Herne. Weil sie laut Urteil zwei Kinder erstickt hat, muss eine dreifache Mutter aus Herne viele Jahre in Haft. Die Höchststrafe erhielt sie aber nicht.
Die Gesichtszüge, wie eingefroren – der Blick, stur geradeaus: Ohne jede Regung nahm eine dreifache Mutter (34) aus Herne am Montag, 6. März, das Urteil des Bochumer Schwurgerichts entgegen: 14 Jahre Haft wegen Totschlags in zwei Fällen.
Die Richter sind aufgrund zahlreicher Indizien überzeugt, dass die bis zuletzt zu den Vorwürfen schweigende Hernerin im Jahr 2011 erst ihr zweitgeborenes Kind Tayler (zweieinhalb Monate) und 2012 auch ihr erstgeborenes Kind Justin (21 Monate alt) getötet hat. „An der Täterschaft bestehen keinerlei Zweifel“, hieß es in der Urteilsbegründung. Beide Kinder waren nach notärztlichen Rettungseinsätzen zwar noch reanimiert worden, später in Kinderkliniken jedoch verstorben.
Im Fall von Tayler gehen die Bochumer Richter davon aus, dass die Mutter dem als „Schreikind“ beschriebenen Säugling am 21. November 2011 erst einen festen Schlag auf die Brust versetzt, ihm dann für mindestens eine Minute ein Kissen oder eine ähnliche weiche Bedeckung über Mund und Nase gelegt hat. „Sie wollte den Tod. Sie wollte Tayler die Atmung unmöglich machen und ihn ersticken“, urteilten die Richter. Um die Tat zu verschleiern und den Anschein eines plötzlichen Kindstods zu erwecken, habe die Mutter dann die Rettungskräfte alarmiert. Nur knapp ein halbes Jahr später, am 13. Mai 2012, erstickte die Herner Mutter laut Urteil auch Justin mit Hilfe eines weichen Gegenstandes.
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Die Überzeugung, dass die Mutter die zwei Kinder getötet hat, stützten die Richter auf eine Gesamtschau aus rechtsmedizinischen Erkenntnissen, (Un-)Wahrscheinlichkeiten und Erklärungen sowie Auffälligkeiten aufseiten der Angeklagten. Besonders deren „ausgesprochen gefühlloses Verhalten“ sei in die Überzeugungsbildung miteingeflossen, hieß es. Als Tayler vom Notarzt reanimiert wurde, soll die Hernerin Zigarette rauchend danebengestanden haben. Als eine Ex-Nachbarin auf die Todesmitteilung von Justin in Tränen ausbrach, soll die Angeklagte sie kalt angeraunzt haben: „Warum heulst Du, es ist doch nicht dein Kind?“ Und kurz danach erzählt haben, sie gehe nun erstmal auf ein DJ-Bobo-Konzert.
Richter blieben hinter der Forderung der Staatsanwaltschaft zurück
In beiden Tötungsfällen billigte das Gericht der Herner Mutter eine situationsbedingte Überforderung und -belastung zu. Zwar sei auch möglich, dass die Mutter die Kinder getötet hat, um ein unbeschwertes Leben mit ihrem Partner führen zu können. Naheliegend sei aber vielmehr ein Motivbündel aus Überforderung und spontan entladener Wut. Auch wenn die Kindstötungen „menschlich verächtlich“ erscheinen mögen, so Richter Josef Große Feldhaus, scheitere eine Mordverurteilung (aus niedrigen Beweggründen) letztlich an dem Umstand, dass das tragende Tatmotiv nicht sicher feststellbar gewesen sei.
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Dass die Angeklagte die Tötungen von Tayler und Justin gegenüber zwei verdeckten LKA-Ermittlerinnen („Katja“ und Suse“) sogar zugegeben hatte, klammerte das Gericht in der Urteilsbegründung aus: „Wir halten die Aussagen der Ermittlerinnen in großen Teilen für nicht verwertbar.“ Die Angeklagte sei durch Aufbau psychischen Drucks illegal zu einer Selbstbelastung gedrängt worden, hieß es. Beide Ermittlerinnen hatten sich mit der Mutter angefreundet und früher oder später gezielt „Legenden“ von vermeintlich eigenen Geheimnissen zu ungeklärten Todesfällen eingestreut, um das Mitteilungsbedürfnis der 34-Jährigen zu wecken.
Mit dem Urteil blieben die Richter unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die die Höchststrafe (lebenslange Haft plus besondere Schuldschwere) beantragt hatte. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
WEITERE INFOS: Kinderärztin hatte Zweifel geäußert
- Bei den Todesfällen von Tayler und Justin hatten sich zunächst keine eindeutige Hinweise auf Fremdverschulden ergeben. Sie wurden als ungeklärt geführt.
- Wieder aufgenommen worden waren die Ermittlungen gegen die Hernerin nach einem weiteren mutmaßlichen Erstickungs-Zwischenfall mit ihrem dritten Kind im April 2018. In diesem Fall wurde die Mutter mangels Beweisen vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen.
- Eine Kinderärztin hatte damals Zweifel geäußert, eine Art rechtsmedizinisches „Ober-Gutachten“ war eingeholt, eine polizeiliche Ermittlungsgruppe („Hieronymus“) - namentlich angelehnt an den Lügenbaron von Münchhausen - installiert worden.
- Im Prozess war bekannt geworden, dass das dritte Kind offenbar massiv sexuell missbraucht worden ist. Als tatverdächtig gilt ein Babysitter, den die Mutter für 25 Euro pro Tag bei Ebay angeworben haben soll.