Bochum/Herne. Eine Mutter (33) aus Herne soll vor zehn Jahren zwei ihrer Kinder getötet haben. Der mögliche Grund: Sie wollte weiterhin feiern gehen.

■ Staatsanwalt spricht von Feierbedürfnissen und wechselnden Männerbekanntschaften

■ Erst eine Kinderärztin schöpfte 2018 Verdacht

■ Ermittlungsgruppe „Hieronymus“ ermittelte über Monate

Die Frau aus Herne, die am Montag mit versteinerter Miene und leerem Blick auf der Anklagebank am Bochumer Schwurgericht sitzt, hat drei Kinder zur Welt gebracht: Justin, Tayler und Jason. Zwei der Jungen soll sie 2011 und 2012 erstickt haben, den dritten 2018 um ein Haar auch. Jetzt ist die dreifache Mutter wegen Doppelmordes und gefährlicher Körperverletzung angeklagt – vor Gericht schweigt sie.

Blauer Wollpullover, dunkelblonde, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundene Haare: Das Gesicht leicht errötet, aber letztlich dann doch äußerlich sehr gefasst, wirkt die 33-jährige Angeklagte neben ihren Verteidigern Tanja Langa und Stefan Gerou. Den blauen Aktendeckel vor ihrem Gesicht legt sie erst ab, als Fotografen und Kamerateams den großen Schwurgerichtssaal A0.10 verlassen müssen. Einige Minuten später erhellt sich nach und nach auch wieder die Gesichtsfarbe der Hernerin.

Weinende Säuglinge, wechselnde Männerbekanntschaften, Feierbedürfnisse

Die Doppelmordanklage, die Staatsanwalt Dietrich Streßig verliest, schildert Szenen, die tief unter die Haut gehen. Es geht um weinende Säuglinge, um wechselnde Männerbekanntschaften, Feierbedürfnisse und Mutterpflichten. Es geht um skrupellose Kindstötungen und perfide Verschleierungen. Und um verachtenswerte Motive, die die Anklageschrift in die Kategorie „niedrige Beweggründe“ einstuft, weil sie allgemein sittlich auf tiefster Stufe stehen.

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Innerhalb von weniger als elf Monaten, im Oktober 2010 und im September 2011, brachte die Mutter aus Herne die Jungen Justin und Tayler zur Welt. Durch die Geburten soll die Angeklagte „mit ihren sonstigen, zuvor umfangreich ausgelebten Bedürfnissen nach außerfamiliären Aktivitäten“, die laut Anklage häufig von Rausgehen, Feiern und wechselnden Männerbekanntschaften geprägt waren, in einen Konflikt geraten sein. Vor allem der zweitgeborene Tayler, als ein so genanntes „Schreikind“ beschrieben, soll die Angeklagte massiv überfordert haben.

Hernerin soll Baby eine Daunendecke über den Mund und die Nase gelegt haben

Am Abend des 21. November 2011 soll die Mutter in der damaligen Familienwohnung unweit der Wanne-Eickeler Fußgängerzone erstmals zur Mörderin geworden sein. „Damit sie endgültig Ruhe vor ihm und seinem Schreien hat“, so die Anklage, legte die 33-Jährige dem zweieinhalb Monate alten Tayler erst eine Daunendecke über dessen Mund und Nase, drückte dem Baby sodann „mehrere Minuten lang“ ein Kissen oder eine Nackenrolle auf den Brustkorb. Als sie keine Atmung mehr bei Tayler bemerkt haben soll, soll sie das Zimmer verlassen, noch etwa 15 Minuten abgewartet und dann den Notruf gewählt haben. Dem Notarzt soll es zwar zunächst noch gelungen sein, Tayler zu reanimieren. Tags darauf verstarb der Säugling in der Kinderklinik in Datteln an einer Hirnschwellung.

Keine sechs Monate später, am 13. Mai 2012, soll die Hernerin auch Justin (damals 19 Monate alt) getötet haben. Offenbar bestärkt davon, dass sie selbst wegen Taylers Tod nicht unter Verdacht geraten ist, soll die 33-Jährige auch ihr zweites Kind mit einem Kissen erstickt haben. Laut Anklage entweder, indem sie Justin fest umarmte oder ihn „mittels des Kissens in die Bettmatratze drückte“. Auch diesmal soll die Mutter selbst den Notruf gewählt haben. Auch diesmal konnte das Kind erst noch reanimiert werden, verstarb dann aber neun Tage später an den Folgen des Erstickens. Diesmal im Bochumer St. Josef-Hospital. Und auch diesmal geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass das Tötungsmotiv der Kindsmutter darin bestand, dass Justin ihrem Traum vom ungehinderten Rausgehen und Feiern schlicht im Weg stand.

Erst Jahre später wurde eine Kinderärztin auf die Frau aufmerksam

Unter kritische Beobachtung waren die zwei Todesfälle erst mehrere Jahre später nach einem weiteren Zwischenfall geraten. Nachdem im Dezember 2015 der kleine Jason das Licht der Welt erblickt hatte, soll die Mutter am 8. April 2018 versucht haben, auch ihren dritten Jungen mit einem Kissen zu ersticken. Aufgrund des mit 32 Monaten höheren Alters und massiver Gegenwehr, soll er tödliche Plan dieses Mal nicht umsetzbar gewesen sein. Jason überlebte die konkret lebensgefährliche Aktion. In der Kinderklinik in Bochum musste der kleine Junge 16 Tage lang stationär behandelt werden. Im Zuge dieses Klinikaufenthaltes im Jahr 2018 soll eine Kinderärztin vom Tod der Geschwister Jasons Jahre zuvor erfahren, erstmals einen Verdacht gehegt, die Fälle insgesamt verknüpft und unter die Lupe genommen haben. Das Herner Jugendamt wurde eingeschaltet, ein rechtsmedizinisches Gutachten eingeholt. Die Zweifel an Erstickungsunfällen wuchsen, die Hinweise auf Erstickungstaten verdichteten sich immer mehr.

Die polizeiliche Ermittlungsgruppe „Hieronymus“ ermittelte über Monate hinweg akribisch, befragte Zeugen, zog Experten zu Rat. Zur Festnahme der jetzt Angeklagten am 12. April 2022 soll schließlich geführt haben, dass die Ermittlungen auch zu Tage gefördert hatten, dass die Mutter im Laufe der Jahre anderen Personen von den Taten erzählt haben soll. Zum Prozessauftakt vor dem Schwurgericht berief sich die Mutter auf ihr Schweigerecht. Ihre Verteidigerin Tanja Langa erklärte: „Sie wird keine Angaben zur Sache machen.“ Die Verhandlung wird somit in den nächsten Wochen und Monaten zu einem Indizienprozess. 18 Fortsetzungstage bis zum 21. Dezember sind aktuell anberaumt. An den kommenden drei Fortsetzungstagen stehen rechtsmedizinische Gutachten und die Befragung mehrerer Kinderärzte im Mittelpunkt. Wie bekannt wurde, ist Jason heute in einer Pflegefamilie untergebracht. Seiner Mutter droht im Falle einer Verurteilung die Verhängung einer lebenslangen Haftstrafe. Außerdem wird es auch um die Frage der besonderen Schuldschwere gehen.