Herne. Anfang 2022 wurden Todesdrohungen gegen die Herner Pfarrerin Melanie Jansen bekannt. Nun spricht sie über jene Zeit und Weihnachten in der Krise.
Fast ein Jahr ist es nun her, dass Todesdrohungen gegen die Herner Pfarrerin Melanie Jansen öffentlich wurden. Im Interview mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann spricht sie über ihre Gefühle, den Zuspruch, den sie damals erhalten hat - und über die Bedeutung des Weihnachtsfests in der Krise.
Frau Jansen, ist Ihnen so langsam festlich zumute?
Ja, nach dem Vorbereitungsstress kehrt nun langsam Ruhe ein. Das Krippenspiel ist geprobt, die Predigt vorbereitet. Die magische Grenze für mich war gestern Mittag.
Hatten Sie denn schon Gelegenheit, das Jahr Revue passieren zu lassen?
Nein, das mache ich zwischen den Jahren. Die Vorweihnachtszeit ist für mich die anstrengendste des Jahres, da komme ich nicht dazu.
Wenn Sie Bilanz ziehen, wird sicherlich die Todesdrohung, die Anfang des Jahres bekannt geworden war, eine Rolle spielen. Wissen Sie noch, was in Ihnen vorgegangen ist, als Sie die erste Drohung entdeckt haben?
Die erste Reaktion war gar keine, weil ich gar nicht erfassen konnte, was ich da lese und was es ist. Danach kam eine Mischung aus ganz ungutem Bauchgefühl und einem Schwanken zwischen: Soll ich es ernst nehmen? Und: Ist es eine wirkliche Gefahr? Ich hatte das Gefühl einer ganz großen Unsicherheit. In den Wochen danach habe ich ein mulmiges Gefühl entwickelt, weil ich nicht wusste, was ich vor der Tür finde, wenn ich das Haus verlasse.
Wie lange hielt dieses Gefühl an?
Es gab auch nach der Berichterstattung noch Vorfälle, geändert hat sich die Situation und das Gefühl erst, als bauliche Veränderungen am Haus vorgenommen worden waren.
Ist es nicht traurig, dass sich die Institution Kirche, die für Nächstenliebe steht, so schützen muss?
Ja, ist es. Das passt eigentlich nicht zu mir. Wir haben immer ein sehr offenes Haus gehabt. Jetzt leben wir ganz bewusst weniger auf dem Präsentierteller. Die meisten Treffen und Begegnungen finden nun im Ludwig Steil Forum statt. Ich möchte gerne für Menschen da sein, gerade als Kirche wollen wir Gemeinschaft leben.
Haben Sie ein Stück weit das Vertrauen in Menschen verloren?
Nein. Auf keinen Fall. Inzwischen habe ich die Drohungen gedanklich abgeschlossen. Das liegt auch daran, dass im Gemeindeleben so viel passiert ist. Da war gar kein Raum mehr für solche Gedanken.
Wer hat Ihnen in der Zeit einen Halt gegeben?
Ich habe so viel Zuspruch erhalten, dass es jenseits meiner Vorstellungskraft war. Etwas Großartigeres hätte nach den Drohungen eigentlich nicht passieren können. Das Friedensgebet war voll nach dem Bekanntwerden der Drohungen. Es waren so viele Menschen da, gläubige Menschen, aber auch Menschen, für die Religion keine Rolle spielt. Das hat mich unglaublich berührt. Ich lebe in einer großartigen Stadt. Das zeichnet unsere Stadt aus: Wenn etwas geschieht, was gesellschaftspolitisch nicht akzeptabel ist, sind die Menschen vereint zur Stelle. Ich habe auch so viele Briefe und Mails bekommen, dass es mich wahnsinnig gestärkt hat.
Welche Rolle hat dabei Ihr Glaube an Gott gespielt?
Das hängt ja alles zusammen. Warum hat die Gemeinschaft funktioniert? Weil wir Gemeinde sind und gemeinsam den Glauben leben. Glaube bedeutet, dass man füreinander einsteht. Das ist Nächstenliebe. Ich habe mich in dieser Zeit nicht mehr von Gott getragen gefühlt als in anderen Zeiten. Da gab es größere persönliche Krisen, bei denen ich eine engere Bindung zu Gott hatte oder um Stärke gebetet habe. Mein Glaube trägt mich durch mein ganz normales Leben, egal, in welchen Situationen.
Sie haben also zu keiner Zeit daran gedacht, sich zurückzuziehen?
Nein, überhaupt gar nicht. Das war meine erste Reaktion von Anfang an.
Kurz nach der persönlichen Krise kam mit dem Überfall auf die Ukraine die nächste Krise. Dort haben Sie sich ja auch sofort mit den Friedensgebeten engagiert...
...die gibt es ja schon seit den Zeiten der sogenannten besorgten Bürger, und es gibt es nach wie vor. Zu Beginn des Krieges haben sie wieder viel Zulauf bekommen. Ganz offensichtlich haben die Menschen in großen Krisen das Bedürfnis nach einem Ort, wo man mit seinen Gefühlen hinkommen kann. Und Kirche und das Friedensgebet kann so ein Ort sein. Die Besucherzahlen sind zwar gesunken, das ist aber überhaupt kein Grund, damit aufzuhören.
Gibt es bei all den Krisen auch Positives?
Wenn man auf die Friedensgebete schaut, ist es die Gemeinschaft. Und wenn man jetzt auf Weihnachten schaut: Es ist die schönste Zeit im Jahr. Weihnachten ist das großartigste Fest im Jahr. Es gibt keine schönere Zeit, als den Menschen von der Liebe Gottes zu erzählen.
Ist das umso wichtiger angesichts von Krieg und den anderen Krisen, die die Menschen bewegen?
Kriege hat es auch zuvor gegeben, auch die Pandemiejahre waren zu Weihnachten für viele Menschen sehr schwer, man muss nur an die Menschen in den Seniorenheimen denken, die niemanden hatten. Deshalb weiß ich gar nicht, ob ich dieses Jahr als noch krisenhafter sehen soll als die Jahre davor. In der Krise kann man am ehesten erahnen, was Weihnachten bedeutet. Ich feiere ja an Weihnachten nicht, dass Gott in einem Palast Mensch worden ist, sondern bei Menschen, die nichts hatten, in einer Krippe in einem stinkenden Stall. Und dann müssen sie auch noch fliehen, damit das Kind nicht umgebracht wird. Aktueller geht es ja gar nicht. Wenn man selbst in einer Krisensituation ist, einem die steigenden Energiekosten Angst machen oder der Krieg in der Ukraine, dann ist die Weihnachtsbotschaft umso wichtiger. Denn Gott ist Mensch geworden für Menschen, die in der Krise sind und nicht weiter wissen. Und er sagt zu den Menschen: Ich bin bei Euch, ich lasse Euch nicht allein. In einer Krise kann man noch viel eher erahnen, was Weihnachten bedeutet.
Woher nehmen Sie selbst in diesen Zeiten Zuversicht, und wie geben Sie den Menschen Zuversicht?
Das bedingt einander. Wir müssen als Menschen nicht immer so arrogant sein zu glauben, dass wir immer alles selbst in der Hand haben. Mir gibt es Kraft und Stärke, wenn ich mir klar mache, dass es das Christentum seit mehr als 2000 Jahren gibt. Und es ist immer irgendwie weitergegangen. Ich glaube, dass es einen Gott gibt, der führt und lenkt. Die Zuversicht, nicht allein zu sein bei allem, was man tut: Was Besseres kann es gar nicht geben.
>>> ZUR PERSON
Melanie Jansen (43) hat im Februar 2013 als Pfarrerin in der Ev. Kreuz-Kirchengemeinde angefangen.
Seit Juni 2022 gibt es durch die Vereinigung der fünf Herner Gemeinden die Kreuz-Kirchengemeinde nicht mehr, sondern nur noch de Evangelische Kirchengemeinde Haranni. Der Bereich Kreuzkirche ist aber weiter der Hauptteil von Jansens Tätigkeitsfeldes. Seit der Vereinigung der Gemeinden ist sie Vorsitzende des Presbyteriums der neuen Gemeinde.