Herne. Herner Beratungsstellen warnen vor den Folgen der Krise. Wen sie kritisieren, was sie fordern und welche Rolle dabei die Gießkanne spielt.

Die Forderung der Herner Beratungsstellen? Eine Selbstverständlichkeit. Die Umsetzung wird allerdings noch schwieriger als bisher schon. „Allen Menschen muss ein menschenwürdiges Leben ermöglicht werden“, erklären die beiden Arbeitslosenzentren, die Schuldnerberatung und die evangelische Kirche. In einer gemeinsamen Pressekonferenz warnen sie am Dienstag vor dem Hintergrund der Energiekrise vor einer weiteren Zuspitzung der Situation, geißeln die Diskriminierung ärmerer Menschen, geben Tipps für Betroffene und richteten einen Appell an die politischen Verantwortlichen: „Schluss mit der Gießkanne!“

Dagmar Spangenberg-Mades ist Leiterin des Zeppelinzentrum des Ev. Kirchenkreises in Herne.
Dagmar Spangenberg-Mades ist Leiterin des Zeppelinzentrum des Ev. Kirchenkreises in Herne. © FUNKE Foto Services | Ralph Bodemer

„Es gibt derzeit Hilfen nach dem Gießkannenprinzip, die auch jene erreichen, die sie gar nicht brauchen“, erklärt Dagmar Spanenberg-Mades von der evangelischen Arbeitslosenberatung Zeppelin-Zentrum. Ärmere Menschen müssten durch eine zielgenauere Unterstützung entlastet werden.

Vorwurf: Härtefälle werden in Herne häufig nicht anerkannt

Die gestiegenen Preise für Energie würden in Zukunft auch in Herne viele soziale Notlagen hervorrufen. Unterstützungen zum Beispiel durch Hilfs-Fonds („Herne solidarisch“), zusätzliche Mittel der Kirchen oder sogar Wärmestuben würden dabei unumgänglich sein. „Darüber hinaus müssen die betroffenen Menschen darüber informiert werden, dass sich durch höhere Abschläge und Nachforderung Ansprüche auf Sozialleistungen ergeben könnten.“

Bei Erhöhung der Pauschalen auf Grund der Preisentwicklung und bei Nachforderungen für Heizkosten müssten die Grundsicherungssysteme diese im Rahmen der Kosten der Unterkunft übernehmen. Weniger eindeutig sei die Lage bei Erhöhung der Pauschale aufgrund der Preisentwicklung und bei Nachforderungen bei Haushaltsenergie.

Die Erhöhung der Energiepreise würden künftig in Herne zu mehr sozialen Notlagen führen, befürchten Beratungsstellen.
Die Erhöhung der Energiepreise würden künftig in Herne zu mehr sozialen Notlagen führen, befürchten Beratungsstellen. © dpa | Jan Woitas

In den Gesetzen gebe es zwar „Härtefallparagraphen“, die Ansprüche als Beihilfe oder Darlehen ermöglichen könnten. „Hier gibt es aber bereits vermehrt Ablehnungen“, weiß auch Andrea Leyk von der Herner Schuldnerberatung. Es werde wohl künftig auch darum gehen, rechtliche Möglichkeiten durchzusetzen, so Franz-Josef Strzalka vom Arbeitslosenzentrum Herne. Im Oktober wollen die Beratungsstellen bei einem Aktionstag in Wanne-Eickel darüber informieren, was für Möglichkeiten der Unterstützung es gibt und worauf zu achten ist.

Bürgergeld? „Es hat sich im Grunde nichts geändert“

Über die aktuelle Krise hinaus pochen die Beratungsstellen (erneut) auf eine deutliche Erhöhung der Sozialleistungen. Das neue „Bürgergeld“ in Höhe von 503 Euro ermögliche gerade mal einen Inflationsausgleich. „Ich habe Schwierigkeiten damit, diese Leistung Bürgergeld zu nennen, weil sich im Grunde nichts geändert hat“, so Spangenberg-Mades. Eine weitere zentrale Forderung zielt auf die Einnahmeseite des Staates: „Wir müssen jetzt verstärkt auf die Reichen gucken. Wir haben zwei, drei Familien, die verdienen so viel wie die ärmere Hälfte in Deutschland zusammen.“

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Was erschwerend zu den finanziellen Nöten hinzukomme: „In der ganzen Debatte werden die Sozialleistungen beziehenden Menschen immer wieder diffamiert.“ Das geschehe durch Teile der Medien und der Politik, sagt Spangenberg-Mades und nennt in diesem Zusammenhang als Beispiel Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Oft sei von mangelnder Motivation als Erklärung für Sanktionen die Rede. Die Realität sei eine andere: „Das bestehende Hartz-IV-System demotiviert, bremst aus, bedrückt, macht krank.“ Große Defizite beklagt sie auch bei der Erreichbarkeit und Zugänglichkeit der Sozialbehörden.

>>> Ruf nach einem gesetzlichen Verbot von Energiesperren

Für die Beratungsstellen steht fest: Es müsse ein gesetzliches Verbot von Energiesperren geben. Die Stadtwerke Herne lehnen dies derzeit mit dem Verweis auf drohende Liquiditätsengpässe ab.

In einem „Positionspapier“ zur Krise hat die Herner SPD neben einem „Schutzschirm für Stadtwerke“ zumindest gefordert, dass kurzfristige Zahlungsausfälle durch Energiepreiserhöhungen nicht automatisch zu Sperren führen dürften.