Herne. Die Stadt Herne will auf Friedhöfen unerwünschten Grabschmuck vor Kolumbarien wegräumen. Trauernde sind entsetzt – und schimpfen auf die Stadt.

  • Die Stadt Herne hat angekündigt, ab 2023 unerwünschten Grabschmuck vor Kolumbarien zu entfernen.
  • Das führt zu Entsetzen bei Trauernden.
  • Politik ruft Stadt zu Kompromiss auf.

Die Ankündigung der Stadt Herne, auf den städtischen Friedhöfen ab Januar 2023 unerwünschten Grabschmuck von den Ablageflächen an den Kolumbarien zu entfernen, sorgt unter Trauernden für einen Sturm der Entrüstung. 25 Menschen kamen nun zum Hauptfriedhof an der Wiescherstraße, um gegenüber der WAZ ihrem Ärger über das Vorgehen der Stadt Luft zu machen.

Das Rathaus beklagt „Wildwuchs“ auf den Ablageflächen vor den Kolumbarien. Menschen, so die Verwaltung, hinterließen immer mehr Grabschmuck, der zum großen Teil aber gar nicht erlaubt sei, darunter Grablampen, Windlichter, Schalen, Kieselsteine oder Figuren. Gestattet seien laut Friedhofssatzung dort aber nur Pflanzen – und zwar ohne Vasen oder Schalen. Im kommenden Jahr sollen deshalb „unzulässigerweise aufgestellte Materialien“ an den kleinen Grabkammern abgeräumt werden, kündigt die Stadt auf Schildern an den Kolumbarien an.

Hernerin: „Was ist denn an einer Laterne oder Schale auszusetzen?“

Diese Menschen trafen sich mit der WAZ, um ihrem Ärger und Entsetzen über das Vorgehen der Stadt Luft zu machen. Mit im Bild: CDU-Ratsfrau Bettina Szelag (2.v.r.) und Sodingens Bezirksbürgermeister Mathias Grunert (r.).
Diese Menschen trafen sich mit der WAZ, um ihrem Ärger und Entsetzen über das Vorgehen der Stadt Luft zu machen. Mit im Bild: CDU-Ratsfrau Bettina Szelag (2.v.r.) und Sodingens Bezirksbürgermeister Mathias Grunert (r.). © FUNKE Foto Services | Sebastian Sternemann

„Seit neun Jahren zünde ich jeden Abend die Kerze für Kathi an“, berichtet Kerstin Tischler. Ihre Tochter starb im Alter von 15 Jahren überraschend. „Sie hat irgendwann mal gesagt, ,Mama, ich möchte nicht, dass mich die Würmer fressen‘. Deshalb war für uns klar, dass sie einen Platz im Kolumbarium bekommt.“ In ihrer Trauer habe sich das Ehepaar Tischler damals auf das Verlassen, was ihnen gesagt worden sei – es dürfe nichts an der Namensplatte angebracht werden, aber vor dem Kolumbarium dürften Kleinigkeiten abgestellt werden. Dass laut Friedhofssatzung nur Blumen abgelegt werden dürfen, hätten sie erst viel später erfahren.

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„Ich bin mit meiner Oma oft hier spazieren gegangen. Es war ihr letzter Wille, hier bestattet zu werden, weil sie das mit den Lampen so schön fand“, erzählt Natalie Kiesler. Ihre Oma wurde am 15. Oktober im Kolumbarium beigesetzt. „Bei der Begehung mit jemandem vom Friedhofsamt wurde uns gesagt, dass es gar kein Problem sei, etwas abzustellen, solange es auf der angedachten Fläche stehe und wir uns selber darum kümmern.“ So ließ die Familie – wie andere auch – extra eine wetterbeständige Laterne anfertigen.

„Und nun soll alles weg?“, fragt Natalie Kiesler erzürnt. Dass verrosteter oder vergammelter Grabschmuck abgeräumt werden soll, dafür habe sie volles Verständnis. Aber: „Was ist denn an einer Laterne oder einer gepflegten kleinen Schale auszusetzen?“ Kurz bevor die Stadt die Schilder aufstellte, habe ihre Familie noch einen Antrag auf Verlängerung der Grabstelle gestellt. „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich das nicht gemacht“, stellt sie klar. Sie überlege gar, ihre Oma nun in ein Urnengrab verlegen zu lassen.

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Auch Walburga Thomas, deren Mutter vor fünf Jahren im Kolumbarium bestattet wurde, hinterfragt ihre Entscheidung: „Wir hatten eine große Familiengruft. Vielleicht hätten wir die besser behalten.“ Sie und alle Anwesenden haben Verständnis dafür, dass Unansehnliches weggeräumt werden muss. Allein: „Dafür sorgen wir in der Regel selber.“ Viele Angehörige kennen sich, hielten die Anlage in Schuss. Wenn jemand im Urlaub sei, würden Blumen eben mit gegossen, vertrocknete Blätter weggeräumt. Niemand der Anwesenden versteht, warum Gepflegtes nicht bleiben darf: „Es bleibt ein Friedhof, ein Ort der Trauer“, sagt Karsten Tischler. Ein Licht anzuzünden oder Blumen abzustellen, gehöre zur Trauer doch dazu. „Es kann doch für die Stadt eigentlich kein Aufwand sein, wirklich Vergammeltes abzuräumen. Die sind hier doch ohnehin jeden Tag unterwegs.“

Auch Marion Rabczinski versteht die Welt nicht mehr: „Mein Vater ist im Juni verstorben, er wollte gerne ins Kolumbarium, damit es immer sauber ist, wenn wir das Grab nicht pflegen können“, sagt sie. Auch ihr sei bei der Begehung gesagt worden, dass sie etwas abstellen dürfe. „Wie viele verrottete Reihengräber gibt es? Da fragt keiner nach“, sagt sie verbittert. Und weiter: „Warum dürfen wir nicht trauern?“

Diese Frage stellen viele der Anwesenden. Gerade in der dunklen Jahreszeit sei es für viele ohnehin schwer, den Verlust der Angehörigen zu verarbeiten. „Ich bin wirklich verzweifelt und traurig“, sagt eine Frau, deren Mann vor über drei Jahren bei einem tragischen Unfall verstarb. Ihre Kinder legten ab und an kleine Briefe an den Papa an die Laterne. „Ich habe das damals nicht durchgelesen, ich habe nur funktioniert“, sagt sie in Bezug auf die Friedhofssatzung und ergänzt unter Tränen: „Ich kann das doch nicht wegräumen und den Kindern sagen, sie dürfen keine Briefe mehr für den Papa dalassen.“

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Bettina Szelag aus der CDU-Ratsfraktion ist beim WAZ-Ortstermin ebenfalls dabei. Sie zeigt sich erstaunt über den plötzlichen Drang der Stadt, die Friedhofsordnung umzusetzen: „Ich kenne es nicht anders, als dass hier Blumen und Laternen stehen.“ Sie fordert: „Hier muss ein Kompromiss gefunden werden, denn diese Form der Trauerarbeit darf man nicht einfach so wegwischen.“

Auch Sodingens Bezirksbürgermeister Mathias Grunert (SPD) ist gekommen. Er fragt sich ebenfalls, warum die Satzung gerade jetzt umgesetzt werden soll. „Mir ist wichtig, Bürger und Betroffene zu Wort kommen zu lassen“, sagt er. Wichtig sei es außerdem, zu klären, ob und wie die Menschen über die schon immer bestehende Regelung informiert worden seien: „Es ist immer unglücklich, wenn eine Satzung und die Realität so weit auseinandergehen.“ Er spricht sich dafür aus, „die Friedhofssatzung etwas zu modifizieren und einen Kompromiss zu finden, mit dem alle zufrieden sind“.