Herne. Sein Zuhause gilt als unbewohnbar. Ein Herner berichtet von den Zuständen und nimmt nicht nur Belvona in Verantwortung, sondern auch die Stadt.

Nach der Räumung von sieben Wohnungen im Belvona-Wohnkomplex an der Emscherstraße in Wanne zeigt sich ein betroffener Anwohner enttäuscht über die Lage und schildert eine aktuell dramatische Situation für seine Familie. Neben dem Wohnungsunternehmen Belvona nimmt er auch die Stadt Herne in die Verantwortung. Nachdem die Wohnungsaufsicht der Stadt Herne am Dienstagvormittag die Wohnungen in der Hausnummer 82 für unbewohnbar erklärt hatte, mussten die betroffenen sieben Familien umgehend ihre Wohnungen räumen. Auch das eigentlich leerstehende Haus mit der Nummer 88 wurde für unbewohnbar erklärt.

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Burnout und schlaflose Nächte: Extreme Belastung für Herner Familie

Der 25-jährige Joshua, der seinen Nachnamen nicht öffentlich nennen will, beschreibt sich eigentlich als einen psychisch starken Menschen. Durch sein Studium der Luftfahrttechnik an der Fachhochschule Aachen sei er hohen Druck gewohnt und könne normalerweise gut damit umgehen. „Vor einem Tag hatte ich einen Burnout“, sagt er. Die Situation sei extrem belastend für ihn und seine Familie. „Ich hab den letzten Tag damit verbracht, mit der Stadt und Anwälten zu telefonieren“, erzählt er und zeigt am Smartphone eine scheinbar endlos lange Anrufliste. Trotz aller Versuche, Hilfe zu bekommen fühle er sich im Stich gelassen, sagt der Herner.

In der Wohnung habe er gemeinsam mit seiner 18-jährigen Schwester, seinem 23-jährigen Bruder und seinen Eltern gelebt. Die fünfköpfige Familie erlebe seit mindestens fünf Jahren akute Mängel in der Wohnung. Doch Belvona kümmere sich nicht. Im Detail könne man sich zu den genannten Mängeln kurzfristig ohne weitere Angaben dazu nicht äußern, heißt es auf Nachfrage der Redaktion von einem von Belvona beauftragten Anwalt. Man könne nur pauschal sagen, dass die Heizung mehrfach ausgefallen sei. Seine Mandantin habe Schritte eingeleitet, die Funktionstüchtigkeit herzustellen. Die Eigentümerin des Objekts habe außerdem umfangreiche Instandsetzungsmaßnahmen geplant. Dazu gehöre auch die Heizungsanlage.

Schon in der Vergangenheit habe die Familie versucht, eine neue Wohnung zu finden, sagt Joshua. „Wir haben lange Zeit gesucht, aber nichts gefunden. Für uns ist es besonders schwer, etwas Neues zu bekommen, weil mein Vater schwerbehindert ist.“ Seit 1998 sei er zu 100 Prozent blind. Darüber hinaus habe er ein schwaches Herz und Lungenkrebs. Der blinde Vater kenne die Wohnung an der Emscherstraße in- und auswendig und komme gut zurecht. Unter diesen Umständen etwas anderes Passendes zu finden, sei bisher nicht möglich gewesen. Als für die Familie die Nachricht kam, dass sie ihre Wohnung räumen müssen, sei der schwerkranke Vater im Krankenhaus gewesen. Aufgrund der aktuellen Umstände habe er seinen Aufenthalt dort verlängern können, sagt Joshua.

Herner fühlt sich von der Stadt vernachlässigt

Die Stadt hatte erklärt, dass die Familien für eine Übergangszeit in Hotels untergebracht werden sollten. Eine schriftliche Kostenzusage des Wohnungsunternehmens liege vor, sagte Michael Niedballa von der Wohnungsaufsicht am Dienstag in der Bezirksvertretung. Belvona bezahle diese Hotels, hieß es. „Wir sollten in Vorauszahlung gehen und dann die Rechnung an Belvona schicken“, sagt Joshua. Doch von dem Unternehmen habe die Familie bis jetzt keine Rückmeldung. Ob Mieter in Vorkasse gehen müssen sei „derzeit noch in Klärung“, heißt es nach WAZ-Anfrage in der Stellungnahme von Belvona. „Aktuelle Zusage gegenüber den Mietern war, dass wir pro Person/Nacht 60,00 Euro übernehmen.“ Belvona erklärt, dass es falsch sei, die Bewohner in Haus Nummer 78 unterbringen zu wollen. Die Stadtverwaltung hatte das behauptet.

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Joshua und seine Familie wollen nun rechtliche Schritte einleiten. Seit einigen Jahren sei die Familie Mitglied beim Deutschen Mieterbund. Aufgrund der Mängel an der Wohnung wolle die Familie eine Mietminderung. Man zahle in Absprache mit dem Mieterbund eigenständig weniger Miete an Belvona.

Vor einem Jahr sei dann ein Schreiben von der „Silver Wohnen 4 GmbH“ gekommen, mit der Aufforderung Mietrückstände zu bezahlen, berichtet Joshua. Er gehe davon aus, dass sich hinter diesem Unternehmen Belvona verberge. Beide Unternehmen sind unter derselben Düsseldorfer Adresse zu finden. Wie ist der tatsächliche Zusammenhang? Silver Wohnen sei die Eigentümerin, heißt es vom Anwalt. Damit sei die Firma berechtigt, Ansprüche aus den Vertragsverhältnissen mit den Mietern durchzusetzen.

Darüber hinaus wolle die Familie mit einem Verwaltungsanwalt für öffentliches Recht auch gegen die Stadt Herne vorgehen. Denn die Zustände im Wohnkomplex an der Emscherstraße seien schon länger bekannt. Die Stadt wolle nach der Feststellung der Unbewohnbarkeit mit anderen Wohnungsgesellschaften Kontakt aufnehmen, um die Familien zu vermitteln. „Das hätten sie schon viel früher machen müssen. Es ist zu wenig passiert“, meint er.

Auch von Oberbürgermeister Frank Dudda fühlt sich der Herner vernachlässigt. Seit die Familien an der Emscherstraße ihre Wohnungen räumen mussten, habe sich der OB noch nicht zu Wort gemeldet. Joshua sagt, er habe am Dienstag in seinem Büro angerufen und warte noch immer auf einen Rückruf.

Auf Anfrage der WAZ erklärt die Stadt Herne, dass alle Mietparteien von Seiten der Wohnungsaufsicht mit entsprechenden Ersatzwohnungen versorgt worden seien: „Eine Familie hat sich selbst eine Ersatzwohnung besorgt. Dort ist aber noch nicht klar, ob sie den Zuschlag für diese Wohnung erhalten. Falls nicht, wird über die Wohnungsgesellschaften weiter versucht, die Familie abschließend mit entsprechendem Wohnraum zu versorgen. Hierbei muss beachtet werden, dass die Familie eine ebenerdige Wohnung benötigt, da der Mann der Familie schwerbehindert ist“, heißt es in der Erklärung der Stadt.