Herne. Auch in Herne treten immer mehr Menschen aus der Kirche aus. 2022 war die Zahl so hoch wie noch nie. Die Inflation könnte eine Rolle spielen.

Immer mehr Hernerinnen und Herner verlassen die evangelische und katholische Kirche. Die Zahl der Kirchenaustritte war 2022 so hoch wie noch nie. Fast 1000 Menschen kehrten der Kirche den Rücken. Zum Vergleich: 2021 waren es 685, im Jahr 2020 exakt 548. Die Zahl hat sich also innerhalb von zwei Jahren fast verdoppelt.

Aber warum strichen ausgerechnet im vergangenen Jahre so viele Menschen die Kirche endgültig aus ihrem Leben? Die Herner Gemeinden können darüber nur mutmaßen, bei einem Kirchenaustritt beim Amtsgericht müssen die Beweggründe nicht genannt werden. Pfarrer Ludger Plümpe, Leiter der katholischen St.-Christophorus-Gemeinde in Wanne, geht davon aus, dass die „Großwetterlage“ in der Kirche für viele Menschen eine Rolle spiele. „Da fragen sich viele, ob sie dafür noch Geld bezahlen und ob sie noch dazu gehören wollen“, so Plümpe.

Herner Pfarrer: Anstieg der Zahlen ist nicht überraschend

Aber auch die Corona-Pandemie habe ihren Anteil dazu beigetragen. Diese habe einiges durcheinander gebracht. „Die Menschen hinterfragen mehr ihre Einstellung zum Leben, Gewohnheiten haben sich geändert“. Die Individualisierung spiele dabei eine große Rolle. Dass die lokale Kirche vor Ort einen Anteil daran hat, dass so viele Menschen sie verlassen, denkt Plümpe nicht. „Ich höre oft, dass die Kirche vor Ort viel Gutes tut.“ Aber was kann die lokale Kirche dann noch tun, um die massiven Austrittsbewegung aufzuhalten? „Man könnte sagen, es liegt nicht an uns, also ändern wir auch nichts“, so Plümpe. „Aber das ist zu einfach.“ Als ein Beispiel dafür, wie die Kirche vor Ort sich verändern könne, nennt er ein Immobilienkonzept, das derzeit entwickelt werde. Es gebe immer weniger Gottesdienste, aber viele Gebäude – die Geld kosten. „Manchmal muss man sich von Dingen trennen oder anders nutzen.“

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Für Georg Birwer, Leiter der katholischen Herner St.-Dionysius-Gemeinde, kommt der Anstieg der Zahlen nicht überraschend und „mit Ansage“. Schon immer seien Menschen ausgetreten, die Missbrauchskrise der katholischen Kirche, „die sicherlich ein Hauptgrund ist“, sorge nun dafür, dass auch Menschen, die sich bisher nie über einen Austritt Gedanken gemacht hätten, die Kirchen verließen. Wichtig sei nun, dass die Kirche vor Ort ihre Arbeit gut mache. „Wir können die Richtung des Stroms nicht ändern“, so Birwer. „Das macht mich manchmal ratlos.“

Kirchenaustritte in Herne: „Ich halte nichts von großem Aktionismus“

Auch aus finanziellen Gründen seien viele Leute ausgetreten, vermutet Arnd Röbbelen, Sprecher des evangelischen Kirchenkreises Herne. Die hohen Inflationsraten trieben viele Menschen zum Austritt. „Das ist bedauerlich und schade“, so Röbbelen. Auch die evangelischen Gemeinden stellten sich die Frage: „Was machen wir jetzt?“

“Ich halte nichts von großem Aktionismus“: Pfarrer Arnd Röbbelen.
“Ich halte nichts von großem Aktionismus“: Pfarrer Arnd Röbbelen. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Das wichtigste sei, so der Pfarrer, „als Kirche da zu sein“. Es brauche nicht immer irgendwelche großen Konzepte und Pläne. Präsent sein und spirituell begleiten – das sei wichtig. Als Beispiel nennt er die Friedensgebete vor der Kreuzkirche, die Wärmestuben und die Hospizarbeit. „Ich halte nichts von großem Aktionismus.“ Aber auch die Gottesdienste müssten zielgruppenorientiert umgedacht werden. „Ich denke, es gibt leider immer irgendeinen Grund auszutreten, aber es gibt auch genug Gründe, wieder einzutreten“, betont Röbbelen.

>>>WEITERE NACHRICHTEN: So lange wartet man beim Amtsgericht

  • Das NRW-Justizministerium hat erfasst, wie lange die Wartezeit für einen Kirchenaustrittstermin in den Amtsgerichten in NRW ist. Die Auswertung hat ergeben: In Herne gebe es keine Wartezeit, in Wanne müsse man 14 Tage auf einen Termin warten.
  • Außerdem wurde erhoben, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich um die Bearbeitung der Kirchenaustritte kümmern. Das Ergebnis: In Herne sind es laut Ministerium vier, in Wanne sind es fünf.

Wie es mit den katholischen Kirchengebäuden in Wanne weitergehen könnte, wird am Freitag, 27. Januar, um 17.30 Uhr in der Kirche St. Marien, Herzogstraße 19, besprochen. Eine Projektgruppe wird dann ein erstes Bild vorstellen, das skizzenhaft beschreibt, was mit den einzelnen Gebäuden geschehen soll und wie man sich für die Zukunft aufstellen will. Wer daran teilnehmen möchte, kann sich bis Montag, 23. Januar, unter pfarrbuero@st-christophorus-wan.de oder unter der Rufnummer 02325 377360 anmelden.