Herne. Die Herner Polizei wurde nach 1933 ein Terrorinstrument der Nazis und an zahlreichen Verbrechen beteiligt. Wie das nun dokumentiert werden soll.
Polizisten haben sich von 1933 bis 1945 im Nationalsozialismus des Massenmordes und weiterer schrecklicher Taten schuldig gemacht: in Herne, in Deutschland und bei „Sondereinsätzen“ im Ausland. Knapp 77 Jahre nach Kriegsende wollen Herner Initiativen wie der Förderkreis Mahn- und Gedenkstätte Polizeigefängnis und die DGB-Geschichtswerkstatt eine Leerstelle füllen und die Verbrechen der örtlichen Polizei untersuchen, dokumentieren und vor allem sichtbar machen. Auch der Umgang der Polizei mit der eigenen NS-Vergangenheit nach 1945 soll dabei eine Rolle spielen.
Die Einschränkungen durch die Pandemie und die Hängepartie um den Verkauf des Polizeigebäudes an der Bebelstraße haben Förderkreis und Geschichtswerkstatt mehrfach einen Strich durch die Rechnung gemacht. Doch nun eröffnen sich endlich Perspektiven: Mit dem sich abzeichnenden Verkauf der Polizeiimmobilie durch das Land an den Bochumer Unternehmer Jan Thürmer rückt der vom Förderkreis geforderte „Lern- und Gedenkort“ in dem Gebäude-Ensemble näher. Und bereits am 7. April wird im VHS-Foyer im Kulturzentrum die wegen Corona mehrfach verschobene Ausstellung „Unrechtsort - Polizei und Polizeigefängnis Herne 1933 bis 1945“ eröffnet.
Geplant für 2023: Ein Buch über die Herner Polizei in der NS-Zeit
Wie der Titel schon besagt, soll die gemeinsame Ausstellung von Förderkreis, Geschichtswerkstatt, Emschertalmuseum und VHS nicht nur die Gräuel im Polizeigefängnis in Erinnerung rufen, sondern auch die grundsätzliche Rolle der Polizei in der NS-Zeit. Zu der Info-Schau gehören auch ein Prolog über das Polizeisystem in der Weimarer Republik und ein Epilog über die (kaum stattgefundene) „Vergangenheitsbewältigung“ in der Nachkriegs-Polizei. Dass diese dunklen Kapitel nach Beendigung der Ausstellung am 31. Mai geöffnet bleiben, dafür soll in Zukunft aber nicht nur ein „Lern- und Gedenkort“ im ehemaligen Zellentrakt der Nazis im Polizeigebäude sorgen.
Auch jenseits eines solchen Erinnerungsortes sollen die Verbrechen der Herner Polizei und von Herner Polizisten in der Nazi-Zeit Thema bleiben, kündigen die Herner Historiker und Geschichtswerkstatt-Mitglieder Ralf Piorr und Flemming Menges an. So soll im Jahr 2023 ein Forschungsband zur NS-Vergangenheit der Herner Polizei veröffentlicht werden. Die Opfer- und die Täterseite solle ebenso eingehend beleuchtet werden wie Versuche nach 1945, Polizei und Polizisten „reinzuwaschen“. „Die Frage ist nicht: Warum beschäftigt man sich immer noch damit? Sondern: Warum haben sich andere bisher damit nicht beschäftigt?“, so Piorr.
Kaum zu glauben, aber: Tiefergehende Arbeiten gebe es für Herne bisher nicht zu diesem Thema, so der Herner Historiker. Ähnliches berichtet das für Herne zuständige Bochumer Polizeipräsidium. „Die Geschichte der Bochumer und Herner Polizei im Nationalsozialismus ist nach meinem Kenntnisstand bislang noch kein Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen“, erklärt Polizeisprecher Frank Lemanis auf Anfrage. Der generellen Rolle der Polizei im Nationalsozialismus werde aber innerhalb des Polizeipräsidiums „eine gewichtige Bedeutung eingeräumt“. So würden seit 2012 Dialogveranstaltungen in der Dauerausstellung „Geschichte – Gewalt – Gewissen“ der historischen Begegnungsstätte Villa ten Hompel in Münster mit allen neu in die Behörde versetzten Polizeibeamtinnen und -beamten durchgeführt, betont Lemanis.
Vernichtungskrieg im Osten unter Beteiligung Herner Polizisten
Wie sich die Behörde nach außen mit ihrer Rolle in der NS-Diktatur auseinandersetzt (oder auch nicht), das wurde 2019 deutlich. Anlässlich des 110-jährigen Bestehens widmete sich das Bochumer Polizeipräsidium in einer fünfteiligen Serie der eigenen Historie und darin in Kapitel 2 der Zeit von 1933 bis 1945. Der Polizist wird darin weniger als Täter, sondern fast schon als Opfer dargestellt, über den die Nazi-Diktatur praktisch hereinbrach.
Auch interessant
„Die Nationalsozialistische Partei bekam immer mehr Einfluss und missbrauchte die Polizei als Machtinstrument“, heißt es beispielsweise in dem Kapitel. Oder: „1939, mit Kriegsbeginn, wurde die Polizei mit dem Sicherheitsdienst der Schutzstaffel zusammengelegt. Für den Einsatz an den Fronten wurden zahlreiche von ihnen zwangsrekrutiert und in den Kriegseinsatz geschickt.“ An einer anderen Stelle ist dann noch allgemein von „menschenverachtenden Taten“ die Rede.
Davon, dass die Polizei ein Terrorinstrument der Nazis war und Polizisten an Massenmorden insbesondere in Osteuropa beteiligt waren, findet sich in dieser öffentlichen Dokumentation kein Hinweis. Der Förderkreis Mahn- und Gedenkstätte formuliert es dagegen so: „Auch Polizisten aus Herne kamen beim Vernichtungskrieg im Osten zum Einsatz: unter anderem im Warschauer Ghetto und im Polizeibataillon 301, das mehrere tausend Exekutionen durchführte.“ Nur wenige wurden dafür nach dem Krieg zur Rechenschaft gezogen – nachzulesen ebenfalls in der Ausstellung.
Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Bochumer Polizei die Bemühungen des Förderkreises um einen Gedenk- und Lernort im ehemaligen Polizeigefängnis öffentlich unterstützt hat. „Es muss deutlich werden, was in diesem Gebäude passiert ist“, so Polizeisprecher Volker Schütte im Mai 2019 im Gespräch mit der WAZ Herne.
>>> WEITERE INFORMATIONEN: Verhandlungen über Verkauf laufen
Der Verkauf des Polizeigebäudes in Herne-Mitte ist noch nicht unter Dach und Fach. Zurzeit liefen Kaufverhandlungen, berichtet ein Sprecher des landeseigenen Immobilienunternehmens BLB auf Anfrage. Der Bochumer Unternehmer Jan Thürmer will dort ein Zentrum für Musik und Klavierbau einrichten.
Sein Nutzungskonzept sieht auch einen „Lern- und Gedenkort“ im ehemaligen Polizeigefängnis – der Trakt gehört zum Gebäudeensemble – vor, so wie es der Herner Rat in einer Resolution gefordert hat.
Auch interessant
Der Förderkreis Mahn- und Gedenkstätte Polizeigefängnis habe bereits Kontakt zum Investor aufgenommen, so Norbert Arndt (Förderkreis). Dieser habe signalisiert, erst nach Abwicklung des Verkaufs Gespräche führen zu wollen.
Die WAZ Herne kommt auf die Ausstellung und die Geschichte der Polizei in der NS-Zeit zurück.