Herne. Die Lebenshaltungskosten explodieren, die sozialen Probleme verschärfen sich: Das Sozialforum Herne hat einen Forderungskatalog aufgestellt.
- Das Herner Sozialforum hat einen Forderungskatalog präsentiert.
- Bei Armen, so das Bündnis, verschärften sich die sozialen Probleme immer mehr.
- Verzicht auf Stromsperren, mehr Beratungsangebote gefordert.
Das Herner Sozialforum schlägt Alarm: Energiepreise und Lebenshaltungskosten schießen durch die Decke, die sozialen Probleme verschärfen sich, warnt das Bündnis. Ihm gehören Vertreterinnen und Vertreter aus Herner Sozial- und Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, Kirchen und Parteien an. Folge: Vor allem beim „wirtschaftlich abgehängten Teil der Bevölkerung“ verschärften sich die sozialen Probleme immer mehr. Das Bündnis hat deshalb einen Forderungskatalog an die „Akteure in Herne, Land und Bund“ vorgelegt.
Die Adressaten, allen voran die Bundes- und Landtagsabgeordneten Michelle Müntefering und Alexander Vogt (beide SPD) sowie die Lokalpolitik vor Ort, sollen sich dafür einsetzen, dass mehr soziale Gerechtigkeit geschaffen wird, sagen Heinz Drenseck und Gregor Kleibömer vom Herner Sozialforum zur WAZ. Der ehemalige Kämmerer Drenseck (83), heute Awo-Ehrenvorsitzender, und der Fachanwalt für Sozialrecht Kleinbömer (71) nennen die Entlastungspakete der Ampelkoalition sinnvoll, aber nicht ausreichend. Die Preissteigerungen, kritisieren sie, träfen vor allem ärmere Menschen, da ein großer Teil des Einkommens für Energie und Essen aufgewandt werden müsse: „Die, die finanziell schon immer auf dem Zahnfleisch gingen, gehen jetzt noch stärker auf dem Zahnfleisch“, klagt Kleibömer.
Herne: „Um ein Loch zu stopfen, wird ein neues aufgemacht“
Zum Forderungskatalog gehört unter anderem, dass die Stadtwerke Herne verpflichtet werden, auf Stromsperren komplett zu verzichten. Hätten Menschen bei den Stadtwerken Herne alte Rechnungen nicht bezahlt, dann mache das Unternehmen weitere Energielieferungen davon abhängig, dass die Altschulden bezahlt würden. Damit nutzten die Stadtwerke „ihre Marktmacht als Monopolist aus“, so das Sozialform. Hernerinnen und Herner müssten deshalb weitere Schulden aufnehmen, um weiter Strom oder Gas zu bekommen: „Um ein Loch zu stopfen, wird ein neues aufgemacht“, sagt Heinz Drenseck. Die Stadtwerke, fordern die beiden, sollten durchaus sicherstellen dürfen, dass neue Energielieferungen auch bezahlt würden, etwa durch angemessene höhere Abschlagszahlungen, Bürgschaften oder durch Verpflichtungserklärungen von Jobcenter oder städtischem Fachbereichs Soziales. Allein: Ansprüche aus der Vergangenheit sollten sie „im normalen zivilrechtlichen Verfahren“ durchzusetzen, so Anwalt Gregor Kleibömer.
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Eine weitere Forderung: Die Stadtverwaltung Herne und insbesondere die Familienkasse müssen personell besser ausgestattet werden. Neue Regelungen ab 1. Januar 2023 – darunter Bürgergeld statt Hartz IV sowie Änderungen beim Wohngeldgesetz und Kinderzuschlag – bedeuteten für viele Menschen höhere Leistungsansprüche. Die Bundesregierung, so das Sozialforum, erwarte eine Verdoppelung der Antragszahlen allein beim Kinderzuschlag und beim Wohngeld. Wohngeldstelle und Kindergeldkasse in Herne seien für diese „Antragsflut“ personell aber nicht ausgestattet, so Kleibömer. Noch mehr Menschen könnten deshalb zwischen den einzelnen Stellen hin- und hergeschickt und finanziell erst mal leer ausgehen, fürchtet er. Vorauszahlungen, etwa durch das Jobcenter, wären eine gute Lösung, ebenso wie besagte Stellenaufstockungen.
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Nicht zuletzt müssten auch öffentliche Beratungsangebote ausgebaut werden. Spätestens ab Januar erwartet das Sozialforum massive Nachzahlungen bei Energiekosten-Abrechnungen und Abschlagszahlungen. Dadurch würden viele Verbraucherinnen und Verbraucher, die bislang allein ihren Lebensunterhalt bestreiten könnten, auf ergänzende Leistungen wie Arbeitslosengeld II, Wohngeld oder Kinderzuschlag angewiesen sein. Für sie müssten Beratungsstrukturen „erhalten und ausgebaut“ werden.
Zu guter Letzt sollen Zufallsgewinne von Unternehmen, die von den Folgen des russischen Angriffskrieges finanziell profitieren, abgeschöpft werden und Gutverdienende mehr zahlen. Was Letztere angeht: Sie hätten im Gegensatz zur „unteren Hälfte der Bevölkerung“ durch den Aufschwung der vergangenen 20 Jahren viel verdient. Eine Vermögensteuer, eine einmalige Vermögensabgabe, eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes für Einkommen etwa ab 100 000 Euro jährlich oder eine Erhöhung der Erbschaftsteuer seien geeignete Instrumente, damit mehr Geld zur Verfügung steht, um Kommunen dafür finanziell auszustatten, damit sie auf die aktuelle Krise reagieren könne.
>>> WEITERE INFORMATIONEN: Das Sozialforum
Das Herner Sozialforum wurde 1993 als „Bündnis gegen Gleichgültigkeit“ von Sozial- und Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, evangelischer und katholischer Kirche sowie Vertreterinnen und Vertretern von SPD und Grünen gegründet. Anlass waren Betriebsschließungen, insbesondere in der Metallindustrie, und eine hohe Arbeitslosigkeit. Auf Initiative der Gewerkschaft Verdi nannte sich das Bündnis ab Anfang 2004 „Herner Sozialforum“.
Das Plenum des Sozialforums trifft sich monatlich zum Meinungsaustausch und zu gelegentlichen Vortragsveranstaltungen und Straßenaktionen. Zum Kreis der Sprecherinnen und Sprecher gehörten unter anderem der ehemalige Sozialpfarrer Jürgen Klute, die ehemalige IG Metall-Chefin Eva Kerkemeier, der ehemalige Dechant der Katholischer Kirche Heribert Zerkowski oder der langjährige VHS-Direktor Dieter Ruppel. Zum Kreis gehören heute Frank Sichau (Evangelischer Pastor, ehemaliger SPD-Landtagsabgeordneter), Edith Grams (Lehrerin im Ruhestand/Herner Friedensinitiative), der Fachanwalt für Sozialrecht Gregor Kleibömer und Norbert Arndt (ehemaliger Verdi-Gewerkschaftssekretär).