum hydraulischen Abgleich kritisch.
Alexander Rychter, Direktor des Wohnungsverbandes VWD, sieht die Pflicht zum hydraulischen Abgleich kritisch. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Zurzeit würden die Wohnungsunternehmen aus mehreren Richtungen in die Zange genommen. So seien die Baupreise noch stärker gestiegen als die Inflationsrate. „Es gibt zweistellige Steigerungen in allen Gewerken“, so Rychter. Dazu kämen Preisanstiege bei allen Baustoffen. Nach wie vor seien die Kapazitäten im Baugewerbe noch sehr knapp. Außerdem seien nach wie vor Lieferketten gestört. Und zum „perfekten Sturm“ trügen die gestiegenen Zinsen bei. All das würde dazu führen, dass Neubauprojekte storniert oder gar nicht begonnen würden. Auch Herner Genossenschaften berichten im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion, dass man die derzeitige Situation „aussitzen“ wolle, ehe man Neubauten plane. So könnte eine dramatische Lücke im Wohnungsneubau entstehen. Der Grund: Von der ersten Projektidee bis zum Einzug der Menschen könnten drei bis vier Jahre vergehen.